Nowotny: "Es ist ernst. Das ist allen bewusst"
Von einem erholsamen Wochenende kann für die Regierungschefs und Finanzminister der Euro-Zone wohl keine Rede sein.
Vor dem Krisengipfel am Montag steigt die Spannung, die Nerven liegen blank. "Wir werden uns mit aller Kraft bemühen, eine Lösung für Griechenland zu finden. Alle Seiten müssen sich aufeinander zubewegen. Aber weitere Sitzungen werden folgen", sagt Bundeskanzler Werner Faymann nach etlichen Kontakten mit seinen Amtskollegen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker knöpfte sich am Samstag noch einmal den griechischen Premier Alexis Tsipras vor.
Trotz aller Versuche, den Staatsbankrott Griechenlands in letzter Minute abzuwenden, wird das Schlimmste nicht mehr ausgeschlossen. Das betont auch Österreichs Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny.
KURIER: Herr Gouverneur, wird es nach der Krisensitzung nur mehr heißen: Game over?
Ewald Nowotny: Was sicher ist, mit Ende Juni läuft das Hilfsprogramm für Griechenland aus. EU-Ratspräsident Donald Tusk sagt es: "Es gibt keine Zeit mehr für irgendwelche Spiele. Das ist vorbei." – Es ist ernst. Das ist allen bewusst.
Tusk und Bundeskanzlerin Angela Merkel sprechen von einem Beratungsgipfel. Will man noch mehr Zeit verlieren, obwohl die Angst in Griechenland und in der EU steigt?
Wer wirklich Angst haben muss, sind die griechischen Bürger. Dort haben dramatische Entwicklungen eingesetzt. Die wirtschaftliche Lage wird immer schwieriger. Die Bevölkerung befürchtet di e Einschränkung des Kapitalverkehrs und die vorübergehende Schließung von Banken. Geld wird massiv abgehoben. Im Mai gab es 4,5 Milliarden Euro Abflüsse, allein am Freitag waren es 1,5 Milliarden. Wenn es nicht zu einer Lösung kommt, muss allen bewusst sein, dass – ungeachtet aller politischen Manöver – ökonomisch die Zeit zu Ende geht.
Werden die Euro-Regierungschefs von Tsipras ein Entweder/Oder abverlangen?
Tusk sagte, dass wir nahe dem Punkt sind, wo die griechische Regierung zwischen Akzeptanz eines ausgewogenen Hilfspaketes oder den Weg in einen Staatskonkurs wählen muss. Am Ende des Tages liegt es bei Griechenland, sich zu entscheiden. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass es für die Regierung nicht einfach ist, sie muss auch die innenpolitische Lage berücksichtigen. Umgekehrt gilt aber ganz simpel, ein Staat, der Hilfe von außen braucht, ist de facto nie ein voll souveräner Staat. Deswegen ist das oberste Gebot jeder Politik, nachhaltig zu wirtschaften. Das ist in Griechenland unter den vorhergehenden Regierungen nicht passiert.
Was spricht gegen einen sogenannten Grexit?
Der Grexit ist das Ausscheiden aus der Euro-Zone und die Rückkehr zur Drachme. Griechenland hat Zahlungsverpflichtungen, die es bis Ende Juni erfüllen muss, wenn nicht‚ ist Griechenland technisch bankrott. Die Banken und die Geldversorgung brechen zusammen. Energieimporte müssen rationiert werden. Wirtschaftlich und politisch bedeutet das Chaos. Es bleibt nichts mehr übrig, als aus dem Euro auszuscheiden und zur Drachme zurückzugehen. Die Drachme würde dann rasch an Wert verlieren, das würde kurzfristig die Exporte erleichtern. Importe, speziell Energie, würden teurer werden, die Inflation steigen. Das würde insgesamt eine Gefahr unkontrollierbarer wirtschaftlicher Eskalation heraufbeschwören. Soziale Unruhen wären die Folge. Der Internationale Währungsfonds müsste ins Land gerufen werden. Die Ausgangslage für die IWF-Hilfe wäre dann aber viel schlechter als bisher. Das sind die Folgen für die griechische Seite.
Was würde ein Grexit für die EU bedeuten?
Hier hat sich die Situation verändert. Vor zwei Jahren noch gab es die akute Gefahr, dass ein Zusammenbruch Griechenlands negative Folgen auf andere Südländer hätte. Das ist heute anders: Die Zinsen der Staatsanleihen von Italien, Spanien und Portugal sind kaum in die Höhe gegangen, nicht zuletzt durch die Geldpolitik der EZB. Die Märkte sehen Griechenland als Sonderfall. Die Kosten eines Grexit für Europa wären heute wesentlich geringer als noch vor zwei Jahren.
Was wären die politischen Folgen?
Politisch ist es so, dass eine chaotische Entwicklung Griechenlands eine gefährliche Situation für Europa insgesamt bedeuten würde. Das ergibt sich schon angesichts der geopolitischen Lage Griechenlands. Daraus resultiert eine schwierige gesamtgesellschaftliche und politischen Kosten-Nutzen-Rechnung. Deswegen dauern die Beratungen auch so lange. Ein anderer Aspekt des Grexit ist der Schuldenschnitt. Die Gläubiger müssten dann auf einen erheblichen Teil ihrer Gelder verzichten.
Wie viel Geld würde Österreich verlieren?
Insgesamt hat Griechenland bei seinen Geldgebern 320 Milliarden Schulden, das sind 180 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Österreich gewährte Athen bilaterale Kredite: Bei einem Totalausfall wären das 1,6 Milliarden. Über den Rettungsschirm EFSF haftet Österreich mit 3,7 Milliarden Euro. In Summe wären dies zwischen fünf und sechs Milliarden Euro. Für die EU und die EZB insgesamt sind die Zahlen natürlich viel höher.
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