Österreichs Bewerbung für den UN-Sicherheitsrat: "Neutralität ist ein Vorteil"

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Österreich bewirbt sich um einen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Schweden saß 2017/2018 bereits dort – die damalige Außenministerin Margot Wallström erklärt, wie mächtig Österreich wäre.

"Künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren" – so ist das Ziel in der Charta der Vereinten Nationen, dem Gründungsvertrag der UN, formuliert. Geglückt ist es nicht. 

80 Jahre nach ihrer Gründung stehen die UN in Kritik, werden vermehrt hinterfragt und angezweifelt. Just in dieser Zeit bewirbt sich Österreich um einen nicht-ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat für die Periode 2027/2028. Schweden hatte so einen erst unlängst inne, nämlich in jener Zeit, als Margot Wallström, die "Erfinderin" feministischer Außenpolitik, schwedische Außenministerin gewesen ist. Ganz unmächtig wäre Österreich dort nicht, sagt sie, und nennt Österreichs militärische Neutralität einen Vorteil – die Schweden mit seinem NATO-Beitritt 2024 abgelegt hat. 

KURIER: Vor 80 Jahren wurden die Vereinten Nationen gegründet, und die am häufigsten gestellte Frage lautet, ob die UN noch ihren Zweck erfüllen. Wie lautet Ihre Antwort darauf?

Margot Wallström: Ja und nein. Ich war unlängst bei einem Treffen, bei dem es viel Kritik an den Vereinten Nationen gab. Bis sich eine afghanische Frau zu Wort gemeldet und gesagt hat: "Ohne die UN hätten wir niemanden." Was sie meinte: Alle Hilfsorganisationen oder militärischen Einheiten haben Afghanistan verlassen, und sie, die Frauen, zurückgelassen. Nur die Programme der UN sind noch vor Ort. Diese Maßnahmen, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, sind für uns unsichtbar, aber sie sind für viele unverzichtbar. Der Sicherheitsrat hingegen muss sich berechtigterweise die Kritik gefallen lassen, die aktuellen Kriege auf der Welt nicht gestoppt zu haben.

Woran scheitert es im Sicherheitsrat – an den Strukturen, der Machtanhäufung der ständigen Mitgliedern oder an den Ländern selbst?

Eine Organisation ist nur so gut, wie es ihre Mitglieder zulassen. Wenn sich immer mehr Länder von multilateralen Lösungen abwenden, wenn sie die Finanzierung einstellen, immer häufiger ihre Vetomacht im Sicherheitsrat einsetzen, wird auch die Organisation schlechter. Russland hat während seiner Präsidentschaft im Sicherheitsrat ein Nachbarland angegriffen, das ist der offensichtlichste Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen.

Unter Wallström war Schweden nicht-ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats (2017/2018).

Unter Wallström war Schweden nicht-ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats (2017/2018). 

Stichwort Vetos – besteht überhaupt eine realistische Chance, dass die Vetomächte einer Einschränkung ihrer Macht im Sicherheitsrat zustimmen?

Ich sehe die Verantwortung bei den restlichen Ländern der Welt, die UN zu verteidigen. Der Vorschlag, dass jedes Mal, wenn im Sicherheitsrat ein Veto eingelegt wird, eine formelle Sitzung der Generalversammlung einberufen werden muss, um die Entscheidung zu diskutieren, kam vom winzigen Land Liechtenstein (die Resolution wurde 2022 angenommen: Unter den Fürsprechern fanden sich die drei Vetomächte USA, UK und Frankreich; China und Russland waren dagegen, Anm.). Das war ein erster Schritt. Auch die nicht-ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat können Druck ausüben, wenn sie sich zusammenschließen.

Österreich will so einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat. Wie könnte Österreichs Beitrag aussehen? 

Schweden hat 2017 und 2018 zum Beispiel dafür gesorgt, dass nach jeder Sitzung transparent Ergebnisse kommuniziert werden, und wenn es nur eine Pressekonferenz oder Presseerklärung ist. Und wir haben uns bemüht, genauso viele weibliche wie männliche Referenten im Sicherheitsrat abzustellen, und in den Resolutionen Frauen explizit zu benennen.

Inwiefern ist Österreichs militärische Neutralität ein Vorteil für die Bewerbung? 

Österreich stellt für niemanden eine Bedrohung dar und ist historisch bekannt als ein Land, in dem Parteien zusammenkommen und miteinander reden. Gerade wir verstehen das gut. Schweden ist in der gleichen Situation gewesen sind, die uns 200 Jahre lang von Kriegen verschont hat.

Aber Schweden hat seine Neutralität schlussendlich aufgegeben. 

Das stimmt, weil Finnland es auch getan hat. Diese Entscheidung hat unser Schicksal in Bezug auf die NATO-Mitgliedschaft maßgeblich bestimmt. Es wäre für uns sehr seltsam gewesen, militärisch bündnisfrei zu bleiben. Was ich sagen möchte, ist, dass die Neutralität sicher nie ein Nachteil gewesen ist.

Welchen Rat können Sie Österreich geben?

Sicherstellen, dass man so gut wie möglich dieses Ziel gemeinsam verfolgt, über alle politischen Parteigrenzen hinweg. Und dass man die Öffentlichkeit am Laufenden hält, was vor sich geht. Und dass man die Jugend im Prozess mitnimmt. Warum organisiert man nicht ein großes Treffen für junge Menschen in Österreich, um über die Vereinten Nationen aufzuklären?

Vor knapp einem Jahrzehnt haben Sie als erste Außenministerin den Begriff "feministische Außenpolitik" gewählt, heute ist er für viele fast schon ein Kampfbegriff und polarisiert. Verwenden Sie ihn trotzdem noch?

Natürlich. Ich hatte auch nichts anderes erwartet, als dass er polarisieren würde. Wir konnten nicht länger einfach nur über Geschlechtergleichheit sprechen, niemand hat sich dafür interessiert. Bei so einem Begriff werden die Leute erst einmal neugierig. Was ist damit gemeint? Für mich bedeutet es, dass Frauen und Männer sowie Jungen und Mädchen die gleichen Rechte, Pflichten und Chancen haben, egal wo auf der Welt. So einfach ist das. Es geht nicht um Identitätspolitik. Es geht um praktische Politik, die auf Rechte, Repräsentation und Ressourcen abzielt.

Wie schaut so eine konkrete Politik zum Beispiel aus, damit sie nicht nur ein Stempel wird?

Die Situationen sind natürlich unterschiedliche in den Ländern, aber weltweit erleben wir gerade den Abbau von Frauenrechten. Afghanistan ist dafür das schlimmste Beispiel. Können Frauen ein Bankkonto eröffnen und den Beruf ausüben, den sie möchten? Verdienen sie gleich viel wie Männer? Können Mädchen zur Schule gehen und sich kleiden wie sie wollen, oder werden sie mit 14 Jahren verheiratet? Wer sitzt an den Tischen, die diese Entscheidungen treffen? Eine konkrete feministische Politik wäre etwa zu sagen, wir gewähren 200 Journalistinnen aus Afghanistan oder dem Iran Zuflucht, und geben ihnen die Möglichkeit, zu berichten, wie Frauen und Mädchen in Afghanistan leben. In Schweden unterstützen wir seit zehn Jahren die Ausbildung von Hebammen weltweit, um die Gesundheit von Müttern und Neugeborenen zu verbessern.

Hinweis: Wallström war unlängst beim Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC) zu Gast in Wien.

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