Olympia 2024 in Paris: Grüne Spiele, dann die Gentrifizierung
In einem der ärmsten Départements des Landes entsteht das Olympische Dorf für die Sommerspiele 2024. Dort freuen sich nicht alle auf die größte Sportshow der Welt.
30.10.23, 05:00
von Simone Weiler
Marion Le Paul kommt in bester Stimmung zum Treffpunkt am Eingang der Baustelle in Saint-Denis, nördlich von Paris. Sie hat nur Positives zu vermelden – über deren Fortgang, deren große Umweltverträglichkeit und den Enthusiasmus, den sie und ihr Team verspüren, an der Entstehung des künftigen Olympischen Dorfes mitzuarbeiten.
„Das erfordert gleichzeitig absolute Konzentration und einen langen Atem“, sagt die stellvertretende Generaldirektorin der staatlichen Projektgesellschaft Solideo, die alle 68 olympischen Bauten und Strukturen verantwortet, mit einem Gesamtbudget von 3,8 Milliarden Euro, davon 1,7 Milliarden öffentliche Mittel.
Das „Dorf der Athleten“, wie es auf Französisch heißt, erstreckt sich über 52 Hektar und verteilt sich auf drei Kommunen im Pariser Norden: Saint-Denis, Saint-Ouen und L’Île-Saint-Denis. Sie befinden sich in Seine-Saint-Denis, dem ärmsten Département Frankreichs. Und sie sollen vom sportlichen Großereignis im Sommer 2024 und den Riesen-Investitionen dauerhaft profitieren.
Sozialwohnungen
So kommen in den 2.800 neuen Wohnungen während der Olympischen Spiele 14.500 Athleten und während der Paralympics 6.000 Athleten unter. Später entstehen Behausungen für 6.000 Personen, darunter ein Viertel Sozialwohnungen. Ein Teil der Gebäude wird zudem umgewandelt in Büros, Geschäfte, eine Schule und eine Kinderkrippe. Marion Le Paul zufolge wird auf der aktuellen Baustelle so innovativ, umwelt- und klimaschonend wie nie zuvor gearbeitet.
Der Bau verursache 47 Prozent weniger CO2-Ausstoß als bei herkömmlichen Verfahren, unter anderem durch die Verwendung von viel Holz und CO2-armem Beton, der vor Ort hergestellt wurde. Der Einsatz von Schiffen zum Transport über die Seine erlaubte die Einsparung von insgesamt 25.000 Lastwagenfahrten.
Bei der Planung habe man an die spätere Verwendung gleich mitgedacht. „Etwas für die Spiele zu errichten und im Anschluss nutzlos herumstehen zu lassen, das passt nicht mehr in die heutige Zeit.“ So gibt es in jedem Wohnzimmer einen zusätzlichen, durch Trennwände abgegrenzten Schlafraum. Erst später werden dort Küchen eingebaut, denn die Sportler brauchen keine.
Spiele in Paris: Vom 26. Juli bis zum 11. August 2024 finden die Olympischen Spiele in Paris statt. Frankreichs Hauptstadt ist damit zum dritten Mal Gastgeberin des größten Sport-Events der Welt – nach 1900 und 1924.
Im Anschluss finden die Paralympischen Spiele statt: vom 28. August bis zum 8. September.
3,8 Milliarden Euro wendet Frankreich für die Organisation der Spiele auf.
Riesiges Restaurant
Im aktuellen Filmzentrum „Cité du Cinéma“ entsteht ein gigantisches Restaurant, in dem täglich 40.000 Essen zubereitet werden. Vier große Baukonzerne verkaufen oder vermieten die Wohnungen nach Olympia. Der Quadratmeterpreis von 7.000 Euro liegt über dem Durchschnitt für die Gegend, in der viele Familien und viele Einwanderer leben. Gerechtfertigt wird er mit den „qualitativen Vorrichtungen“. Eine Gentrifizierung sei unvermeidbar, sagt der auf die Pariser Vorstädte spezialisierte Historiker Pierre-Jacques Derainne.
Skepsis kommt auch von Anwohnern. Hamid Ouidir, Mitglied des „Komitees der Wachsamkeit über die Olympischen Spiele in Saint-Denis“ und des Elternbeirats einer dortigen Schule, kritisiert vor allem neue Autobahnzubringer, durch die mehrere Schnellspuren künftig direkt an einem Schulkomplex vorbei führen. „Zuvor war die Autobahn 120 Meter entfernt, bald sind es nur noch zwölf Meter – das ist eine Katastrophe für die Luftqualität“, ereifert sich der 50-Jährige. „Sie haben eine Frist, die zählt, nämlich der Beginn der Olympischen Spiele 2024 – und lehnen alles ab, was das Projekt verlangsamen könnte.“
Tatsächlich gibt es einen Zeitplan. Fertig werden die Wohnungen bis Ende dieses Jahres, die Schlüsselübergabe an die Vertreter der Spiele erfolgt am 1. März. Ab Herbst 2024 beginnen dann neue Arbeiten, um aus einem Olympischen Dorf ein lebendiges Stadtviertel zu machen.
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