Paris vor Olympia: Zwischen Sorge und Goldgräberstimmung
Fünf Monate vor Beginn der Olympischen Sommerspiele sind viele Pariser skeptisch und wollen die Stadt in dieser Zeit verlassen. Für andere könnte das sehr lukrativ werden.
17.02.24, 18:22
aus Paris Simone Weiler
Irgendwann im vergangenen Herbst zog der damalige französische Transportminister Clément Beaune die verbalen Samthandschuhe aus und wurde ungewöhnlich direkt. Die Pläne für die Organisation des Verkehrs während der Olympischen Spiele in diesem Sommer in Paris "werden hardcore sein", warnte Beaune vor. Mit "hardcore", heftig, meinte er die Einschränkungen durch Sicherheitsabsperrungen und Umleitungen für alle, die sich in dieser Zeit vom 26. Juli bis 11. August in Frankreichs Hauptstadt fortbewegen möchten oder müssen.
Die klaren Worte brachen mit der bis dahin geltenden Strategie, stets zu versichern, dass die Vorbereitungen ideal liefen und jegliche Sorge, etwa vor einem Kollaps des öffentlichen Nahverkehrs, unbegründet sei. Seit Kurzem appelliert die Regierung auf Plakaten in der Metro an Unternehmen und Beschäftigte, im Sommer im Homeoffice zu arbeiten. Viele Pariser fragen sich jetzt schon, wie sie in dieser Zeit von A nach B kommen sollen. Zu ihnen gehört die zweifache Mutter Julie, die oberhalb des Triumphbogens wohnt. "Für mich gibt es nur eine Lösung, wir müssen weg", sagt sie.
Einer Studie des Umfrageinstituts Odoxa zufolge plant mehr als die Hälfte der Einwohner des Großraums Paris, diesen während des Sport-Events zu verlassen.
Das ist im Hochsommer zwar nicht ungewöhnlich. Doch dieselbe Umfrage ergab auch eine drastische Abnahme der Zustimmung zu den Spielen, je näher sie rücken. Demnach sagten 44 Prozent der Befragten, diese seien "eine schlechte Sache", gegenüber 22 Prozent zwei Jahre zuvor. "Das wird das absolute Chaos", befürchtet Julie.
"Diese Spiele ruinieren uns."
Ein Satz, der bei dem Thema oft zu hören ist. Die Pariser Verkehrsbetriebe RATP gehen von einer Million zusätzlichen Fahrten aus – pro Tag. Versprachen die Organisatoren zunächst, die Öffentlichen seien für alle Besucher der Wettbewerbe gratis, so verdoppeln sich nun die Tarife sogar. Die Mehrkosten für das erhöhte Angebot müssen ausgeglichen werden, hieß es. "Die Grundsteuer für unsere Wohnung hat sich verdoppelt", stöhnt Julie, die Pariserin. "Diese Spiele ruinieren uns."
Demgegenüber bemühte sich Bürgermeisterin Anne Hidalgo vor wenigen Tagen bei der Eröffnung der neuen "Adidas Sportarena", Begeisterung zu wecken. Im Juli werde sie persönlich in die Seine springen. Seit 1923 war das Baden dort verboten, ab 2025 soll es infolge der Verbesserung der Wasserqualität für die Spiele möglich sein. Auch die Eröffnungszeremonie findet auf dem Fluss und damit erstmals in der Olympischen Geschichte nicht in einem Stadion statt. Spektakuläre Bilder sollen her.
Astronomische Preise
Wenn trotzdem viele Stadtbewohner diese Ausnahmewochen verpassen, dann liegt das auch am Geld: Sie wollen ihre Wohnungen vermieten. Längst gehen die Preise durch die Decke. Dem Touristenbüro zufolge lag der Tarif für eine Nacht im Hotel während der Spiele im Schnitt bei 522 Euro, im September erreichte er sogar 759 Euro. "Wir rieten den Hoteliers, nicht zu weit nach oben zu gehen, weil die Leute sonst anderswo suchen, vor allem bei AirBnb", sagt Frédéric Hocquard, im Rathaus für Tourismus zuständig. Das Angebot auf der Plattform sei hoch wie nie. "Viele Pariser meldeten sich ganz neu an, um die einmalige Gelegenheit zu nutzen."
Andere müssen ihre Behausungen zwangsweise räumen. Etwa 2.200 Studierende, die ausquartiert werden, um in ihren Zimmern Feuerwehrleute, Polizisten oder Pflegekräfte unterzubringen. Als Entschädigung bekommen sie 100 Euro und zwei Plätze für Wettbewerbe.
Wenn am 26. Juli an der Seine das Olympische Feuer entzündet wird, ist das für Paris bereits das dritte Mal - nach 1900 und 1924. 15 Millionen Gäste werden während der Spiele in Paris erwartet.
"Soziale Säuberung"
Die Menschenrechtsbeauftragte Claire Hédon kündigte an, die Frage der Studentenwohnungen sowie den Vorwurf der "sozialen Säuberung" zu untersuchen. Seit fast einem Jahr werden Obdachlose und Migranten aus dem Großraum Paris in andere Regionen verfrachtet, weil bisherige Notunterkünfte gebraucht werden. Dem Zusammenschluss "Die Kehrseite der Medaille" zufolge wurden schon mehr als 4.000 Menschen weggebracht.
"Wir wissen genau, dass sich während der Olympischen Spiele die Kameras der ganzen Welt auf Paris richten und die Behörden 'saubere Straßen' wollen", sagt Paul Alauzy von der Nichtregierungsorganisation "Ärzte der Welt". Er forderte einen langfristigen Plan.
Fünf Monate vor den Spielen gibt es aber auch positive Nachrichten; beispielsweise für die Bouquinisten, die Straßenbuchhändler an den Seine-Ufern. Rund die Hälfte der grünen Kisten, in denen sie ihre Bücher verkaufen, sollten aus Sicherheitsgründen abgebaut werden. Nun entschied Präsident Emmanuel Macron persönlich, dass sie bleiben dürfen, als "lebendes Kulturerbe", um die "Stadt der Lichter" mehr denn je zum Leuchten zu bringen – und die Unkenrufe verstummen zu lassen.
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