Die UNO: UN-nötig oder doch UN-verzichtbar?

Verknotete Pistole als Symbol für Gewaltlosigkeit: Skulptur vor dem UN-Hauptgebäude in New York
Seit dreieinhalb Jahren wehrt sich die Ukraine verzweifelt gegen den blutigen Angriffskrieg Russlands. Im Sudan tobt ein grausamer Bürgerkrieg, und aus Gaza kommen jeden Tag nur noch schrecklichere Nachrichten von Tod, Hunger, Bomben und Schüssen. Israel begehe im Palästinensergebiet sogar Genozid, heißt es in einem Bericht des UNO-Menschenrechtsrats. Und doch können die Vereinten Nationen (United Nations, UN) diese Weltorganisation, die sich Frieden als oberstes Ziel in ihre Gründungscharta geschrieben hat, keinen dieser derzeit tobenden Kriege und Konflikte beenden.
Die UNO mitsamt ihren 193 Mitgliedsstaaten wirkt machtlos und blockiert. Das Völkerrecht, dessen Hüterin sie ist, wird missachtet - ist die UNO also 80 Jahre nach ihrer Gründung obsolet geworden?
„Keinesfalls“, hält Völkerrechts- und UN-Experte Stephan Wittich dem entgegen. Krisen habe es in der 80-jährigen Geschichte der UNO immer gegeben: „Man denke nur an den Korea-Krieg, den Kalten Krieg, den Iran-Irak-Krieg, den seit 1948 währenden Nahost-Konflikt – wegen der Blockade der ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat hat es kaum Fortschritte gegeben. Das Problem ist, dass die großen Staaten wie die USA, Russland oder auch China den Grundsatz des Gewaltverbotes nur noch feigenblattartig vor sich hersagen.“ Aber das mache die Vereinten Nationen, sagt Wittich, „nicht obsolet. Im Gegenteil sind kleine und mittlere Staaten gut beraten, im System zu bleiben und das System weiter zu stärken.“
Zudem stehe die UNO für viel mehr als nur für die Generalversammlung, das Hauptquartier und viel Bürokratie: Da sind zu einem die durchaus erfolgreichen Unterorganisationen und Agenturen der UNO – angefangen von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) über die Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO) – beide übrigens am UNO-Standort Wien beheimatet – bis hin zum extrem wichtigen UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Knapp 38 Millionen Flüchtlinge weltweit werden derzeit vom UNHCR betreut, versorgt, am Leben gehalten.Für die meisten Menschen weithin unbekannt gibt es zudem ein riesiges Feld an weltweiten Kooperationen und

Der UN-Sicherheitsrat tagt
Die Generalversammlung
Einmal im Jahr, immer Ende September, kommen die Staats- und Regierungschefs der UNO zur Generalversammlung der Vereinten Nationen ins berühmte Hauptquartier der UN nach New York. Heuer zum ersten Mal dabei: Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP), aber auch Außenministerin Beate Meinl-Reisinger. Bundespräsident Alexander van der Bellen hat die Generalversammlung schon mehrmals besucht. Binnen weniger Tage sind Dutzende bilaterale Gespräche der drei österreichischen Politiker mit anderen Spitzenpolitikern aus der ganzen Welt angesetzt.
US-Präsident Donald Trump
wird am Dienstag seine Rede vor der von ihm gering geschätzten UNO halten.
193 Mitgliedsstaaten
zählen die heuer 80 Jahre alt gewordenen Vereinten Nationen. Österreich ist seit 70 Jahren dabei. Das jüngste Mitglied ist der Südsudan – seine Aufnahme erfolgte 2011.
Spezialorganisationen – dort funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Russland, China und den USA meist klaglos.
Wo die Kooperation klappt
Bei der Internationalen Maritime Organisation (IMO), die sich für Sicherheit und Regeln der internationalen Schifffahrt einsetzt. Oder bei der Weltorganisation für Meteorologie (WMI). Oder bei der Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO), aus der sich kein Staat mehr ausklinken kann – andernfalls würde die zivile Luftfahrt zusammenbrechen.
Und doch sind es nun einige dieser Spezialorganisationen, die schwer zu kämpfen haben. Der Grund liegt bei den USA, bei der stets UNO-kritischen Trump-Administration. Schon in seiner ersten Amtszeit hatte der US-Präsident die Vereinten Nationen angefeindet, ihr teilweise den Geldhahn abgedreht. Dass im weltberühmten UN-Hauptgebäude in New York die Klimaanlage nur noch auf halber Kraft fährt, ist eine spürbare Folge davon.
Viel schwerwiegender aber wiegt der von Trump forcierte Austritt der USA aus der UNESCO, jener Organisation, die u.a. für das Ernennen von Weltkulturerbestätten bekannt ist. Oder der Rückzug aus der Weltgesundheitsorganisation WHO und aus dem Palästinenserhilfswerk UNRWA.
Der generelle Vorwurf: Alles zu woke, zu pro-chinesisch, zu anti-israelisch, aber vor allem zu antiamerikanisch. Die Folge dieser Abkehr: Aus Washington fließt kein Cent mehr in diese UN-Organisationen. Die von den USA hinterlassene Finanzlücke bleibt bedrohlich.
Doch trotz aller verächtlichen Kommentare Donald Trumps gegenüber der UNO ist ein Austritt der USA aus den Vereinten Nationen kein Thema. Nach wie vor sind die USA mit 22 Prozent des Grundbudgets der UNO der weltweit größte Beitragszahler.

Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York
China berappt mittlerweile auch bereits 20 Prozent. Überdies weiß die Führung in Peking die UNO geschickt für ihre eigene, weltweite Bedeutung zu nutzen, besetzt allmählich immer mehr und immer höhere Posten mit eigenen Landsleuten. Die gestiegene Weltmacht der Volksrepublik aber spiegelt sich vor allem im UN-Sicherheitsrat wider. Dort hat China so wie die anderen vier ständigen Mitglieder – USA, Russland, Großbritannien und Frankreich – Vetorecht. Und dort nutzt Peking fast immer die Chance, seinen Verbündeten Russland wegen dessen Angriffs auf die Ukraine vor kritischen UN-Resolutionen zu bewahren.
Die Großmeister der Vetos
Die meisten Vetos in der Geschichte der UNO aber haben die frühere UdSSR bzw deren Nachfolger Russland sowie die USA eingelegt. Und so ist es nach wie vor: So wie Russland jede Ukraine-Resolution im mächtigsten UN-Gremium blockiert, so blockieren die USA fast jede Israel-kritische Resolution zum Krieg in Gaza. Fazit: Ausgerechnet jenes UNO-Gremium, das den Frieden auf der Welt sichern sollte - ist durch Vetos nahezu ständig lahmgelegt.
„Das Vetorecht auf dieser Ebene ist absolut kontraproduktiv und zerstörerisch“, bestätigt UN-Experte Stephan Wittich. „Das war ein Denkfehler, der den Gründerstaaten der Vereinten Nationen 1945 unterlaufen ist. Es war die Hoffnung, die die damaligen Siegerstaaten des Weltkrieges hegten, sie würden ihrer Verantwortung für Frieden und internationale Sicherheit gerecht werden. Das mag damals gegolten haben, was ja allerdings auch nicht lang gestimmt hat – siehe den Korea-Krieg.“
Dass sich die Veto-Mächte ihr stärkstes Instrument aus der Hand nehmen lassen, gilt als ausgeschlossen. Und so drehen sich alle Rufe nach einer Reform der UNO vor allem darum, dass im Sicherheitsrat nun mindestens auch ein afrikanischer Staat und eventuell auch ein weiterer asiatischer Staat aufgenommen werden müsste – wenn auch ohne ein Recht auf Veto.
Doch so sperrig, so blockiert, so unreformierbar die UNO erscheint, ist Experte Wittich dennoch überzeugt: „Die Welt ohne die UNO wäre keine bessere Welt.“
Nächster Serien-Teil: Österreichs Werben um einen Sitz im Sicherheitsrat.
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