New Yorks erste Polizeichefin soll die Kriminalität in den Griff bekommen

Heikle Aufgabe, toughe Chefin: Oberpolizistin Keechant Sewell
Die 49-jährige Afro-Amerikanerin übernimmt eine Behörde, in der es an allen Ecken und Enden kriselt.

Eine Pressekonferenz nach der Erschießung eines unbewaffneten Schwarzen durch einen weißen Streifenbeamten: Das war wohl die heikelste Aufgabe bei ihrem Bewerbungsgespräch für den Chef-Posten der größten Polizei-Behörde der Vereinigten Staaten. Keechant Sewell, selbst Afro-Amerikanerin, muss auch diese heikle Aufgabe mit Bravour gemeistert haben.

Die 49-Jährige, die mit Mitte 20 zur Polizei ging, übernimmt demnächst als erste Frau in der 176-jährigen Geschichte des New Yorker Police Departements die Führungsrolle für rund 36.000 uniformierte Cops und 18.000 zivile Mitarbeiter in der Millionen-Metropole.

Eric Adams, der neue Bürgermeister, ebenfalls schwarz, ebenfalls früher Polizist gewesen, bezeichnete Sewell als eine „bewährte Verbrechensbekämpferin, die über die nötige Erfahrung und die emotionale Intelligenz verfügt, den New Yorkern die Sicherheit zu geben, die sie brauchen, und die Gerechtigkeit, die sie verdienen“.

Pandemie treibt Zahl der Delikte

Adams und Sewell, die auf Long Island lebt, treten ihre Ämter am 1. Jänner an. Ein Zeitpunkt, der in puncto innere Sicherheit kaum schwieriger sein könnte. In New York sind Gewalt und Kriminalität in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen. Zwei Jahre in Folge wurden bei 1.500 Schießereien fast 2.000 Menschen verletzt. Die Mordrate liegt mit über 450 Fällen in diesem Jahr 50 Prozent über dem Niveau von Vor-Corona-Zeiten. Die Zahl der Autodiebstähle hat sich nahezu verdoppelt.

Der Vertrauensverlust

Dazu kommt der Mord an George Floyd in Minnesota, den ein Polizist mit seinem Knie erdrosselte, und die Debatte danach, die Polizei finanziell an die Kette zu legen. Hunderte Cops gingen daraufhin in den vorzeitigen Ruhestand. Gleichzeitig häufen sich Vorwürfe über Korruption in den eigenen Reihen und rassistische Übergriffe.

„Das Vertrauen in die Polizei hat nachgelassen, weil die Politik auf unserem Rücken Spiele gespielt hat. Hier ist viel Aufbauarbeit zu leisten“, sagen Polizeigewerkschafter. Die meisten sind ältere, weiße Männer. Umso überraschender, dass sie Sewells Beförderung jetzt wohlwollend begleiten. Beobachter führen es auch auf die Glaubwürdigkeit von Bürgermeister Adams zurück, der früher selbst den Polizei-Badge an der Brust trug.

Kinderloser Single

Keechant Sewell, die unverheiratet und kinderlos ist, hat fast ein Vierteljahrhundert bei der entschieden kleineren Polizeibehörde in Nassau östlich von Manhattan gearbeitet. Ihre Aufgaben dort: Bekämpfung der Drogen-Kriminalität als verdeckte Ermittlerin und Verhandlungsführerin bei Geiselnahmen. Viele hoffen deshalb, dass Sewell ihre Untergebenen stärker als bislang geschehen in Deeskalation-Techniken schulen lässt, um tödliche Gewalt-Aktionen etwa bei Festnahmen zu vermeiden.

Dabei schreckt sie vor Kritik an den eigenen Leuten nicht zurück, wie eine Äußerung über den Einsatz von Ermittlern in Zivil gegen die wachsende Gang- und Waffen-Kriminalität zeigt, die in New York viel Kritik hervorgerufen hat: „Sie haben es falsch gemacht. Wer damit beginnt, Leute zu verprügeln, kriegt die Bevölkerung nie zur Kooperation mit der Polizei.“ Chuck Wexler, der die Polizei als Experte berät, nennt Sewell einen seit langer Zeit „aufsteigenden Star“. Dirk Hautkapp, Washington

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