Und das wiederum hängt mit dem erst 48-jährigen Oberkommandierenden der Ukrainer zusammen: Valeriy Zaluschnij ist der erste General, der nicht mehr in der Sowjetunion ausgebildet wurde und stark an die NATO ausgerichtet ist. Den Angriff der Russen kommentierte er knapp: "Willkommen in der Hölle!"
Seit der Annexion der Krim 2014 steht Zaluschnij für eine tief greifende Reform der Armee. Doch erst im Juli 2021 wurde der Sohn eines Militärs und Einser-Absolvent der Militärakademie in Odessa von Präsident Wolodimir Selenskij in das höchste Militäramt berufen. Zaluschnij, der eigentlich gemütlich wirkt, ist ein Krieger durch und durch. Ab 2014 kämpfte der verheiratete Vater zweier Kinder fast ohne Unterbrechung in der Kriegsregion Donezk.
Gegenüber Radio Free Europe sagte ein Offizier: Zaluschnij sei jemand, der nicht nur auf dem Papier kämpfe, sondern auch im Feld.
Doch auf dem Papier hatte er gelernt, welche Auswirkungen das sowjetische Erbe auf die Kampfkraft der ukrainischen Armee hatte: Nach Vorbild der Russen war die Kommandostruktur stark zentralisiert. Ein Fehler.
Denn bei der Annektierung der Krim durch die Russen kam offenbar kein einziger Befehl aus Kiew. Daher ergaben sich die Truppen.
Soldaten entscheiden selbst
Zaluschnij zog daraus die Konsequenzen: Er setzt auf kurze Befehlsketten. Er gesteht den Offizieren im Feld mehr Autonomie zu und ordnete an, dass Soldaten an der Front ohne Rücksprache mit der obersten Führung das Feuer erwidern können.
"Bis zu Zaluschnijs Ernennung hatte die ukrainische Armee eine komplett dysfunktionale Kommandostruktur", analysierte Sarah Whitmore von der Universität Oxford Brookes für die NZZ. "Ich möchte mir nicht ausmalen, wie der Krieg jetzt aussähe, wenn die Ukraine immer noch das Team vom letzten Juli an der Spitze des Militärs hätte."
Präsident Selenskij, der absolut kein Militär ist, verlässt sich auf Zaluschnij, mit dem er offenbar auch persönlich gut kann. Im November tauschte er deshalb auch seinen Verteidigungsminister aus, denn der alte war bekannt streitsüchtig.
Die Ukrainer greifen fast schon wie eine Guerillatruppe aus dem Hinterhalt an, blockieren den Nachschub. Mit "Fuck You" als Kampfruf stellen sich auch Zivilisten einer Übermacht in den Weg.
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