Warum Österreich beim politischen Speed-Dating in der UNO mitmacht

++ HANDOUT ++ SITZUNG DER UNO-VOLLVERSAMMLUNG ZUM 80. JAHRESTAG DER VEREINTEN NATIONEN: VAN DER BELLEN / STOCKER / MEINL-REISINGER
Van der Bellen, Stocker und Meinl-Reisinger absolvieren in New York innerhalb weniger Tage Dutzende Treffen mit Staats- und Regierungschefs. Österreich braucht Stimmen für einen Platz im UNO-Sicherheitsrat.

„Sie brauchen erst gar nicht zu versuchen, ein Taxi zu bekommen. Sie bleiben sowieso im Stau stecken“, ruft eine ältere Dame, die forschen Schrittes vorbei geht. „Nehmen Sie die U-Bahn“, rät sie, „diese Woche ist Generalversammlung der UNO.“ 

Tatsächlich heulen die Sirenen der New Yorker Polizeiautos Tag und Nacht ohne Unterlass, Autokolonnen quälen sich, wenn überhaupt, im Schritttempo durch die Straßenschluchten voran. Sicherheitssperren in ganz Manhattan, Leibwächter in gefühlt jedem Stockwerk in jedem Hotel rund um das New Yorker UN-Hauptgebäude am East River.

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Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (Neos) in New York City.

Fast alle sind sie da, die Staats- und Regierungschefs von 193 UNO-Mitgliedsstaaten, ihre wichtigsten Minister und Diplomaten-Delegationen. Eine Gelegenheit, mit Dutzenden von ihnen zu sprechen, die dieser Tag Österreichs Bundespräsident Alexander van der Bellen, Kanzler Christian Stocker (ÖVP) und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (Neos) nicht auslassen konnten.

Es gilt, Stimmen zu sammeln, sich die Unterstützung möglichst vieler Staaten zu holen, damit Österreich wieder einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat ergattert.

Fünfzehn Mitglieder hat dieses mächtigste Gremium der UNO, fünf davon mit Veto-Recht, zehn wechseln alle zwei Jahre. Österreich will dort wieder einmal mitspielen, es wäre in Österreichs UNO-Geschichte das dritte mal - doch dafür muss ein Land gewählt werden - und dafür heißt es Wahlkämpfen.

Stocker sprach während Trumps Rede mit Chinas Nummer zwei

Auf der Tagesordnung des politischen Dreigestirns aus Österreich stand daher dieser Tage in New York: diplomatisches Speed-Dating, was das Zeug hergibt. An die 60 bilaterale Gespräche haben sich Van der Bellen, Stocker und Meinl-Reisinger selbst verordnet, für Verschnaufpausen bleibt da im Big Apple kaum Zeit. 

Stocker etwa konnte Trumps einstündige Wutrede vor der Vollversammlung nicht hören, weil der Kanzler gerade ein Treffen mit Pakistans Premierminister Shehbaz Sherif und dann auch noch mit Chinas Ministerpräsidenten Li Qiang absolvierte.

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Bundeskanzler Christian Stocker (links) sprach mit Chinas Nummer zwei: Ministerpräsident Li Qiang.

Relativ ungezwungen, mit weniger Diplomaten als sonst auf der jeweils eigenen Seite zur Begleitung, sei das Gespräch mit Chinas Nummer zwei "sehr gut" verlaufen, erzählt der Kanzler. Da sitzt man, während gleichzeitig hunderte Gespräche dieser Art auf einem speziellen Stockwerk des UN-Gebäudes abgehalten werden, in einer Art "provisorischem Kammerl", erzählt eine Kennerin der Lage. Manchmal sind bei den "bilaterals" der hohen Politiker gar nur zwei Diplomaten anwesend.

Ein paar Sessel, zwei Landesfahnen auf dem Tisch, farbiger Teppichboden ("für die Wohnzimmeratmosphäre", sagt die Kennerin) und große Paravents zur Abtrennung von den anderen. Der Vorteil: Binnen kurzer Zeit lässt sich besprechen, worum Österreich wirbt: um die Zustimmung der Länder, etwa von Indien bis Kiribati, von Vietnam bis zu winzigen Karibikinseln. 

Denn egal, wie klein ein Staat ist: Jede Stimme zählt - mindestens 129  der 193 UNO-Staaten braucht Österreich, um ab 2027 wieder zwei Jahre im Sicherheitsrat Platz nehmen zu können.

So laufen die "Speed Dates" am Rande der UNO-Vollversammlung ab

Außenministerin Meinl-Reisinger wird bis Freitag die meisten sogenannten "bilaterals" absolviert haben, mehr als 30 an der Zahl. Verhandelt wird immer auf derselben politischen Flughöhe: Von Minister zu Minister, von Premier zu Premier, von Präsident zu Präsident.

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Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (rechts) im Gespräch mit ihrem iranischen Amtskollegen Mohammed Dschawad Sarif.

Nur in Ausnahmefällen dauern die speed-dating-Treffen länger als 20 Minuten, draußen stehen schließlich schon die nächsten Delegationen, die diverse Weltprobleme anzusprechen haben. 

Und darum geht es auch, bei den Marathon-Treffen der Van der Bellens, Stockers und Meinl-Reisingers - Österreich wirbt, hat aber auch einiges zu bieten: Mehr Wirtschaftskooperation etwa, Zusagen, sich für die politischen Sorgen des Gegenüber-Landes einzusetzen bis hin zur Erneuerung oder Anbahnung von Rückführungsabkommen von illegalen Migranten.

Einige Staaten sagten bereits zu, für Österreich stimmen zu wollen

Hin und wieder ist den drei Politikern die Erschöpfung anzusehen, nach den pausenlosen Gesprächen. Aber die Gelegenheit, sich bei der Generalversammlung in New York ins Zeug zu legen, könne man nicht ungenutzt verstreichen lassen, heißt es von allen Seiten. 

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Bundespräsident Alexander Van der Bellen (links) im Gespräch mit Jordaniens König Abdullah II.

Alles wird im Schnelltempo angesprochen, ohne lange diplomatische Floskeln, auch mit Politikern aus Staaten, mit denen Österreich sonst kaum Berührungspunkte hat. "Und da braucht man keinen zweitägigen Staatsbesuch, keinen militärischen Empfang, kein Staatsbankett... alles geht ruckzuck", schildert eine Diplomatin.

Und am Ende der Speed-Dating-Treffen? Sagen da die Gesprächspartner zu, bei der Wahl im kommenden Juni für Österreich zu stimmen? Manche ja, versichern Stocker, Meinl-Reisinger und van der Bellen. Manche weniger klar. Aber letztlich wird sich die Wahrheit ohnehin erst am Ende zeigen. Die Wahl ist geheim.

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