Putin erreicht wichtiges Kriegsziel in der Ukraine
Mit Lyssytschansk fällt letzte Bastion Kiews im Bezirk Lugansk, der nun zur Gänze von russischen Truppen kontrolliert wird. Diese nehmen jetzt den Oblast Donezk ins Visier.
Die Zwillingsstadt Sjewjerodonezk auf der anderen Seite des gleichnamigen Flusses mussten die ukrainischen Verteidiger bereits Mitte Juni aufgeben. Jetzt, nach wochenlangem massivem Beschuss durch russische Verbände fiel am Sonntag auch Lyssytschansk. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau wurde der „umzingelte Feind vollständig besiegt“.
Damit hat Kremlchef Wladimir Putin ein wichtiges Kriegsziel erreicht – die komplette Eroberung des Bezirks Lugansk. Nach dem Abzug seiner Truppen um Kiew Ende April hatte er volle Konzentration auf den Donbass angekündigt. Und so scheint es nur logisch, dass seine Verbände jetzt im Oblast Donezk weiter vorrücken werden.
„Der Donbass ist noch nicht verloren“, gab man in Kiew Durchhalteparolen aus – und dementierte die vollständige Einnahme der letzten Bastion in Lugansk. „Das ist freilich mehr Rhetorik, als dass es der Realität entspräche“, ordnet Brigadier a. D. Walter Feichtinger im KURIER-Gespräch die Aussage ein.
Für den nunmehrigen Präsidenten des „Center für Strategische Analysen“ stellen die jüngsten Entwicklungen auf den ostukrainischen Schlachtfeldern eine „Frontbegradigung“ dar, die von beiden Seiten gewünscht sei: „Russland hat die Einnahme von Lugansk als Ziel ausgegeben, und für die Ukraine wäre eine weitere Verteidigung der Region in keinem Verhältnis zu den Verlusten gestanden.“
Keine Vorentscheidung
Eine „strategische Vorentscheidung“ für den weiteren Verlauf des Krieges sei damit aber noch nicht gefallen. Die russischen Streitkräfte würden sich jetzt auf den Bezirk Donezk konzentrieren. „Dort kontrollieren sie zwar schon 60 Prozent des Gebietes, aber der Rest wird ein hartes Stück Arbeit. Denn die ukrainischen Verbände haben sich dort seit 2014 eingegraben und bereiten sich auf Angriffe vor“, erläutert der Sicherheitsexperte.
Neben dem Geschehen im Donbass misst Feichtinger zwei weiteren Kriegsschauplätzen sehr große Bedeutung bei. „Da ist zum einen Charkiw zu nennen. Für die Ukraine ist es äußerst wichtig, diese zweitgrößte ukrainische Stadt zu halten und nicht an Russland zu verlieren. Und umgekehrt ist es für Moskau höchst relevant den Süden zu stabilisieren oder dort sogar Gebiete dazuzugewinnen – etwa den Schwarzmeerhafen Odessa“.
„Russifizierung“
Der Streifen sei aus dreierlei Gründen für Putin lukrativ. Einerseits aus wirtschaftlichen Gründen, anderseits als Landbrücke zur 2014 annektierten Halbinsel Krim, zudem kontrolliert er so die Küste. Die Besatzer, analysiert der Brigadier a. D., würden in der Region bereits eine massive „Russifizierung“ vorantreiben. „Es werden eigene Verwaltungsstrukturen aufgebaut, russische Pässe ausgegeben und Städtepartnerschaften etabliert – etwa zwischen Mariupol und St. Petersburg. Keine Frage: Die Russen sind dort gekommen, um zu bleiben.“
Wie zur Untermauerung der Bewertungen Feichtingers kam es zuletzt zu heftigen russischen Raketenangriffen auf Charkiw und Odessa sowie auf Orte im Oblast Donezk. Die Ukrainer wiederum beschossen aus der Ferne die Stadt Melitopol, um die russischen Eroberer herauszufordern.
Krieg in „Phase zwei“
Generell sieht der ehemalige Bundesheer-Offizier den Krieg in der Ukraine in der „Phase zwei“. „Phase eins“ habe mit dem Rückzug der russischen Streitkräfte von Kiew geendet, nachdem Moskau einsehen habe müssen, dass die ukrainische Hauptstadt nicht so mir nichts, dir nichts einzunehmen und die dortige Regierung zu stürzen sei.
In einer „Phase drei“ könnte es zu zwei Szenarien kommen: Eines wäre, dass die Ukraine Gebiete von den Russen zurückerobert, das andere, dass Russland weiter Richtung Odessa und dem Fluss Dnjepr vordringt. Welche Variante die wahrscheinlichere ist, sei derzeit nicht abzusehen.
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