Würde das nicht die Gefahr eines Atomkriegs erhöhen?
Viele Leute reden gerade dann über den Atomkrieg, wenn er in Wahrheit kein wichtiges Thema ist. Man spricht über Atomkrieg, damit man nicht über die Realität sprechen muss - und die lautet: Wir sind in einem konventionellen Krieg, mit einem Aggressor, einer Seite, die die Verbrechen verübt – und deshalb muss Europa auf der Seite stehen, die diesen Krieg gewinnt. Ja das Risiko eines Atomkriegs ist größer als vor dem Krieg und deshalb muss man umso mehr der Ukraine helfen, diesen Krieg zu gewinnen. Denn Russland begeht atomare Erpressung. Es versucht Menschen jenseits seiner Grenzen mit dieser Atomkriegs-Drohung zu kontrollieren. Wenn das erfolgreich ist, kann jede Nuklearmacht sagen, entweder ihr gebt auf und tut, was wir wollen, oder es gibt Atomkrieg. Das würde die Gefahr eines Atomkriegs wirklich erhöhen.
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Könnte eine Niederlage Russlands nicht die Region endgültig ins Chaos stürzen?
Der einzige Weg, um von diesem heutigen Russland – mit einem Diktator, einem Propaganda-Monopol, einer entsetzlichen Konzentration von Reichtum in den Händen weniger – zu einem Russland zu kommen, das ein Teil Europas sein kann, ist, dass Russland diesen Krieg klar verliert – und dass den Russen das bewusst ist. Russen, die sich um ihr Land sorgen, sehen das genau so. Ja, es gibt viele zukünftige Formen von Russland, die wir vielleicht nicht sehen wollen, aber das, was wir heute haben, ist wirklich nicht wünschenswert.
Wenn also Russland verliert, wird es chaotisch, aber es wird viel schlimmer, wenn Russland gewinnt. Für Russland wäre es also besser, diesen Krieg zu verlieren. Nur das öffnet eine Chance auf ein besseres Russland.
Das Ende eines Imperiums ist chaotisch und kein Spaß, und man muss dafür immer einen Krieg verlieren, das ist die Erfahrung, die Europa gemacht hat. Dieses nette Österreich existiert nur, weil ein kolonialer Krieg verloren wurde, nämlich 1945. Wenn dieser Krieg gewonnen worden wäre, wäre dieses Land ein anderes und es wäre in jeder Hinsicht weniger angenehm.
Deutschland, die erfolgreichste, große Demokratie in der heutigen Welt, würde nicht existieren, wenn es nicht 1945 verloren hätte. Das heißt, das Prinzip, das am Anfang steht, ist nicht Frieden. Es ist Niederlage.
Und die Gefahr eines neuen Kalten Krieges?
Ich glaube nicht, dass es für Russland unmöglich ist ein europäische Zukunft zu haben. Russland ist immer zwischen zwei Weltanschauungen gependelt. Die eine lautete: Wir sind eine eigene Zivilisation, die bessere Zivilisation, das wahre Christentum etc. – und dazu gehört auch die Ukraine. Die andere: Wir sind ein Teil Europas, wir haben nur noch nicht aufgeholt. Irgendwann wird Russland wieder in die andere Richtung gehen, dann muss Europa bereit sein, ihm entgegenzukommen. Es gibt keine Grenze, an der Europa zu Ende ist. Viele Länder, die heute als europäisch gelten, wurden vor nicht allzu lange nicht als solche betrachtet.
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Für die Ukraine liegt die Zukunft fix in EU und NATO?
Der Fortschritt, den die Ukraine in Richtung der europäischen Institutionen gemacht hat, ist sensationell. Wir können als fix annehmen, dass die Ukraine eines Tages Mitglied der EU sein wird. Es ist auch viel wahrscheinlicher als vor eineinhalb Jahren, dass die Ukraine Mitglied der NATO sein wird. Es gibt also einen historischen Sprung Richtung Westen, den die Ukraine weitgehend alleine bewältigt hat.
Ich will, dass die EU sich auf jene Länder ausdehnt, die dabei sein wollen – und heute ist das die Ukraine.
Das ist ja Putins Angst, was die Ukraine betrifft: Dass diese Ukraine die Möglichkeit aufzeigt, dass eine ehemalige Sowjetrepublik europäisch werden kann. Da geht es darum, sein Regime zu beschützen. Denn unter diesem Regime kann es nie Teil der EU sein. Das war einer der Gründe für diesen Krieg. Wenn die Ukraine diesen Krieg gewinnt und Teil der EU wird, dann ist das ein Modell für Russland. Russen können sagen: Wenn die Ukrainer das können, warum können wir das nicht?
In Deutschland und Österreich gab es lange Verständnis für Russland und seine Ablehnung der NATO-Osterweiterung?
Angela Merkel hatte mit vielem recht. Aber sie irrte mit der Idee, dass Putins Russland eine Technokratie ist, mit der man umgehen kann. Jetzt ist klar, niemand kann mit diesem Russland umgehen. Nur weil man Handelsbeziehungen mit Russland hat, hält das Russland nicht davon ab, Angriffskriege zu führen. Wenn wir also mit ihnen handeln und ihre Sachen kaufen, dann macht sie das irgendwie zu einer zivilisierten Technokratie, die berechenbar ist und mit der man umgehen kann. Das hat sich als unwahr herausgestellt. Es wurde klar, dass Deutschland mithalf dieses Russland zu erschaffen, das den Krieg in der Ukraine führen konnte.
...und Österreichs Haltung?
Der Unterschied zwischen Deutschland und Österreich ist viel größer als vor eineinhalb Jahren. Die Deutschen denken, wenn es ein neues Europa geben wird, dann eines mit den Ukrainern. In Österreich heißt es eher, wir warten einmal ab. Es nicht unser Job, darüber nachzudenken, wie dieses Europa sein könnte. Die Deutschen haben oft nicht recht, wenn es um Geschichte geht, aber sie führen zumindest die Debatte darüber.
In Österreich wurde diese Debatte nicht geführt, zum Teil auch wegen der Neutralität. Was heißt eigentlich Neutralität? Ist das eine moralische Haltung, oder eine bequeme? Neutralität wird damit verwechselt, dass man ohnehin keinen Einfluss in der Welt hat. Aber Österreich hat Einfluss. Es ist ein reiches Land, die Haltungen österreichischer Politiker haben Auswirkungen. Österreich kann mithelfen, Russland zu normalisieren. Österreich hat also Macht. Es dominiert aber diese Haltung, dass es da große Nachbarn gibt, die Verantwortung übernehmen sollen, während wir dasitzen und nett und neutral sind. Am Anfang dieser Debatte sollte also die Einsicht stehen: Was Österreich tut, hat Bedeutung für die Welt.
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