25 Jahre nach dem Karfreitags-Abkommen: Irlands Wiedervereinigung rückt näher
Sie kann sich mehr als ausführlich über den Brexit empören und die wirtschaftlichen Probleme, die er Nordirland gebracht hat, über Armut und soziale Gegensätze – doch der Frage, die ihr jeder Journalist als allererstes stellt, weicht Michelle O’Neill lieber aus: Eine Wiedervereinigung von Nordirland und Irland, über die werde man wohl erst in zehn Jahren abstimmen.
Ein heikles Thema für die gewählte Regierungschefin Nordirlands, steht doch ihre Partei Sinn Fein wie keine andere für den Traum von der Wiedervereinigung.
In den dreißig Jahren Bürgerkrieg, der die britische Provinz beherrschte, war die Sinn Fein die politische Stimme der IRA – jener Terrorgruppe also, die den bewaffneten Kampf gegen die britische Armee, die Polizei und die Behörden anführte.
Frieden klappt bis heute nicht
Mit dem Karfreitagsabkommen zog man 1998 einen Schlussstrich unter den Bürgerkrieg, schuf Regeln für ein friedliches Zusammenleben in Nordirland. Die Gewalt endete, das friedliche Zusammenleben aber klappt bis heute nicht so richtig.
Bei den Wahlen zum Regionalparlament in Belfast im Vorjahr ist das Realität geworden, was Großbritannien einst mit allen Mitteln und für alle Zukunft zu verhindern versuchte, damals, 1921, als man die irische Insel teilte: in eine Republik Irland und in eine britische Provinz Nordirland. Mit der Sinn Fein hat eine Partei gewonnen, die immer als die radikalste politische Vertretung der Katholiken in Nordirland galt, jenem Teil der Bevölkerung also, der sich als Iren versteht und für den die britische Oberhoheit über die Provinz immer eine Fremdherrschaft war. Sie sind inzwischen die Mehrheit in Nordirland.
Angst der Protestanten
Das alles sorgt für wachsende Ängste unter den Protestanten Nordirlands. Sie sind nicht mehr die Mehrheit, die sie seit der Gründung der Provinz waren und ihre politischen Vertreter stehen als Wahlverlierer da. Verschärft hat die Situation vor allem der Brexit. In Nordirland hatte sich die Mehrheit gegen den EU-Austritt entschieden. Als er trotzdem kam, wurde jahrelang darüber gestritten, wie Nordirland Teil Großbritanniens bleiben und trotzdem die Grenzen zum EU-Mitglied Irland offen halten könne.
Regierung lahmgelegt
Das neue Abkommen mit der EU, das der britische Premierminister Rishi Sunak erst vor wenigen Wochen unterzeichnet hat, macht Hoffnung . Ob es sich in der Praxis bewährt, muss sich erst zeigen. Vorerst aber blockieren die Parteien der Protestanten weiterhin die Politik in Nordirland. Michelle O’Neill ist eine Regierungschefin ohne arbeitsfähige Regierung.
Durch Brexit verschärft
Der Brexit und der Streit danach haben auch die sozialen Probleme in Nordirland verschärft. In einer Provinz, in der sich ohnehin einige der ärmsten Regionen Großbritanniens befinden und die ohne Milliarden an Transferzahlungen der Regierung in London nicht lebensfähig wäre, blicken viele neidvoll über die Grenze nach Süden.
Das EU-Mitglied Irland ist längst nicht mehr das rückschrittliche Armenhaus, das es in den 1980ern noch war. Als Standort internationaler Konzerne profitiert man vom Brexit, holt viele Firmen ins Land, die Großbritannien nach dem Brexit den Rücken kehren.
Auch in Dublin stark
Doch auch in Irland hat die Finanzkrise nach 2008 die sozialen Gegensätze verschärft. Die politischen Auswirkungen zeigten sich bei den Wahlen 2020. Auch in Irland wurde die linke Sinn Fein zur großen Siegerin und nach politischem Hick Hack der Gegner sogar zur stärksten Partei. Zwar ist man weiterhin in der Opposition, kann aber die Regierung blockieren.
Wiedervereinigung kommt
Noch mehr als ihre nordirische Schwester hat die Sinn Fein in Irland die Wiedervereinigung als zentrales Ziel. Ein Ziel, das man laut Umfragen mit einer klaren Mehrheit der Iren im Süden teilt. Trotzdem gibt sich Sinn Fein auch in Dublin zurückhaltend, spricht von einem klaren, aber eben langfristigem Ziel. Es sei, wie ein Abgeordneter in Dublin gegenüber der Times meinte, „ein bisschen wie der Himmel. Wunderbarer Ort – aber wir sind noch nicht bereit dafür.“
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