Persönliche Erinnerungen an Helmut Kohl

Helmut Kohl zusammen mit seiner Frau Hannelore (links) nach den Wahlen 1990
KURIER-Chefredakteur Helmut Brandstätter hat als ORF-Korrespondent von 1984 bis 1991 Kohl auf vielen Reisen begleitet und erinnert sich.

Für Franz Josef Strauß, den Bayern, der seinen Intellekt gerne hinter Ruppigkeit verbarg und es nie ins Kanzleramt schaffte, waren Journalisten "Schmeißfliegen", für Bundeskanzler Helmut Schmidt "Wegelagerer".

Gerhard Schröder, der schon als Jungsozialist am Zaun des Kanzleramts gerüttelt hatte, suchte mit Bonner Korrespondenten ein Verhältnis, das man in Wien "Verhaberung" nennen würde. Gerne traf er sich noch als SPD-Ministerpräsident von Niedersachsen in einer Kneipe, um seinen Geschichten den richtigen Dreh zu geben. Wer mitspielte, wurde später am Tisch des Kanzlers zugelassen.

Helmut Kohls Verhältnis zu den Medien ist viel schwieriger einzuordnen. Oberflächlich betrachtet war gegenseitige Ablehnung, manchmal sogar Feindschaft zu spüren. Insbesondere die "Hamburger Magazine", worunter Kohl vor allem Spiegel und Stern verstand, bekämpften ihn ab seiner Übernahme der Regierung durch das konstruktive Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt, das er mit FDP-Chef Hans-Dietrich Genscher vereinbart hatte.

Er wurde heruntergeschrieben

Viele Journalisten, die sich der sozialliberalen Koalition verpflichtet sahen, gingen aber nicht auf Genscher los, der sich ja von Schmidt abgewandt hatte, sondern auf Kohl, den Architekten der Wende von 1982. Genscher verstand es, durch persönliche Kontakte die Reporter für sich einzunehmen, Kohl konnte oder wollte das nicht. Also wurde er heruntergeschrieben zum Einfaltspinsel aus der Provinz. Oder, wegen seines Körperbaus, kurz zur Birne.

Kohl betonte gerne, dass er die "Hamburger Magazine" gar nicht lesen würde. Das hat nur bedingt gestimmt. Er hatte einen engen Mitarbeiter, der jeden Sonntag das Vorausexemplar des Spiegel studierte, den Kanzler informierte und reagierte, wo er es für notwendig hielt.

Erst die deutsche Einheit, die Kohl durch vorsichtige Diplomatie, ein enges Vertrauensverhältnis mit den handelnden Personen mit Ausnahme von Margaret Thatcher und finanziellen Versprechen erreichte, brachte Kohl Anerkennung bei Deutschlands Medien. Wobei die Legende, Kohl habe die Einheit durch das Zugeständnis der schnellen Einführung des Euro an Frankreichs François Mitterrand durchgesetzt, nur genau das ist , eine Legende. Die Pläne dafür gab es schon davor.

ORF beäugte er genau

Österreichische Korrespondenten in Bonn hat Helmut Kohl stets genau beäugt, die des ORF vor allem. Gerd Bacher war ein enger Freund, egal ob er ORF-Chef war oder nicht. Und Kohl ließ Artikel und TV-Berichte auswerten, vor allem vor Interviews mit österreichischen Journalisten. Das war Teil seiner politischen Handwerkskunst, immer bestens über seine Gesprächspartner Bescheid zu wissen. Da konnte er auch bei Pressekonferenzen mit Spitzenpolitikern aus Wien recht grob auf Journalisten los gehen, wenn er von zu viel Kritik gehört hatte.

Dafür nahm er uns immer zu seinen Hintergrundgesprächen nach langen Abenden bei EU-Gipfeln oder Staatsbesuchen mit, die Formulierung "Ihr Österreicher gehört ja dazu" musste man einfach übergehen. Anlässlich des deutsch-französischen Militärmanövers "Kecker Spatz" 1987 , bei dem ein russischer Angriff durch das Donautal mit entsprechendem Vormarsch der NATO auf österreichisches Staatsgebiet geübt wurde, ging es im kleinen Kreis um die Neutralität. "Ihr wisst aber schon, wer euch beschützt, das ist nicht euer Bundesheer", blaffte er in unsere Richtung.

Vertraulich

Solche Gespräche waren strikt vertraulich, wer etwas berichtet hätte, wäre nie wieder eingeladen worden. So saßen wir mit Helmut Kohl auch am 9. November 1989 abends in Warschau, als die Nachricht von der Öffnung der Berliner Mauer kam. Seine Reaktion hat er später etwas anders erzählt. Zunächst fragte er, was nun zu tun sei, er könne diesen historisch wichtigen Besuch nicht abbrechen. Es war ein Journalist, der meinte, er könne ja unterbrechen, nach Berlin fliegen und dann wieder kommen, was Kohl auch tat.

Vielleicht war es dieser Augenblick, der ihn mit der Zunft der Reporter versöhnte. Helmut Kohl war als zweiter Kanzler in Auschwitz (Amtsvorgänger Helmut Schmidt war der erste deutsche Kanzler, der Ausschwitz besuchte), und er besuchte Kreisau, ein Zentrum des christlichen deutschen Widerstands während der Nazi-Zeit. Kohl war nicht nur historisch gebildet wie wenige Politiker, seine gesamte Kanzlerschaft war geprägt durch bewusste Verantwortung für die Geschichte Deutschlands. Das haben viele seiner journalistischen Wegbegleiter spät verstanden.

Und Kohl, der als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz noch gut mit Reportern konnte, brauchte lange, um mit den Medien auf Augenhöhe umzugehen. Aus dem pfälzischen Provinzpolitiker wurde ein Gigant der Weltpolitik. Das mussten am Ende auch jene anerkennen, die ihn lange skeptisch oder gar ablehnend begleitet hatten.

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