Obama gibt Assad noch eine Chance

epa03861034 US President Barack Obama walks along the colonnade of the White House from the residence to the Oval Office to start his day in Washington, DC, USA, 10 September 2013. Obama has agreed to discussions in the UN Security Council to 'explore seriously' a Russian proposal to put Syrian chemical weapons under international control, a White House official said. EPA/KRISTOFFER TRIPPLAAR / POOL
Sollten die diplomatischen Bemühungen scheitern, ist der US-Präsident aber bereit zu einem "gezielten" Militärschlag.

US-Präsident Barack Obama hat den Giftgasangriff gegen die syrische Bevölkerung am 21. August als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" bezeichnet. Die USA wüssten, dass das Regime von Machthaber Bashar al-Assad die Attacke zu verantworten habe, sagte Obama in der Nacht zum Mittwoch in einer Rede an die Nation.

Bereit zum Militärschlag

Die USA seien zu einem begrenzten Militärschlag gegen das syrische Regime bereit, sollten diplomatische Bemühungen zur Vermittlung scheitern, sagte Obama. Der Einsatz von Giftgas stelle eine Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA und seiner Verbündeten wie der Türkei, Jordanien und Israel dar. Derzeit bemühe sich die USA um eine gemeinsame Resolution mit den anderen UN-Vetomächten, um Präsident Bashar al-Assad zur Aufgabe seines Chemiewaffenarsenals zu bewegen. Derzeit sei noch unklar, ob es eine diplomatische Lösung geben könne.

Scheitere die Diplomatie, werde es einen gezielten US-Angriff geben, der auf die Dezimierung der Fähigkeit Assads zum Einsatz von C-Waffen abziele, sagte Obama. Assad solle nicht denken, dass ein Angriff harmlos wäre. "Das US-Militär macht keine Nadelstiche. Selbst ein eingeschränkter Schlag sendet eine Nachricht, die keine andere Nation liefern kann." Das syrische Regime hingegen habe keine Mittel, das US-Militär ernsthaft zu bedrohen.

Keine populäre Maßnahme

Obama gestand ein, dass ein Militäreinsatz beim Volk nicht populär sei. "Es ist kein Wunder, dass Sie schwierige Fragen stellen", sagte der Präsident dem Fernsehpublikum. Er bekräftigte, dass bei einem Militärschlag keine Bodentruppen zum Einsatz kämen. Außerdem werde es sich nicht um einen langen Konflikt wie etwa in Afghanistan handeln. Die USA seien "nicht der Weltpolizist", aber die Regierung in Washington müsse handeln, wenn sich das Ermorden von Kindern verhindern lasse.

Der US-Präsident bat zuvor den Kongress um Zustimmung zu einem möglichen Militärschlag gegen Syrien. Ein Votum darüber wurde auf Drängen des Weißen Hauses jedoch am Dienstag verzögert, da man in Washington die Initiative Russlands, einem Verbündeten des Assad-Regimes, zur Vermittlung abwarten will.

Ständige UN-Ratsmitglieder treffen sich

Die fünf Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat unternehmen indes einen neuen Versuch, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zur Kontrolle der syrischen Chemiewaffen zu einigen. Wie aus Diplomatenkreisen in New York verlautete, sollten im Laufe des Mittwochs Vertreter der USA, Russlands, Frankreichs, Großbritanniens und Chinas zu Beratungen zusammengekommen. Ort und genauer Zeitpunkt wurden nicht mitgeteilt

Den Insidern zufolge sollte unter anderem ein französischer Resolutionsentwurf besprochen werden. Darin sind Strafen vorgesehen, sollte Syriens Präsident Bashar al-Assad seine Chemiewaffen nicht innerhalb einer gewissen Frist internationaler Kontrolle unterstellen. Russland soll dies bereits abgelehnt haben. Am Donnerstag ist ein Treffen von US-Außenminister John Kerry mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow in Genf geplant. Hintergrund der Verhandlungen ist der russische Vorschlag, der einen Angriff der USA auf Syrien wegen des mutmaßlichen Einsatzes von Chemiewaffen verhindern soll.

Giftgas-Bericht der UNO am Montag

Der UNO-Bericht zum Giftgaseinsatz wird für kommenden Montag erwartet, sagte Außenminister Jean Asselborn am Mittwoch im Deutschlandfunk. Asselborn sagte weiter, Russland müsse auf das verbündete Regime von Machthaber Bashar al-Assad einwirken, damit Syrien nun tatsächlich wie angekündigt schnell der internationalen Chemiewaffenkonvention beitritt. "Putin muss Druck machen, dass dies auch geschieht."

Ein Bericht von UN-Menschenrechtsinspektoren wurde bereits am Mittwoch veröffentlicht. Im Bürgerkrieg hätten beide Seiten Massaker begangen, heißt es darin. Rebellen wie Regierungstruppen verüben den Experten zufolge schwerste Verbrechen an Zivilisten. Zudem werde die Lage durch das Auftauchen neuer Gruppierungen immer unberechenbarer. So seien neben islamischen Extremisten mittlerweile auch kurdische Kampfgruppen beteiligt. Der Bericht schließt allerdings noch nicht den Zeitraum des mutmaßlichen Giftgas-Anschlages durch das Regime Assad mit ein.

EU-Barroso: Hilfe für Flüchtlinge

Obama gibt Assad noch eine Chance
Jose Manuel Barroso, Präsident der 28 EU-Kommissare
In seiner Rede zur Lage der Europäischen Union in Straßburg hat Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso die Lage in Syrien als "untragbar" bezeichnet. Es sei wichtig, den syrischen Flüchtlingen und Bürgern zu helfen, aber nur eine politische Lösung sei geeignet, zu einem dauerhaften Frieden zu führen. Barroso ging nicht ausdrücklich auf die jüngste Entwicklung mit der US-Kriegsdrohung gegen Syrien ein. Der Einsatz von Chemiewaffen sei ein unmenschlicher Akt. "Da muss stark darauf reagiert werden", wobei der Kommissionspräsident sich an die internationalen Gemeinschaft wandte, "mit dem Kernstück UNO". Das syrische Regime müsse nun zeigen, dass es bereit sei, die Auflagen bezüglich C-Waffen unverzüglich durchzuführen.

Erleichtert steckt US-Präsident Barack Obama den Colt wieder ein, den er ohnehin nur widerwillig auf Syrien gerichtet hat. Dass das Regime unter Machthaber Assad auf einen einzigen Zuruf Russlands jetzt sein Chemiewaffenarsenal unter internationaler Kontrolle verschrotten lassen will, eröffnete dem Commander in Chief einen Ausweg aus jener Sackgasse, in die er sich selbst hineinmanövriert hatte. Das Weiße Haus verkauft das Einlenken Damaskus’ als Erfolg seiner Syrien-Politik – mit dem Hinweis auf die aufgebaute militärische Drohkulisse.

Das ist Nonsens. Obama stand an der Heimatfront vor dem größten innenpolitischen Debakel seiner Amtszeit. Nicht nur, dass fast zwei Drittel der Amerikaner einen Militärschlag ablehnen, hätte ihn wohl auch der US-Kongress auflaufen lassen. Den Rest seiner Präsidentschaft (bis 2017) hätte er vergessen können. In Wahrheit zog Kreml-Chef Wladimir Putin Obamas Kopf aus der Schlinge und sonnt sich jetzt als großer Vermittler.

Der US-Präsident musste förmlich auf den Deal eingehen – auch wenn er noch so windig ist und Dutzende Fragen offenlässt. An der Grundproblematik ändert das aber gar nichts: Washington hat offenbar nicht die leiseste Idee, wie der Konflikt (politisch) zu lösen ist. Das heißt, das US-Bombardement ist (zunächst) abgeblasen, das Sterben im syrischen Bürgerkrieg prolongiert.

"Ich habe Rufen nach Militäreinsätzen standgehalten, weil wir nicht den Bürgerkrieg anderer durch Gewalt lösen können, vor allem nicht nach einer Dekade des Krieges im Irak und in Afghanistan. Die Situation hat sich aber am 21. August tiefgreifend geändert, als die Regierung von Assad mehr als Tausend Menschen zu Tode vergast hat, darunter Hunderte Kinder. Die Bilder von diesem Massaker machen einen krank. (...)

In dieser schrecklichen Nacht hat die Welt mit grausamen Details die fürchterliche Natur von Chemiewaffen gesehen, und warum die überwältigende Mehrheit der Menschheit sie zu einem Tabu erklärte, zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit und zu einer Verletzung des Kriegsrechts. (...)

Am 21. August wurden diese grundsätzlichen Regeln verletzt und damit unser Gefühl gemeinsamer Menschlichkeit. (...)

Darüber hinaus wissen wir, dass das Assad-Regime verantwortlich war. (...)

Wenn Diktatoren Gräueltaten verüben, dann sind sie davon abhängig, dass die Welt wegschaut, bis diese grausamen Bilder aus dem Gedächtnis verschwinden. Aber diese Dinge sind geschehen. Die Fakten können nicht geleugnet werden. (...)

Wenn wir es nicht schaffen, etwas zu unternehmen, dann wird das Assad-Regime keinen Grund sehen, die Chemiewaffennutzung zu beenden. (...)

Wenn die Kämpfe über die Grenzen Syriens schwappen, dann könnten diese Waffen Alliierte wie die Türkei, Jordanien und Israel bedrohen. (...)

Das ist keine Welt, die wir akzeptieren sollten. (...)

Ich glaube, dass unsere Demokratie stärker ist, wenn der Präsident mit der Unterstützung des Kongresses handelt. (...)

Das gilt vor allem nach einer Dekade, die mehr und mehr kriegerische Macht in die Hände des Präsidenten gegeben hat, und mehr und mehr Last auf die Schultern unserer Soldaten, während die Vertreter des Volkes bei wichtigen Entscheidungen, wann wir Gewalt einsetzen, an die Seitenlinie geschoben werden. (...)

Das US-Militär macht keine Nadelstiche. Selbst ein eingeschränkter Schlag sendet eine Nachricht, die keine andere Nation liefern kann. (...)

Fast sieben Jahrzehnte lang waren die Vereinigten Staaten der Anker der globalen Sicherheit. Das bedeutete mehr, als internationale Vereinbarungen zu schmieden. Es bedeutete, sie durchzusetzen. Die Last der Führung ist häufig sehr groß, aber die Welt ist ein besserer Ort, weil wir sie getragen haben. (...)

In was für einer Welt werden wir leben, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika einem Diktator zusehen, wie er mit Giftgas unverschämt internationales Recht verletzt, und wir entscheiden, wegzuschauen? (...)"

„Diplomatisch lässt sich leicht sagen: Alle Chemiewaffen einsammeln und vernichten. In der Praxis ist das sehr schwierig“, seufzt Oberst Otto Strele, ABC-Abwehroffizier des Bundesheeres. Die Umsetzung des russischen Vorschlags zur Lösung der Syrien-Krise ist „sehr aufwendig, langwierig, heikel und sehr kostspielig“.

Im KURIER-Gespräch nennt Strele ein Beispiel, um eine Ahnung über den Aufwand zu bekommen: Ende der 1990er-Jahre haben die ABC-Experten des Bundesheeres rund 170 mit chemischen Kampfstoffen gefüllte Granaten aus dem Ersten Weltkrieg zerlegt und entsorgt. „Eine ungute Sache im Gummianzug und Vollschutz. Ein Mann kann darin nicht länger als 30, 40 Minuten am Stück arbeiten, dann muss der Nächste weitermachen. Für 170 Granaten haben wir zwei Jahre lang gebraucht.“ Strele hat noch einen Vergleich parat: „Für 20 Liter in Artilleriegeschoße oder Bomben gefüllten Kampfstoff braucht man einen Tag.“

Obama gibt Assad noch eine Chance
In Syrien geht es um gigantische Dimensionen: Rund 1000 Tonnen an Kampfstoffen sollen nach Schätzungen der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) in Syrien lagern. Demnach verfügt das Assad-Regime über das größte Chemiewaffenarsenal im Nahen Osten. Und die Lager der Kampfstoffe sind an mindestens 20 Orten verteilt. Und das in einem vom Bürgerkrieg gebeutelten und durch die verschiedenen kämpfenden Gruppen „zerklüfteten“ Land.

Im Juli hat die Führung in Damaskus den Besitz von biologischen und chemischen Kampfstoffen zugegeben. Dabei soll es sich vor allem um das Kontaktgift Senfgas, das hochgiftige, anhaltend wirkende Nervengift VX und – mengenmäßig am meisten – um das sehr giftige, aber rasch flüchtige Nervengas Sarin handeln.

Um einen logistischen Plan zur Entsorgung und späteren Vernichtung überhaupt erstellen zu können, müsste das Regime folgende Fragen klären: „Welche Kampfstoffe haben sie? Wieviel? Wo? In welchen Gebinden? Und wie groß sind diese?“ Wobei Strele davon ausgeht, dass die syrische Führung der UNO eine lückenlose Auflistung vorlegen wird.

Dennoch wäre es für die UN-Inspektoren, „die wohl diesen Job machen würden“, immer noch schwierig, die Waffen einzusammeln und dann sicher außer Landes zu bringen. „Da bedarf es der militärischen Sicherung der Lagerstätten und Transportwege, damit es nicht zu einem Artillerie-Angriff kommt oder zu Plünderungen.“ Und dann stelle sich die Frage: „Wo ist das nächste sichere Land, in dem die Waffen dann vernichtet werden können?“ Egal, wo und wie, würde die Aktion jedenfalls unglaublich viel Geld kosten.

Wer will das Gift?

Oberstleutnant Erwin Richter von der ABC-Abwehrschule glaubt nicht, dass diese Mengen außer Landes gebracht werden können. „Welches Nachbarland soll das Giftgas auf seinen Boden lassen?“, fragt er. Und einen Transport nach Russland oder in die USA, wo es Einrichtungen gibt, um derartige Kampfstoffe fachgerecht zu entsorgen, hält er nicht nur wegen der enormen Kosten für unwahrscheinlich. „Egal, ob auf der Straße, in der Luft oder auf dem Seeweg. Jeder Transport des Giftgases ist hochriskant. Ich möchte jedenfalls nicht, dass so ein Flieger über uns drüber fliegt.“ Am wahrscheinlichsten ist für Richter, dass es in Syrien an einem entsprechend gesicherten Ort unter Kontrolle der UNO verwahrt und später vernichtet wird. Und selbst wenn – wie im Irak in der Wüste geschehen – diese Kampfstoffe fernab von Menschen und streng gesichert gesprengt und verbrannt würden, würde das Jahre dauern.

Bei einem Luftangriff der syrischen Armee auf ein Feldlazarett in der nördlichen Provinz Aleppo sind am Mittwoch nach Angaben von Aktivisten elf Menschen getötet worden. Unter den Opfern des Angriffs in der Stadt Al-Bab sei auch ein Arzt, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Mittwoch mit. Die oppositionsnahe Organisation mit Sitz in London stützt sich auf ein Netzwerk von Aktivisten und Medizinern in Syrien. Ihre Angaben sind von unabhängiger Seite nur schwer überprüfbar.

Am Montag war eine Schule in der Stadt bombardiert worden, die von Mitgliedern des Al-Kaida-Ablegers "Islamischer Staat im Irak und der Levante" als Rückzugsort genutzt wurde. Mindestens 20 Zivilisten wurden nach Angaben der Beobachtungsstelle am Dienstag in der zentralen Provinz Homs getötet. Kämpfer der islamistischen Al-Nusra-Front und anderer Rebellengruppen griffen demnach drei Dörfer nahe der Stadt Homs an.

Dabei sei es zu heftigen Gefechten mit den Regierungstruppen gekommen, berichtete die Beobachtungsstelle. Die Rebellen hätten in dem Dorf Maksar al-Hissan 16 Anwohner getötet, die wie Staatschef Bashar al-Assad der religiösen Minderheit der Alawiten angehörten. Auch vier Beduinen seien getötet worden.

Die syrische Armee übernahm in der Nacht wieder die Kontrolle über die Ortschaft. Bei den Gefechten verlor sie den Angaben zufolge zwei Soldaten und tötete mehrere Kämpfer der Al-Nusra-Front. Die Regierungstruppen kontrollieren weite Teile der besonders hart umkämpften Provinz Homs.

Kommentare