Organspende: Deutscher Bundestag lehnt österreichisches Modell ab

Organspende: Deutscher Bundestag lehnt österreichisches Modell ab
Tausende Menschen warten in Deutschland auf eine Organspende - ein Vorschlag zur Neuregelung fiel durch. Das zeigt, wie heikel die Debatte ist.

Über das Ziel - mehr kranke Menschen mit lebensrettenden Organen zu versorgen - waren sich die Abgeordneten im Deutschen Bundestag einig, doch über das Wie wurde heute Vormittag emotional und kontrovers diskutiert. Es gehe um eine "Entscheidung von großer Tragweite", kündigte Bundestags-Vizepräsident Thomas Oppermann im Plenum an. Viele schwerkranke Menschen und Angehörige verbänden mit der Abstimmung große Hoffnungen. "Aber diese Hoffnung werden wir enttäuschen, wenn wir uns für ein nur leicht verändertes "Weiter so" mit der Zustimmungsregelung entscheiden."In Deutschland warten laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation etwa 9.400  Menschen auf eine Niere, Lunge oder ein Herz. Im Schnitt sterben täglich drei davon, weil sie nicht rechtzeitig ein passendes Organ bekommen.  

Bundestag stimmt für Entscheidungsregelung bei der Organspende

Geplant war, eine ähnliche Regelung wie jene in Österreich einzuführen - wer sich nicht ausdrücklich und schriftlich gegen eine Organspende ausspricht, ist hierzulande automatisch Organspender. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) plädiert seit Monaten dafür. Sein Vorschlag: Jede Bundesbürgerin und jeder Bundesbürger sollen danach ab dem 16. Geburtstag vor die Wahl gestellt werden, im Falle eines Falles Organspender zu sein. Wer keine Antwort auf diese Frage gibt, also nicht widerspricht, wird im Todesfall automatisch potenzieller Organspender. Unterstützung bekam er unter anderem von SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach: Die Anzahl der Spender in den Nachbarländern sei deutlich höher, bemerkte der SPD-Mann. "Es fehlt eine einfache, unbürokratische Regelung, wie man zum Spender wird." Dies sei für ihn die Widerspruchslösung.

 

Doch diese geht vielen zu weit. Es ginge an diesem Tag nicht nur um die Frage, wie man zu mehr Transplantationen komme, sondern auch darum: "Wem gehört der Mensch? In unseren Augen gehört er nicht dem Staat, nicht der Gesellschaft, er gehört sich selbst", erklärt Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Auch in Spahns eigener Partei gab es im Vorfeld Kontra: Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: "Ich bin aus tiefer Überzeugung für eine Lösung, die das Prinzip der Freiwilligkeit akzeptiert." Spahns Vorgänger, Hermann Gröhe, sprach sich für eine "Entscheidungslösung" ein, bei der die Bürger bei Arztbesuchen, Ausweisverlängerungen und Behördengängen um eine Entscheidung gebeten und daran erinnert werden sollen. Am Ende fiel der Enwurf durch: In namentlicher Abstimmung votierten 379 Abgeordnete dagegen, 292 Parlamentarier unterstützten ihn, 3 enthielten sich.

Hausärzte sollen regelmäßig aufklären

Zustimmung gab es hingegen für einen Alternativ-Vorschlag, den eine parteiübergreifende Gruppe um die Vorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock, und der Linken, Katja Kipping, erarbeitet hat: Dieser sieht vor, dass Bürger mindestens alle zehn Jahre direkt angesprochen werden. Wer ab dem Alter von 16 Jahren einen Personalausweis beantragt, ihn verlängert oder sich einen Pass besorgt, soll auf dem Amt Informationsmaterial bekommen. Beim Abholen soll man sich dann vor Ort oder auch später zu Hause in ein neues Online‐Register eintragen können ‐ mit Ja oder Nein. Zudem soll Grundwissen über Organspenden Teil der Erste‐Hilfe‐Kurse vor einer Führerscheinprüfung werden.

Auch Hausärzte bekommen eine tragendere Rolle und sollen regelmäßig aufklären und Patienten bei Bedarf alle zwei Jahre über Organspenden informieren und zum Eintragen ins Register ermuntern ‐ aber ergebnisoffen und mit dem Hinweis, dass es weiter keine Pflicht zu einer solchen Erklärung gibt. Ohne ausdrückliche Zustimmung des Verstorbenen soll es also weiterhin keine Organentnahme geben. 432 Abgeordnete waren dafür, 200 dagegen und 37 enthielten sich.
 

Lage in Österreich

Österreich, das von den Befürwortern der "Widerspruchslösung" als Vorbild genannt wurde, liegt bei Transplantationen im Spitzenfeld – fachlich, aber auch zahlenmäßig: Laut dem jüngsten österreichischen Transplantationsbericht führt Spanien mit 113,3 Transplantationen pro Million Einwohner, gefolgt von Belgien (94,5), Frankreich (94,0) und Österreich (90,0). Damit liegt Österreich bei einem Vergleich von 23 Staaten (22 europäische und die Türkei) an vierter Stelle.

Dennoch sterben auch hierzulande Menschen auf der Warteliste. Im Zeitraum 2013 bis 2018 waren es bei der Leber 9 Prozent, beim Herz 8 Prozent, der Lunge 6, Niere 4 und Bauchspeicheldrüse 1 Prozent der wartenden Patienten, zeigt der österreichische Transplant-Jahresbericht 2018. Die Wartedauer auf eine Niere betrug im Zeitraum 2013 bis 2018 ab der ersten Dialyse bis zur Transplantation 38 Monate, ab der Aufnahme auf die Warteliste 17,2 Monate. Die Wartezeit auf eine Leber lag bei 1,7, auf ein Herz bei 3,5 und auf eine Lunge bei 4,2 Monaten. Auf eine Bauchspeicheldrüse wartete man 6,2 Monate. Das Potenzial  verstorbener, Organspender ist vermutlich höher als der aktuelle Ausschöpfungsgrad – steht im Transplant-Jahresbericht 2018. Wichtig wären demnach auch Schulungen, um Organspender zu erkennen und intensivmedizinisch zu betreuen. Ebenso wie neue Technologien, die die Zahl der Organe, die nach der Entnahme verwendet werden können, erhöhen.
 

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