Parlamentswahl in Polen: Eine Wahl mit Ungereimtheiten
Aus Warschau
Polen wählt, das sieht man überall. Am riesigen Kulturpalast im Zentrum Warschaus weisen weiß-roten Fahnen auf das Wahlbüro Nr. 20 hin. Der Wahlzettel ist riesig, Frau Jadwiga, eine ältere Rentnerin, beugt sich in der Kabine über den DIN-A-2 Bogen. Sie bittet um Hilfe, jemand möge ihr doch bitte die Parteienliste vorlesen.
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Auf Listenplatz 4 stehen die Kandidaten der „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS). Die Regierungspartei strebt die dritte Amtszeit in Folge an, sie würde dann wohl Justizsystem und andere öffentliche Einrichtungen noch stärker kontrollieren als bisher.
Zwei Listenplätze später steht die liberale „Bürgerkoalition“ (KO), deren Chef Donald Tusk genau das aufhalten will. Laut Umfragen wird es nicht nur knapp, möglicherweise dauert es sogar bis über den Wahltag hinaus, bis das endgültige Ergebnis feststeht.
Zeitgleich fand auch eine Volksabstimmung statt
Das liegt auch daran, dass am Sonntag nicht nur 460 Abgeordnete für das polnische Unterhaus Sejm und 100 Abgeordnete für den Senat gewählt wurden. Zeitgleich fand auch eine Volksabstimmung statt – über Details des EU-Migrationspakts, Grenzschutz, Pensionen und die Privatisierung von Staatsunternehmen. Ein Clou der Regierenden: Der Opposition werden bei diesen Themen ungünstige Forderungen in die Schuhe geschoben, die die gar nicht umsetzen will.
Die PiS unter ihrem Chef Jaroslaw Kaczynski und Premier Mateusz Morawiecki wirbt zudem mit Sozialpaketen, ihre Wähler dominieren darum auf dem strukturschwachen Land und unter Rentnern. Für die gab es extra Fahrdienste an die Wahlurnen, für Frau Jadwiga sogar einen Helfer, der sie zum Fahrstuhl des Kulturpalasts führt.
Auch der 84-jährige Jan Tomasz hat sein Kreuz bei der PiS gemacht, weil sie „katholische Werte“ vertritt. Er sieht in der liberalen Opposition die alten Kommunisten wiederkehren, den Protest vor zwei Wochen, als fast eine Million in Warschau für einen Machtwechsel demonstrierten, empfand er als „aggressiv und lärmend“.
Einige Jüngere, die die Treppen zum Wahlbüro hochsteigen, wählen die „Neue Linke“, die mit der KO koalieren will. Als Partner einer neuen Regierung kommt noch der „Dritte Weg“ in Frage, ein Bündnis aus einer christlich-liberalen und agrarischen Partei. Die PiS wird sich mit der „Konföderation“ verbünden müssen, einer Rechtsaußen-Allianz mit Marktradikalen, Nationalisten und Monarchisten, die viele junge Polen anzieht.
OSZE-Mitarbeiter sind im Wahllokal
Auch OSZE-Mitarbeiter sind im Wahllokal, sie schauen bei der Vergabe der Stimmzettel zu. Pia Kauma, Leiterin der Delegation, gibt eine kurze Pressekonferenz und sagt dabei nicht viel. Ihre 120 Beobachterinnen und Beobachter hätten alle eine Akkreditierung bekommen, eine Verletzung des Wahlrecht sei nicht beobachtet worden. Mehr gebe es auf der Pressekonferenz am Montag zu hören.
Dabei gibt es an diesem Sonntag dringende Fragen. So wurden OSZE-Beobachter bei mehreren Veranstaltungen von PiS-Chef Kaczynski nicht zugelassen, auch sechs kleinere europäische Wahlbeobachtungs-Organisationen beschwerten sich, dass ihre Mitglieder keine Akkreditierung im Außenministerium erhielten. Davon habe Kauma jedoch nichts gehört, sagt sie.
Unter Regierungskritikern gelten die Wahlen schon jetzt als unfair, manche Medien titeln sogar „Die letzten freien Wahlen in Polen“, eine Anspielung an das noch autoritärer regierte Ungarn.
Regierungspartei hat Regeln verschärft
Die Schieflage ist tatsächlich deutlich: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen wurde von der PiS 2016 in ein Propaganda-Instrument umgeformt, das den politischen Gegner verunglimpft. Wahllokale in den Städten und im Ausland, wo das Gros der Polen die Opposition bevorzugt, sind völlig überlastet – das kann der Bürgerkoalition zum Verhängnis werden: Haben die Wahllokale nicht binnen 24 Stunden alle Wahl- und Referendumsbögen ausgezählt, entfallen alle Stimmen. Das war schon vor der PiS so – allerdings hat die Regierungspartei die Regelung noch verschärft. Jetzt muss jedes Mitglied der Wahlkommission die Zettel kontrollieren, was noch länger dauert.
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