Pressestimmen: "Gespaltene SPD hat Merkel gerettet"

Das Ja der SPD zu Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU hat in Deutschland und auch international mediale Aufmerksamkeit bekommen.

DEUTSCHLAND

Süddeutsche Zeitung:

"Wenn es am Ende doch noch schiefginge, wäre Schulz an jener Stimmung gescheitert, die er selbst heraufbeschworen hat. Er ist als Kanzlerkandidat angetreten, der mit der großen Koalition nichts gemein haben wollte. Er hat so getan, als könnte man sich an einer Regierung mit der Union und an Angela Merkel kontaminieren wie an Atommüll. Wenn die SPD sich am Ende gegen eine große Koalition entscheidet, ist Martin Schulz daran gescheitert, dass er Martin Schulz nicht vergessen machen konnte."

Die Welt:

"Die SPD wird also weiter mit den Unionsparteien sprechen - mal defensiv verzagt gegenüber sich selbst, mal aggressiv gegenüber dem möglichen künftigen Koalitionspartner, und hat sich immer weiter in Richtung einer rein sozialpolitisch orientierten Klientelpartei verengt. Von einer Partei, die mit dem Anspruch diskutiert, eines Tages das Kanzleramt zu führen, verlangt man mehr."

Kölner Stadt-Anzeiger:

"Die SPD muss endlich plausible Antworten auf die grundsätzlichen Fragen finden, altmodische Begriffe wie Daseinsvorsorge und Gemeinwohl mit neuen Inhalten füllen. Wir dürfen das nicht wieder verschlafen, hat der Parteichef den Delegierten zugerufen. Die Partei müsse Ideen- und Taktgeber für die Regierung sein. Dazu muss sie aber erst einmal eine Idee haben."

Mitteldeutsche Zeitung:

"Die SPD geht damit zwar als zerrissene Partei in die Koalitionsverhandlungen, aber auch mit einem taktischen Vorteil: Die Union hat kein Interesse an einer Neuwahl (von einzelnen Glücksrittern mal abgesehen). Sie muss die SPD also nun mit Vorsicht behandeln, wenn es funktionieren soll."

SPANIEN

El Pais:

"Dies ist eine gute Nachricht, die Stabilität für den Motor der EU verspricht, in einem Moment, in dem diese so komplizierte Dinge wie den Brexit und die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion angehen muss. (...) Die Entscheidung war nicht einfach und auch nicht frei von Risiken. Sie lässt die Partei innerlich zerrissen zurück (...) und macht vor allem die ausländerfeindliche und antieuropäische extreme Rechte, die durch die Alternative für Deutschland (AfD) verkörpert wird, zur wichtigsten Oppositionspartei. Es liegt nun an (Kanzlerin Angela) Merkel, sich den Partnern gegenüber großzügig zu zeigen (...).

El Mundo (Madrid):

"Die deutsche Wirtschaft hat weiter eine gesunde Wachstumsrate, und die Arbeitslosigkeit ist auf ein beneidenswertes Niveau gefallen. Aber das Land braucht Stabilität und muss aus der politischen Sackgasse heraus, um diesen Kurs zu halten. Wir wissen, dass die europäische Lokomotive mit voller Leistung fahren muss, damit alle Waggons der EU gut laufen können. Deshalb lässt die gestrige Entscheidung des SPD-Parteitages aufatmen. Auch politisch ist es wichtig, dass Deutschland so schnell wie möglich eine starke Regierung bekommt, die die Große Koalition garantieren würde. Denn Europa braucht dringend Reformen, die schon zu lange ins Stocken geraten sind."

ENGLAND

The Guardian (London):

"Als (SPD-Chef Martin) Schulz sagte, er habe am Samstag einen Anruf des französischen Präsidenten Emmanuel Macron erhalten, ging ein sarkastisches Seufzen durch einige Ecken des Saales. Viele SPD-Mitglieder hätten es gern, dass ihre Partei eine offen links-orientierte Politik wie jene des britischen Labourführers Jeremy Corbyn verfolgt, statt dem Beispiel des zentristischen Präsidenten Frankreichs zu folgen. (...)

Anhänger der ältesten sozialdemokratischen Partei der Welt befürchten, dass dieselbe Große Koalition, die Stabilität in die Entscheidungsprozesse in Europa bringen könnte, sich langfristig als schädlich für die Gesundheit des politischen Systems Deutschlands erweist. Wenn es erneut zu einer Großen Koalition kommt, wird die rechtspopulistische AfD im Bundestag zur größten Oppositionskraft. Kommentatoren verweisen auf den jüngsten Rechtsruck in Österreich nach einem Jahrzehnt Großer Koalitionen als Beleg für die Ansicht, dass lange Phasen einer Herrschaft der politischen Mitte die Unterstützung für extremistische Parteien anfachen können."

The Telegraph (London):

"Die unter Qualen getroffene Entscheidung der SPD, Koalitionsverhandlungen mit der konservativen CDU von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu führen, ist sehr wichtig - für Deutschland, für die Europäische Union und für den Brexit (...). Für die EU bedeutet das ein starkes, neues europafreundliches Programm, das Musik in den Ohren des französischen Präsidenten Emmanuel Macron sein wird. Und für den Brexit kann es möglicherweise bedeuten, dass die EU entschlossener als je zuvor auftritt, um das Gemeinschaftsgefühl ihrer Mitglieder zu stärken und fortgehende Mitglieder zu bestrafen."

ITALIEN

La Repubblica (Rom):

"Vor zwölf Monaten hat Schulz seine lange europäische Karriere unterbrochen, um sich in die Bundespolitik zu stürzen. Gerufen von einer Partei, die Sigmar Gabriel hat abstürzen lassen (...). Der 'Outsider' versprach, frischen Wind in die Führungsspitze zu bringen, wo die Luft schon seit langem fehlte. Nachdem er das Unmögliche vermocht hat - Merkel überholen - (...), hat Schulz die Partei zum schlechtesten Ergebnis der Nachkriegszeit geführt. (...)

Die Fehler, (die er nach dem 24. September machte), erwähnte er bisher nicht. Aber schwach, wie er seit dem Ergebnis von gestern ist, als er von 100 Prozent Zustimmung der Basis auf fast die Hälfte abstürzte, wird er vielleicht die Kurve kriegen."

Corriere della Sera (Mailand):

"Die gespaltene SPD hat Merkel gerettet (...). Und (Parteichef Martin) Schulz sieht nach dieser Kraftprobe nicht besonders gut aus. (...) Der D-Day der Sozialdemokraten hat die Erwartungen zumindest im Hinblick auf die dramatische Spannung und die politische Leidenschaft nicht enttäuscht. (...) Am Ende setzte sich die Parteidisziplin durch. Eine letzte Gefahr für die Koalitionsverhandlungen ist nun nur noch das Abschlusspapier, das Zugeständnisse von der Union bei den Themen befristete Arbeitsverträge, Familiennachzug für Flüchtlinge und mehr Gleichheit zwischen gesetzlich und privat Versicherten."

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