So einfach ist es nicht. Tusks Schritt zielt nämlich hauptsächlich auf jene Migranten ab, die aus Belarus nach Polen kommen, die von Kremlchef Wladimir Putin und Belarus’ Machthaber Aleksandr Lukaschenko dazu instrumentalisiert werden, auf Europa Druck auszuüben. Seit 2021 kämpft Polen damit, dass Migranten aus Afrika, dem arabischen Raum und Asien organisiert nach Westen geschoben werden, um Druck auf die EU aufzubauen – viele der Migranten, die um Asyl ansuchen, haben nämlich russische Visa. Seit Jänner Juni zählte Polen 26.000 dieser illegalen Grenzübertritte, trotz eines 5,5 Meter hohen Zauns und elektronischen Überwachungssystemen.
Mord an der Grenze
Viele der Migranten ziehen weiter nach Deutschland. Doch seit Berlin die Grenzen wieder strenger kontrolliert, ist das Thema auch innenpolitisch hochgekocht – und seit im Sommer ein junger Soldat an der Grenze von einem Migranten erstochen wurde, sitzt auch die PiS Tusk massiv im Nacken. Dessen Ankündigung, das Asylrecht temporär zu pausieren, richtet sich daher an die polnische Wählerschaft – und auch an seine ehemaligen Kollegen in Brüssel: Polen fühlt sich nämlich in der Frage der weitergeschleppten Belarus-Migranten von der EU weitgehend im Stich gelassen.
Applaus wird Tusk dort für seine Drohung aber wohl kaum bekommen, im Gegenteil. Rechtlich kann Polen nicht einfach aus dem Asylrecht aussteigen; dazu müsste das Land erst diverse internationale Verträge kündigen, darunter die Genfer Flüchtlings- und die Europäische Menschenrechtskonvention. Da das Recht auf Asyl aber auch in der EU-Grundrechtecharta verankert ist, würde Warschau gegen EU-Recht verstoßen – um das Asylrecht abzuschaffen, müsste Polen also auch aus der EU austreten.
Vorbild Ungarn?
Das ist freilich ein rein theoretisches Szenario. In der Praxis läuft die Aussetzung des Asylrechts anders: Wenn ein Staat einfach damit aufhören, Asylverfahren durchzuführen, hat das nämlich zunächst nur juristische Konsequenzen. Bestes Beispiel ist Ungarn: Dort werden Asylanträge erst gar nicht angenommen, und Migranten in andere Länder zurückgeschoben, um in den dortigen ungarischen Botschaften um Asyl anzusuchen. Der EuGH hat Ungarn dafür bereits verurteilt, die Strafe hat Budapest aber einfach nicht gezahlt – und hält auch weiter an der Praxis fest.
Ob Polen den harschen Weg Ungarns einschlagen wird, ist freilich fraglich. Menschenrechtsvertreter sind aber bereits irritiert über Tusk’ Vorgehen: „Das ist ein neuer Tiefpunkt“, kommentierte die Helsinki-Stiftung für Menschenrechte. Der Schritt sei „kurzsichtig, unmenschlich und menschenrechtswidrig.“
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