Als "Ösi" in Berlin, so sagt man in der deutschen Hauptstadt, ist man fein raus: So charmant, der Dialekt, so unkonventionell, der Auftritt!
Das ist meist die Stimmungslage, wenn ein österreichischer Politik in Berlin seinen Auftritt hat. Perfekt zu nutzen wusste das Sebastian Kurz, der sich in einigen Medien – meist jenen vom Springerverlag – gern als Gegenmodell zur drögen "Narkoseärztin" Angela Merkel preisen ließ und damit auch Wahlkampf in Österreich machte. "So einen brauchen wir auch", titelte die Bild, als er harte Corona-Maßnahmen erließ; ein "Klartext-Kanzler" sei er, hieß es da.
In Österreich würde man so etwas über einen deutschen Politiker wohl kaum lesen. Das beschreibt den Unterschied im Politikverständnis ziemlich gut: Während Österreichs Politik stets den Vergleich und die Reibung mit der deutschen sucht, blickt das politische Berlin gern woandershin – etwa nach Paris, Brüssel oder Washington.
Das ist allein aufgrund des wirtschaftlichen und historischen Gewichts unserer Nachbarn irgendwie nachvollziehbar, wird in der österreichischen Politik aber gern als Überheblichkeit des "großen Bruders" wahrgenommen – beklagt wird das aber meist nur hinter verschlossenen Türen.
Mit dieser – freundlich formuliert – indirekten und informellen Art, wie Österreichs Politik funktioniert, hat man in der deutschen Hauptstadt tatsächlich seine Probleme – und das nicht erst seit den vielen Affären und Kanzlerwechseln der letzten Jahre. Merkel etwa stieß sich mehrfach daran, dass ihr unschöne Dinge nicht direkt unter vier Augen gesagt wurden, sondern über die Medien ausgerichtet wurden – meist nach oberflächlich freundlichen bilateralen Treffen.
Live miterleben konnte man solche Missstimmungen (die später gerne als Missverständnisse aufgrund der gemeinsamen Sprache abgetan wurden), als 2015 Abertausende Flüchtlinge durch Österreich Richtung Deutschland zogen. Merkel und SPÖ-Kanzler Werner Faymann standen da in Berlin nebeneinander und unterkühlten sich gegenseitig; er hatte da nach an die FPÖ verlorenen Landtagswahlen begonnen, gegen sie zu polemisieren. Die trockene Merkel, die neben Faymann acht andere österreichische Kanzler kommen und gehen sah, sagte dazu nur: "Faymann kommt mit keiner Meinung rein und geht mit meiner Meinung wieder raus."
Faymann hatte zuvor lange im Windschatten Merkels Politik gemacht. Auch das ist eine Konstante im Verhältnis beider Länder, vor allem auf EU-Ebene, wo Österreich oft dem deutschen Weg folgte. Erst unter Kurz änderte sich das, er suchte bewusst Allianzen mit anderen Europäern, um Merkel an die Seitenlinie zu drängen. Zuletzt war die Folgsamkeit themenabhängig: Beim Verbrenner-Aus kam Österreich erst aus der Deckung, als die Deutschen das Ganze infrage stellten. Bei der Migration preschte Österreich vor und Deutschland zog langsam mit.
"Ösi-Phänomen" FPÖ
Etwas schief angeschaut hat Deutschland die "Ösis" auch lange, was Vergangenheitsbewältigung und die heutigen Auswüchse davon betraf: Eine Partei wie die FPÖ – vor allem in der Regierung! – das könne Deutschland mit seiner Geschichte nicht passieren, war lange die Meinung.
Mittlerweile haben die Deutschen ihr eigenes "Ösi-Phänomen": Die AfD, die teils so rechtsextrem ist, dass sie vom Verfassungsschutz beobachtet wird, kommt in Umfragen auf mehr als 20 Prozent. Und die CDU? Überlegt, ob sie nicht vielleicht doch mit ihr kooperiert.
Eine Flüchtlingsdebatte der anderen Art belastet seit Langem die Beziehung: Die strengen Zugangsbeschränkungen in Deutschland lassen viele Studenten an österreichische Unis ausweichen, wo man sie (wenig liebevoll) als Numerus-Clausus-Flüchtlinge tituliert. Besonders emotional diskutiert wird das Thema in Studienrichtungen, in denen auch in hierzulande Platzmangel herrscht und deren Absolventen am Arbeitsmarkt dringend benötigt werden. Paradebeispiel: Medizin. Im Juli bewarben sich 15.400 Personen – davon viele Deutsche – um nur 1.850 Plätze. Die geltende Quotenregelung, die 75 Prozent der Plätze für Österreicher reserviert, ist umstritten. Unlängst forderte Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), deutsche Bewerber zurückzudrängen: Der Numerus Clausus solle für sie auch in Österreich gelten, so die Idee. Der Vorstoß dürfte am Europarecht scheitern.
In der deutschsprachigen Literatur gelten die Österreicher – darunter Clemens J. Setz – viel, auch die heimischen Dramatiker genießen in Deutschland einen hohen Stellenwert. Etliche Theatermenschen haben in Deutschland Karriere gemacht: Stefanie Reinsperger oder Sophie Rois, Martin Kušej, Nikolaus Bachler oder der verstorbene Peter Simonischek. Und auch die Elbphilharmonie wird von einem "Ösi", Christoph Lieben-Seutter, geleitet.
Ungleich öfters aber ist es umgekehrt: Die Ensembles vieler Bühnen – vom Burg- bis zum Volkstheater – werden von deutschen Schauspielern dominiert; Kolleginnen mit hörbar österreichischer Aussprache werden sogar gemobbt. Daran wird sich in Zukunft nicht viel ändern: Auch die Mehrzahl der Studierenden am Reinhardt-Seminar kommt aus unserem Nachbarland. An den Kunstunis unterrichten erstaunlich viele Deutsche, und mit Vorliebe engagiert man Kulturmanager aus Deutschland: Jüngst wurde Ralph Gleis zum Direktor der Albertina bestellt.
Auf dem Fußballplatz trifft Rivalität im Sport. Es ist nicht nur die gemeinsame Sprache, die Österreicher und Deutsche trennt, es ist auch der Lieblingssport. Nichts spaltet Sportfans der beiden Länder so sehr wie der Fußball, dessen angeblich einigende Wirkung im Fall der beiden Länder sich kaum entfaltet.
Kein Wunder, wenn ein perfides Gurkerl zum banalen Beinschuss wird. "Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen." Dass dieser Kultspruch vom Engländer Gary Lineker ist und nicht von einem österreichischen Fußballphilosophen, ist verwunderlich. Anhänger des hierzulande verehrten, technisch versierten Scheiberlspiels blicken verächtlich auf den kampfbetonten, aber erfolgreichen Kick der Nachbarn. Auch wenn sich der deutsche Fußball zum Besseren gewendet hat.
Von 46 Begegnungen hat Deutschland 26 gewonnen. Weitaus schlimmer schaut es in der überschaubaren Geschichte des Frauenfußballs aus, in der Österreich alle drei Duelle verloren hat. Das passt zum österreichischen Minderwertigkeitskomplex, der sich gegen Deutschland aber zum Größenwahn entwickeln kann und dann Córdoba genannt wird. Dieser "Cordo-Bart" ist mittlerweile schon 45 Jahre alt und noch immer nicht ab. Es ist zum narrisch werden.
"Wir haben einfach zu wenig gewonnen", sagte Cornelius Obonya. Der Schauspieler hat sich vor 13 Jahren im Theaterstück "Córdoba – das Rückspiel" mit dem Thema auseinandergesetzt.
Das mit dem Gewinnen geht in anderen Sportarten viel besser. Und damit sind nicht nur Skifahren oder Snowboarden gemeint. Im Weitenbewerb im Eisstockschießen hat Österreich die Deutschen mit 10:4 Goldenen bei den Männern und 2:0 bei den Frauen fest im Griff. Im Wett-Pflügen ist Österreich seit WM-Auftakt 1953 ohnehin mit 14:0 Titeln eine Übermacht gegenüber dem Nachbarn.
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