Präsidentschafts-Debatte: US-Demokraten kommen in Fahrt
Mit drei Stunden nonstop war die vierte TV-Debatte der demokratischen Präsidentschaftskandidaten für 2020 gestern Abend in Westerville/Ohio die bislang längste Nabelschau der Partei, die Donald Trump in gut einem Jahr aus dem Weißen Haus vertreiben will.
Wegen des auf zwölf Teilnehmer aufgeblähten Formats wirkte das rasant zwischen Innen- und Außenpolitik hin und her jagende Frage-Antwort-Spiel noch kurzatmiger als zuvor.
Geschichten-Erzähler (Beto O’Rourke) gingen bei diesem Speed-Dating mit den Themen fast unter. Schnellsprecher (Andrew Yang) mit der Gabe zur präzisen Kurz-Attacke konnten glänzen. Ob es ihre Prozentanteile in den Meinungsumfragen nennenswert verändert, steht dahin.
Der Erkenntnisgewinn in der Sache hielt sich in Grenzen. Die größte gemeinsame Schnittmenge fanden die Hauptdarsteller bei der Frage, ob Amtsinhaber Donald Trump im Zuge seiner missbräuchlich anmutenden Aktionen in der Ukraine-Affäre ein Amtsenthebungsverfahren verdient: Einstimmiges Ja.
Darüber hinaus blieb es bei den teils bekannten Nuancen-Unterschieden. Es gab kaum Ausreißer nach oben oder unten. Am 20. November trifft man sich im Bundesstaat Georgia wieder, dann mit - die Kriterien wurden erneut verschärft - deutlich weniger Aspiranten. Die bis dahin vier wichtigsten Lehren:
1. Joe Biden am absteigenden Ast
Der Vize-Präsident unter Barack Obama, dürfte seine seit sieben Monaten in den allermeisten Umfragen unangefochtene Spitzenreiter-Position fürs erste an Elizabeth Warren abgeben. Dabei meinte es die Runde gut mit dem 76-Jährigen, der auf die von Trump unterstellten Korruptionsvorwürfe - Bidens Sohn Hunter (49) saß mit einem gut dotierten Vertrag im Aufsichtsgremium eines ukrainischen Gaskonzern, während sein Vater das Ukraine-Dossier der US-Regierung versah - kategorisch bissig reagierte: Er habe nichts falsch gemacht. Und sein Sohn auch nicht, sagte Biden im Basta-Stil (“Es gab keinen Interessenkonflikt”) und versuchte Nachfragen abzuwürgen: “Es geht um Trumps Korruption. Konzentriert euch darauf.”
Dass Hunter Biden Stunden zuvor im US-Fernsehen zumindest ein optisches Geschmäckle der Jahre zurückliegenden Ereignisse in Kiew einräumte, ließ seinen Erzeuger kalt. Wer nun erwartet hatte, dass der Rest der Meute über den Leitwolf herfallen würde, wurde enttäuscht. Ein imaginärer Schutzzaun wurde hochgezogen, niemand nahm Biden unter “friendly fire".
Nachdem Bernie Sanders demonstrativ einen Themenwechsel einläutete und die Moderatoren von CNN und New York Times auch nicht nachsetzten, war das Thema durch.
Beim anschließenden Schweinsgalopp durch den Themenwald von Abtreibung über Waffengewalt bis Syrien erlebte das Publikum den bekannten Biden. Immer wieder verwies der weniger holprig als zuvor redende Politik-Profi auf die Selbsteinschätzung, er sei der einzige Bewerber, der in seiner über 40-jährigen Kongress-Laufbahn und später als Vizepräsident bereits wesentliche Vorhaben durchgesetzt und politische Erfolge vorzuweisen habe. “Ich weiß, wie’s geht.”
Für Trump hatte der aus Pennsylvania stammende Biden nur tief empfundene Verachtung über. Trumps Kurden-Politik in Syrien werden zu Terror-Anschlägen auf amerikanischem Boden führen, sagte er. Sollte der “korrupteste Präsident in der amerikanischen Geschichte” wiedergewählt werden, sei das Aus der Nato so gut wie besiegelt.
Der Konkurrenz gab der Mann mit dem Haifischlächeln zu verstehen: Ich muss nicht erst üben für den Tob-Job im Weißen Haus, ich kann es schon. Weil Biden nicht mehr der Jüngste ist, was Fragen nach seiner Belastbarkeit auslöst, will er vor den ersten Vorwahlen in Iowa im Februar nächsten Jahres sein Gesundheits-Bulletin veröffentlichen.
2. Elizabeth Warren unter Kritik
Die Senatorin aus Massachusetts ist in den vergangenen zwei Wochen in einzelnen Umfragen erstmals an Biden vorbeigezogen, bekam in Ohio das Los der Interims-Favoritin mit voller Wucht zu spüren.
Zum ersten Mal seit Beginn ihres Wahlkampfes im vergangenen Dezember musste sich die 70-Jährige, die in vielen Punkten mit Bernie Sanders auf einer Wellenlänge reitet, fortgesetzter Attacken aus den eigenen Reihen erwehren.
Ihr selten auf den Prüfstand gestellter Standard-Satz für alle wahlkämpferischen Lebenslagen - “Dafür habe ich einen Plan” - geht der Konkurrenz spürbar auf die Nerven. Vor allem dann, wenn Warren, die Kritik verbindlich lächelnd abtropfen lässt, etwa beim Dauer-Streitthema Gesundheitswesen in einem entscheidenen Punkt weiter Wischi-Waschi liefert.
Dem Vorhalt Bidens, ihr Modell einer allgemeinen staatlichen Krankenversicherung (“medicare for all”) würde über zehn Jahre die astronomische Summe von 30 Billionen Dollar kosten, hielt die links-progressive Professorin nur entgegen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung das Modell wünsche und bei ihr die Mittelschicht nicht höher belastet werde.
Warren konnte trotz dieser Unzulänglichkeiten auch im Fernsehen übertragen, was sie bei Live-Kundgebungen auszeichnet: Sie ruht in sich, ist authentisch, verkörpert Kampfgeist und spricht eine Sprache, die Verständnis für Alltagsprobleme verrät. Beispiel: Was nutzt eine oberflächlich betrachtet gute Krankenversicherung, wenn bei teuren Krebsbehandlungen die Kasse doch nicht zahlt und Menschen sich bis zum persönlichen Bankrott verschulden müssen?
Ihr selbst erteiltes Mandat als Anwältin von Mittelschichts-Interessen geriet in Ohio nicht in Gefahr. Sie erreicht ihr Publikum, das klar links der Mitte zuhaus ist, mit Forderungen nach mehr Gewerkschafts-Beteiligung in Großunternehmen, einer substanziellen Reichen-Steuer und der Zerschlagung von Internet-Giganten wie Facebook.
Dass Warren beim Spendeneintreiben die üblichen Verdächtigen (Wall Street-Banker und große Pharma-Konzerne) bewusst ausspart, hat ihren Ruf gefestigt, nicht durch “big money” korrumpierbar zu sein.
Weil Warren sich von der Konkurrenz zwar piesacken aber nicht provozieren ließ und nie abfällig über die elf anderen auf der Bühne redete, werteten Analysten ihren Auftritt unterm Strich als stark und prophezeiten weiteren Zulauf von in den kommenden Umfragen. Allgemein wird erwartet, dass Donald Trump sich künftig nicht mehr auf Biden, sondern auf die früher bereits von ihm als "Pocahontas" (eine Indianer-Legende) verhöhnte Warren konzentriert.
3. Bernie Sanders kommt auf Touren
Mit Bernie Sanders muss unverändert gerechnet werden. Nur 14 Tage nach seinem Herzinfarkt, der mit diversen Stents abgewettert wurde, präsentierte sich der mit 78 Jahren älteste Bewerber so knorrig, vital, angriffslustig und entschlossen wie eh und je.
Fragen nach seinem perspektivischen Gesundheitszustand bedachte der sozialistisch gestimmte Senator aus Vermont mit bekannt feurig intonierten Tiraden gegen soziale Ungleichheit, ein ineffizientes und überteuertes Gesundheitssystem und einen “ungezügelten Kapitalismus”. Sein lapidarer Hinweis lautete: “Ich bin gesund.”
Dass er im Fall seiner Wahl belastbar genug sei, die Strapazen einer bis Ende 2024 dauernden Präsidentschaft zu meistern, will Sanders ab sofort mit einer “energischen Kampagne” im ganzen Land unter Beweis stellen.
Sanders lag vor Ohio in den Umfragen an dritter Stelle. Er dürfte seine Position mindestens gefestigt haben, hieß es in ersten Analysen von US-Zeitungen. Wenn nicht noch mehr.
Am Wochenende wird die linke Galionsfigur der Demokraten im Kongress, Alexandria Ocasio-Cortez, Sanders in New York offiziell zu ihrem Kandidaten ausloben. Was neuen Schub auslösen kann. Den “Oldie” abzuschreiben, wäre zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls falsch.
4. Underdogs haben es schwer
In dem großen Kandidatenfeld auf der Bühne war es erwartungsgemäß schwer, für weniger favorisiert gehandelte Namen zu punkten. Dennoch ist es Amy Klobuchar (Senatorin aus Minnesota) gelungen, ihr Potential als Kompromiss-Kandidatin für unabhängige Wähler der Mitte zu zeigen, die sich parteiübergreifende Lösungen mit moderatem Veränderungshorizont wünschen.
Auch Pete Buttigieg, der junge Bürgermeister aus South Bend/Indiana, hat seinen Ruf, als “young gun” mit Chancen gefestigt. Er lag zuletzt an vierter Stelle. Sein Kern-Argument: Alle meine Konkurrenten versprechen seit Jahrzehnten Wandel, haben ihn aber nie hingekriegt, könnte bei jüngeren Wählern verfangen.
“Mayor Pete”, wie ihn die Kollegen leicht ironisierend ansprechen, hatte starke Momente, wenn es um Fragen von Krieg und Frieden ging. Der mit einem Mann verheiratete Buttigieg war als Soldat in Afghanistan stationiert.
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