SPD-Basis probt die Revolte
Die Stimmung der 600 Delegierten in Leipzig verunsichert auch die größten Pragmatiker an der Parteispitze, vor allem SPD-Chef Sigmar Gabriel – und sollte das wohl auch. Vor allem im Hinblick auf die von ihm initiierte erstmalige Befragung der 473.000 Mitglieder Anfang Dezember über den Eintritt der Partei in die zweite Koalition mit Kanzlerin Merkel. Die Unlust und Unsicherheit der Basis darüber dominierte den Parteitag und überdeckte die Abrechnung über die zweitgrößte Wahlniederlage der SPD seit 1949.
Schon Gabriels Acht-Prozentpunkte-Minus bei der Wiederwahl als Parteichef am Donnerstag galten als starke Warnung des Mittelbaus. Noch mehr traf die seine bisherigen Stellvertreter: In der Partei des maximalen Solidaritätsanspruchs sind die 67 Prozent für Generalsekretärin Andrea Nahles und den Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz eine Abstrafung: Bei ihr für den unverhohlenen Anspruch auf ein wichtiges Ministeramt, bei Scholz für das klarste Plädoyer für den Koalitionseintritt.
Zuletzt verweigerten die Delegierten einigen SPD-Landeschefs sogar den Einzug in den Vorstand. Daraufhin hielt Gabriel eine Wut-Rede, der Parteitag wurde unterbrochen.
Union weiter als Feindbild
Inhaltlich war er die nahtlose Fortsetzung des Wahlkampfs, die Wendung „Es kann nicht sein, dass ...“ für kritisierte Zustände die am häufigsten verwendete. Die ungebremste „Wünsch-dir-Was“-Liste der Redner schien mehr an die eigene Partei gerichtet als an die um 60 Prozent größere Union. Alle machten nur den potenziellen Koalitionspartner für die angeprangerten Zustände verantwortlich.
Dagegen erinnerte die Parteiführung nur zaghaft an den Realitätsschock des Wahlergebnisses: Außer Gabriel sprach nur Hannelore Kraft, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin, von den „75 Prozent, die uns nicht gewählt haben“ – die Nichtwähler verschweigend und damit, dass es sogar 82 Prozent waren. Und anders als kurz zuvor am Parteitag der koalitionsfeindlichen Berliner SPD sprach Gabriel über die Alternativen zur Koalition nur in Einzelgesprächen: „Schwarz-Grün für länger oder, noch eher, Neuwahlen mit vielleicht unter 20 Prozent für uns.“
Auch die Neuigkeit am Parteitag, dass die Genossen in Hessen gerade zum zweiten Mal am Versuch von Rot-Rot-Grün scheiterten – vor allem an der Finanzierung aller Wünsche–, beschränkte nicht die Lust auf alte und neue Maximalforderungen der Basis.
Diese münzte die Parteiführung im Hinblick auf die Abstimmung dann in die taktische Forderung an Merkel zu mehr Konzessionen um. Denn die sind in den meisten Kernpunkten noch offen, was das Misstrauen der SPD-Funktionäre nochmals verstärkte.
Aber ob Merkels Kompromissangebote der SPD-Basis reichen werden, ist nach diesem Parteitag noch offener als bisher. Vorher jedoch gehen Gabriel und seine Verhandler eher geschwächt als gestärkt in die Endrunde.
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