Viele Israelis haben frei, und sie fallen unter den Passanten auf. Ein Chasside mit Pelzhut läuft gewohnt eilig zur Klagemauer. Langsamer bewegt sich eine junge Familie in der Stiegengasse. Ein Kind an der Hand, das Jüngste auf dem Arm, den Kinderwagen im Schlepp: „Das ist unser erster Ausflug seit Sommer, und in der Altstadt waren wir schon Jahre nicht mehr.“ Sie sind Jerusalemer und genießen die Freiheit des kurzen Ausflugs.
Noch kommen keine Touristen ins Land, aber vor der Grabeskirche trifft sich alle Welt: Ausländer – Studenten, Diplomaten oder Gastarbeiter. Sie studieren oder arbeiten in Israel und leben hier. Viele in der Altenpflege, im Baugewerbe oder in der Landwirtschaft. Eine Buntheit, die daran erinnert, dass katholisch „allumfassend“ heißt. Eine Philippinin erklärt drei japanischen Studenten die Bedeutung des Gründonnerstags, dem „Maundy Thursday“. Als ihr Englisch nicht mehr ausreicht, fällt sie ins Hebräische. Die drei jungen Japaner hören nickend weiter aufmerksam zu. „Schtifat reglaim“ heißt Fußwaschung. Was jede Altenpflegerin weiß und japanische Studenten nach zwei Semestern an der Hebräischen Universität verstehen.
Shola und ihre beiden Freundinnen knien am Salbungsstein gleich hinter dem Eingang der Grabeskirche. Die drei Inderinnen reiben ihre Rosenkränze am Marmor, auf dem der Tradition nach Jesus’ Leichnam aufgebahrt lag. „Dann haben die Rosenkränze mehr Kraft, wenn wir beten.“ Shola arbeitet als Altenpflegerin. „Deshalb bin ich auch geimpft. Wie meine alte Frau, bei der ich wohne.“
Zunächst bleiben die Katholiken hier unter sich. Die Ostkirchen feiern ihr Osterfest eine Woche später. So sind nur katholische Kleriker zu sehen. Mit dabei im roten Chorgewand Pierbattista Pizzaballa, der lateinische Patriarch. Freundlich lächelnd, einmal segnend, einmal Hände schüttelnd: „Dieses Jahr herrscht wieder Freude. Nicht die Trauer wie im Corona-Jahr. Dank der Impfungen. Mehr als die Hälfte der Einwohner ist geimpft. Von den Christen sind es sogar schon 90 Prozent. Das Leben erwacht.“ Noch dürfen die Pilger wegen der Infektionsgefahr aber nicht ins enge Grab, doch sie stehen wieder davor.
Auch zwei Franziskaner wachen hier am Gründonnerstag, nicht wie sonst griechische Mönche. So will es der Status quo mit mehr als 2.000 Regelungen, die 1767 erlassen wurden: Wer darf wo und wann und was und wie: putzen, Kerzen anzünden, löschen, stehen, sitzen, Prozessionen führen – und, ja, auch beten. 1856 wurde das Regelwerk bekräftigt. Gleich nach dem Krim-Krieg, der nicht zuletzt wegen christlicher Streitereien am Heiligen Grab ausgelöst worden war.
Seit damals steht die kleine Leiter am rechten Fenster über dem Eingangstor. Armenische Mönche züchteten Gemüse auf dem Fenstervorsprung, sagen die einen. Andere meinen, griechische Mönche kletterten hier ein und aus, wenn die muslimischen Wächter das Tor
oft lange verschlossen hielten. „Auf jeden Fall streiten sich Armenier und Griechen jetzt, wer sie wegräumen darf“, erklärt ein hebräischer Fremdenführer seiner israelischen Gruppe. Niemand lacht, Streit unter frommen Gläubigen gehört in Jerusalem einfach dazu. Auch unter Juden.
Schon um ein Uhr, andere sagen um zwölf Uhr, verschließt am Gründonnerstag der Muslim Adib Dschoudeh den Eingang zur Grabeskirche. Warum die Diskrepanz? Der Status quo kennt keine Sommerzeit.
Fest steht jedenfalls, dass die Dschoudehs die Schlüssel zur Grabeskirche seit Jahrhunderten in ihren Händen halten. Zu Ostern trägt Adib Schwarz und erklärt den Hintergrund der muslimischen Schlüsselgewalt: „Christen würden sich hier nur gegenseitig aussperren.“ Im Corona-Jahr habe es aber wenigstens keine „Prügeleien“ gegeben, erinnert sich ein drusischer Polizist, der schon über Jahre Dienst um die Kirche versieht und manchmal auch drinnen nach dem Rechten sehen muss. Wie es heuer werde? Schulterzucken – die Leiter am Fenster steht jedenfalls noch immer da.
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