Deutscher Altbundeskanzler Helmut Kohl gestorben
Helmut Kohl ist tot. Das teilte die CDU-Bundeszentrale am Freitagabend über den Internetdienst Twitter mit. Der deutsche Altkanzler starb am Freitagmorgen in seinem Haus in Ludwigshafen im Alter von 87 Jahren. Kohl war von 1982 bis 1998 Bundeskanzler. Er galt als Vater Deutsche Einheit und einer der Persönlichkeiten, der die Deutschen überzeugte, die Deutsche Mark für den Euro aufzugeben. Seit einem schweren Sturz 2008 war er an den Rollstuhl gefesselt.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Nachricht vom Tod ihres Vorgänger während einer Reise nach Rom erreicht. Die Kanzlerin änderte ihr Besuchsprogramm. Sie wollte sich am Freitagabend (gegen 19.00) Uhr in der Residenz der deutschen Botschafterin öffentlich äußern. Merkel ist für eine Privataudienz bei Papst Franziskus an diesem Samstag nach Rom geflogen.
Der Staatsakt zu Ehren Kohls wird voraussichtlich in seiner Heimat Rheinland-Pfalz stattfinden. Derzeit werde ein Termin mit dem Innenministerium abgestimmt, teilte die Staatskanzlei Rheinland-Pfalz der Deutschen Presse-Agentur am Freitag mit. Als Ort seien Speyer oder sein Geburtsort Ludwigshafen im Gespräch.
George Bush senior würdigt Kohl
Der frühere US-Präsident George Bush senior hat Helmut Kohl als "einen der größten Staatenlenker von Nachkriegs-Europa" gewürdigt. Bush bezeichnete Kohl in einer am Freitag veröffentlichten Erklärung als einen "wahren Freund der Freiheit", der sein Leben der Aufgabe gewidmet habe, die demokratischen Institutionen in seinem Heimatland und anderswo zu stärken.
"Wie viele, die Zeuge wurden der unaussprechlichen Verkommenheit und des Elends dieser Zeit, hasste Helmut (Kohl) den Krieg. Aber er verabscheute noch mehr den Totalitarismus." Kohl habe sein Leben der Stärkung von Institutionen der Demokratie gewidmet, in Deutschland und darüber hinaus.
Reaktionen aus Österreich
Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) würdigen den deutschen Altkanzler. Wortgleich bezeichneten die beiden ihn am Freitag in Aussendungen als "großen Europäer" und "Staatsmann". Kurz wies darauf hin, dass Kohl auch "maßgeblich den österreichischen EU-Beitritt unterstützt" habe.
Der Bundespräsident erinnerte daran, dass Kohl am Schlachtfeld von Verdun "Hand in Hand" mit dem französischen Präsidenten Francois Mitterrand der Kriegstoten gedachte "und dass er die Einführung des Euro in Deutschland durchsetzte". "Sein staatsmännisches Geschick zeigte Kohl, als er die Chance ergriff und die Wiedervereinigung Deutschlands erreichte."
Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat den verstorbenen deutschen Altkanzler Helmut Kohl als "zentralen Mitgestalter der Europäischen Union, wie wir sie heute kennen", gewürdigt. "Helmut Kohl hat im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte geschrieben. Europa trägt seine Handschrift", teilte Kern am Freitagabend in einer Aussendung mit.
Kohl sei ein "Freund" Österreichs gewesen und habe bei den EU-Beitrittsverhandlungen Österreichs geholfen und unterstützt, betonte Kern. "Ganz Europa trauert um einen großen Staatsmann."
Gorbatschow: "Staatsmann mit Verantwortungsbewusstsein"
Der russische Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow hat Kohl als herausragenden Politiker gewürdigt, der deutliche Spuren in der Weltgeschichte hinterlässt. "Die Deutschen haben Helmut Kohl den Spitznamen "Kanzler der deutschen Einheit" gegeben. Das ist richtig und gerecht", erklärte Gorbatschow am Freitagabend in Moskau.
In Kohls Amtszeit seien bedeutende Ereignisse gefallen wie das Ende des atomaren Wettrüstens, des Kalten Krieges, der Fall der Berliner Mauer und die deutsche Wiedervereinigung. Diese Ereignisse seien auch riskant gewesen, schrieb der 86-Jährige auf seiner Webseite. "Es war ein großes Glück, dass in dieser schwierigen Zeit an der Spitze der führenden Mächte Staatsmänner waren, die Verantwortungsbewusstsein hatten, die die Interessen ihrer Länder entschlossen vertreten haben, aber die auch in der Lage waren, die Interessen der anderen zu berücksichtigen."
EU-Flaggen auf Halbmast
Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich tief betroffen vom Tod Helmut Kohls gezeigt. "Helmut Kohl war ein großer Europäer und ein sehr guter Freund", teilte Juncker am Freitagabend mit. "Ohne Helmut Kohl gäbe es den Euro nicht." Kohl war am Freitag im Alter von 87 Jahren gestorben.
"Nur drei Menschen, Jean Monnet, Jacques Delors und Helmut Kohl haben für ihre Verdienste für die europäische Zusammenarbeit die Ehrenbürgerschaft Europas erhalten", teilte der frühere luxemburgische Ministerpräsident Juncker mit. Das mache den Verlust umso größer - politisch wie menschlich. "In Gedenken an Helmut Kohl habe ich deshalb die Europaflaggen vor den europäischen Institutionen auf Halbmast setzen lassen", teilte der Kommissionspräsident mit.
von Reinhard Frauscher
Dresden, fünf Wochen nach dem Mauerfall: Eine begeisterte Menge jubelt Bundeskanzler Helmut Kohls Rede zu: “Wir sind ein Volk“. Kohl in seinen Memoiren: “Da war mir mit Tränen in den Augen erstmals klar, dass an der raschen Wiedervereinigung kein Weg vorbei führte“.
Er nahm sie entschlossen in Angriff, was ihm mehr als die längste Amtszeit aller Bundeskanzler den Rang in der Geschichte sicherte. Der Weg war aber schwer, weil in einer politisch viel polarisierteren Republik als heute.
„Birne darf nicht Kanzler werden“, titelte am Wahltag 1983 der Spiegel, damals Speerspitze der sich als fortschrittlich sehenden Medien. Für Linksintellektuelle war Kohl das meist belächelte, öfter aber mit solch undemokratischen Mitteln bekämpfte Feindbild des spießigen, nationalen Bürgertums und der Wirtschaftselite.
Doch die Mehrheit der Bürger ließ sich von diesen Kampagnen nicht abhalten: Kohl legitimierte an dem Tag seine Kanzlerschaft, die er zuvor mit dem Koalitionswechsel der FDP von der SPD zu seiner Union errungen hatte. Er behielt sie länger als jeder andere in der Bundesrepublik: 16 Jahre, bis Herbst 1998.
Dabei waren seine ersten Kanzler-Jahre geprägt von kontroverser Politik: Kohl brachte den von den SPD-Vorgängern angehäuften Schuldenberg mit hartem Sparen unter Kontrolle. Und er hielt gegen heftigste linke Proteste an der starken Westbindung Deutschlands fest.
Winziges Zeitfenster Das machte sich 1989 bezahlt: Die Auflösung der Sowjetunion und der DDR-Diktatur schuf ein einmaliges Zeitfenster für die Wiedervereinigung. Kohl hatte die nie aus den Augen verloren. Dazu musste er aber das tiefe Misstrauen gegen ein wiederer-starkendes Deutschland in London, Paris und Rom bändigen. Den ebenso zähen Widerstand von SPD (Parteichef Hans-Jochen Vogel: “Wir wollen kein Viertes Reich“) und Grünen ignorierte er.
Und Kohl gelang das scheinbar Unmögliche – die Einheit des 1945 geteilten Deutschland. Noch dazu unter den Bedingungen der Bundesrepublik, also mit Sozialer Marktwirtschaft und dem Verbleib im Westbündnis Nato. Mit starkem persönlichem Vertrauen trotzte Kohl Michail Gorbatschow und den anderen Staatschefs der Siegermächte die Einheit ab.
Seine stärksten Helfer in diesen auch für ihn persönlich extremen Monaten waren US-Präsident George Bush Senior, der Wille und die Disziplin der Ostdeutschen – und die harte D-Mark.
Kohl nutzte das Symbol westdeutscher Souveränität und Kraft für die Vereinigung: Der raschere Ersatz der Mark durch den Euro war, wie 2010 vom Spiegel aufgedeckt und heute weitgehend Konsens in Berlin und Paris, die Bedingung von Frankreichs Präsidenten François Mitterrand. Kohls kluge Berater warnten vergeblich vor der Aufweichung der Währung ohne deutsche Dominanz in der EZB, seine Minister kümmerte das nicht. Damit wurde die krisenanfällige Konstruktion des Euro auch ein Erbe Kohls an die Deutschen – und seine Nachfolger im Amt.
Kohl aber war das Fundament für eine neue, dauerhafte Friedensordnung in Europa wichtiger. Der Erfolg wird inzwischen auch im linksliberalen Lager anerkannt: SPD-Vorgänger Helmut Schmidt sprach viel später von einer „Glanzleistung“. Nur Grüne und Altlinke tun Kohl noch als Krisengewinnler in der Gunst der Stunde ab.
Österreich-Freund Doch schon als Jugendlicher in Rheinland-Pfalz, geprägt von der Nähe zu Frankreich und den Schrecken des Krieges, war Kohls Fernziel der Friede gewesen. Der studierte Historiker war dabei auch der größte Freund Österreichs unter den deutschen Kanzlern, dessen historische Rolle er oft betonte.
Dabei polarisierte der konservative Instinktpolitiker lustvoll selbst. Zusammen mit eiserner Disziplin machte ihn das früh zum Machtmenschen, der seine CDU detailbesessen unglaubliche 25 Jahre als Parteichef führte.
Aufstieg und Machterhalt verdankte er auch gezielter Unterschätzung: Seine intellektuelle Kapazität versteckte er hinter scheinbar provinzieller Biederkeit und Schlauheit. Das machte Kohl in der Beurteilung vieler Zeitgenossen kleiner als er war.
Die Wiedervereinigung entpuppte sich aber wegen des auch materiellen Bankrotts des Sozialismus als viel teurer als befürchtet. Und sie rückte die Republik nach links. Weil Kohl zugleich den Aufbau eines Nachfolgers blockierte, wurden er und die Union 1998 abgewählt.
Sein späteres Eingeständnis der Annahme undeklarierter Parteispenden ohne die Quellen je zu nennen („Ehrenwort“), stürzte Kohl wieder in die Tiefen der Tagespolitik. Dass aus dieser Mega-Krise der CDU bald Angela Merkel als Parteichefin und danach als Kanzlerin hervorging, war indirekt auch sein Werk: Er hatte „mein Mädchen“ instinktsicher aus dem ostdeutschen Umbruch geholt und gefördert.
Merkel lebt einen Teil seines Stils weiter: Unglamourös bei intellektueller Brillanz, Stimmungen des Volkes besser wahrnehmend als viele Parteifreunde, schwere Entscheidungen aussitzend.
Vereinsamung Für das maximale Auskosten seiner Macht zahlte Kohl einen hohen Preis: Familiäre Vereinsamung, die im krankheitsbedingten Freitod seiner ersten Frau Hannelore kulminierte. Von der Entfremdung seiner Söhne animiert, machten ihn linke Medien selbst da noch mitverantwortlich.
In den letzten Jahren lebte er sehr zurückgezogen: Ein Treppensturz 2008 ließ ihn schwerst geh- und sprechbehindert zurück. Seine zweite Frau Maike Richter-Kohl betreute ihn intensiv und isolierte ihn vor jeder möglichen Störung.
Doch viele Gegner machten ohnehin ihren Frieden mit ihm. Spiegel-Ex-Chefredakteur Stefan Aust: „Wir verstanden uns als Kampfinstrument. Kohl hat an der richtigen Stelle das Richtige getan.“ Das wussten die meisten Deutschen schon früher. Ihr größter Staatsmann starb nach schwerer Krankheit im 88. Lebensjahr.
"Was wir brauchen, ist eine geistig-moralische Wende."
(Im Wahlkampf 1980)
"Ich rede hier vor Ihnen als einer, der in der Nazizeit nicht in Schuld geraten konnte, weil er die Gnade der späten Geburt und das Glück eines besonderen Elternhauses gehabt hat."
(Rede vor dem israelischen Parlament am 24. Jänner 1984)
"Entscheidend ist, was hinten rauskommt."
(Pressekonferenz am 31. August 1984 zu seinem Regierungsstil)
"Er ist ein moderner kommunistischer Führer, der sich auf Public Relations versteht. Goebbels, einer von jenen, die für die Verbrechen der Hitler-Ära verantwortlich waren, war auch ein Experte für Public Relations."
(Interview am 15. Oktober 1986 mit dem US-Magazin "Newsweek" über den sowjetischen Parteichef Michail Gorbatschow)
"Ihr seid nicht allein, wir stehen an eurer Seite. Wir sind und bleiben eine Nation, und wir gehören zusammen."
(Rede am 10. November 1989 vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin an die Adresse der DDR-Bevölkerung)
"Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln. (....) Es wird niemandem schlechter gehen als zuvor, dafür vielen besser."
(Fernseh-Ansprache am 1. Juli 1990 aus Anlass des Inkrafttretens der Wirtschafts- und Währungsunion mit der DDR)
"Meine Lebenserfahrung nach fast elf Jahren in der EG: Wenn irgendwo Geld gebraucht wird, wendet man stumm den Blick auf die Deutschen."
(Vor Journalisten am 22. Juni 1993 auf dem EG-Gipfel in Kopenhagen)
"Lassen Sie links und rechts die Leute krakeelen, die Karawane der Union zieht weiter."
(Rede am 2. September 1994 auf dem CSU-Parteitag in München)
"Der Euro kommt, und er wird eine stabile Währung sein."
(Rede am 25. März 1998 vor Unternehmern auf dem Petersberg bei Bonn)
"Ich habe nicht die Absicht, diese Spender zu nennen, weil ich ihnen mein Wort gegeben habe."
(Am 16. Dezember 1999 in einem ZDF-Interview über anonyme Bargeldzahlungen für die CDU in den Jahren 1993 bis 1998)
"Es war eine fantastische Zeit."
(Bei einem Festakt zum 30. Jahrestag seiner ersten Kanzlerwahl am 27. September 2012)
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