Radek Knapp: "Polen entscheidet zwischen Gut und Böse"

von Radek Knapp
"Die einzige Muschi, der Kaczynski Befehle erteilen kann, ist Andrzej."
So stand es kürzlich auf einem Transparent bei einer Warschauer Frauendemo. Gemeint war Staatsoberhaupt Andrzej Duda, Mitglied der regierenden PiS-Partei. Nicht die feine englische Art, aber PiS-Oberhaupt Jaroslaw Kaczynski und Polens Frauen sind längst kein Liebespaar. "Wir sind endgültig in einem Parade-Patriarchat angekommen. Die nächste Station lautet: Mittelalter", konstatierte neulich die größte polnische Frauenorganisation "Strajk Kobiet" – und sie weiß gut, worüber sie spricht.
Es begann mit Aussprüchen von PiS-Abgeordneten: "Frauen fühlen sich in der Küche doch am besten" oder Kaczynskis nur so vor Logik strotzende Erkenntnis: "Jemand muss ja gebären."
Richtig ernst wurde es, als die PiS das restriktivste Abtreibungsgesetz europaweit einführte. Seitdem gleicht die Geburtenkontrolle einer Inquisition. Immer wieder sterben Frauen, die man zwingt, nicht überlebensfähigen Föten zur Welt zu bringen. Beim Einnehmen der Pille danach erfolgt ein "Zwangsinterview" bei einem Gynäkologen. Und da wäre die katholische Kirche, die mit "speziellen Aufmunterungen" unterstützt, das Land mit kleinen PiS-Wählern zu bevölkern.
Radio-Maria-Gründer Pater Rydzyk outete sich als Feind der Antibabypille: "Ist eine Frau unverheiratet, ist vorehelicher Sex sowieso tabu. Ist sie verheiratet, wozu dann Verhütung?"
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Donald Tusk, Vorsitzender der größten polnischen Oppositionspartei Bürgerkoalition, kurz KO, macht Selfies mit Anhängern während einer Wahlveranstaltung in Kepno.
Weniger Geburten
Fazit: Seit der eingefleischte Junggeselle Kaczynski an der Macht ist, ist die Geburtenrate rückläufig. "Schwanger zu sein, ist wie verhaftet sein", kontern Feministinnen-Organisationen – hinter ihnen stehen niemand geringerer als Polens Frauen. In der letzten Umfrage gaben 77 Prozent der Frauen an, gegen PiS zu stimmen. "Wir sind nicht das Problem in diesem Land, sondern die Männer, die es regieren."
Es gibt aber auch männliche Opfer. Das größte davon: Donald Tusk. Der ehemalige EU-Ratspräsident und jetzt Führer der größten Oppositionspartei PO ist Kaczynskis Staatsfeind Numero Uno. Es gibt laut der PiS-Propaganda nichts, woran Tusk nicht schuld wäre. Die Liste ist opulent. Tusk ist schuld am Tod des Kaczynski-Zwillings Lech, der beim Flugzeugabsturz bei Katyn umkam. Er ist schuld an Polens exorbitanter Inflation. Und inzwischen auch, dass die Wolken in Polen nicht quadratisch sind, sondern rund.
Der PiS-Feind Tusk
Sein größtes Vergehen besteht aber darin, dass er die bösen Deutschen nach Polen gelassen hat. Beweise gibt’s reichlich: Ein Foto, auf dem Tusk mit Merkel einen Tee trinkt. Tusk zu Besuch in Stuttgart mit einen roten Schutzhelm mit Mercedesstern darauf. Ganz zu schwiegen von Tusks Großvater, der bei der Wehrmacht „sehr gern“ gedient hatte. Neulich wurde sogar Tusks Haarfarbe als staatsfeindlich geoutet. „Rothaarigen Typen soll man nie trauen“, wetterte Kaczynski kürzlich bei einer Wahlveranstaltung, um gleich nachzusetzen, dass Tusk auch noch Polens Wälder an Deutschland verscherbeln will. „Wo werden wir dann unsere Pilze sammeln?“, beschwerte sich Kaczynski. „Wir Polen sind leidenschaftliche Pilzsammler“. „Einen politischen Gegner zu haben, der solche Dinge sagt, fühlt sich sonderbar an“, konterte Tusk.
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Der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit, kurz PiS, Jaroslaw Kaczynski, spricht während eines Wahlkongresses in Jasionka.
Kaczynskis Gagatum wäre sogar lustig, wenn der eingefleischte Junggeselle im Park mit anderen Opas Schach spielen würde. Aber seine Mannen sind überall – und laut einem polnischen Straßenwitz wie König Midas. Alles, was sie anfassen verwandelt sich in Sch…
Der neueste Coup war der Verkauf des polnischen Ölkonzerns ORLEN an Saudi-Arabien und Viktor Orbáns MOL, dessen wirtschaftliche Bindungen zu Putin sogar Kaczynski kennen müsste. Das muss man sich auf der Zunge der Absurdität zergehen lassen: Polens Hauptenergiesektor wird just zur Zeit des Ukraine-Krieges an einen Putin-Verbündeten verkauft. Kaczynski stört das nicht. Er hat den Diktatoren-Dreh längst raus: Schmiere das eigene Volk mit Sozialbonbons und male gleichzeitig den Schwarzen Mann an die Wand. Dieser war mal Putin, aber jetzt gibt es bessere: Deutschland und die EU. Kaczynski ist alles recht.
Bis zur Wahl soll sich also nicht nur Tusk, sondern auch Deutschland lieber warm anziehen. Ausverkauf an Berlin, Reparationszahlungen für den Zweiten Weltkrieg und "gebt uns die polnischen Pilze zurück", so der Wahlrefrain der PiS-Partei. "Polen entscheidet im Oktober nicht zwischen zwei Parteien, sondern zwischen Gut und Böse", urteilte der legendäre Solidarność-Politiker und Oppositionsführer Władysław Frasyniuk. Die Mehrheit der Polen ist laut Umfragen seiner Meinung. Der Sieg müsste also sicher sein.
Aber Polen ist magisch. Schon vor vier Jahren bekam die Opposition eine Million mehr Stimmen als die PiS. Aber sie war zu zersplittert, und so packten einige Parteien die Fünf-Prozent-Hürde nicht. Bleibt es wieder dabei, ist der Sieg der PiS gewiss.

Radek Knapp (59) ist 1964 in Warschau geboren. Er studierte Philosophie an der Universität Wien und schaffte 1994 seinen Durchbruch als Autor mit dem Erzählband "Franio". Seitdem ist er als freier Schriftsteller tätig: "Franjo" wurde 1994 mit dem "Aspekte-Preis" ausgezeichnet, 2008 wurde "Herrn Kukas Empfehlungen" verfilmt, seine "Gebrauchsanweisung für Polen" machte ihn auch abseits der Literatur bekannt. Knapp lebt in Wien.
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