Telefonieren, kaufen, reisen: Junge Kroaten wollen weg

Fast die Hälfte der Jungen haben keine Perspektive – mit dem EU-Beitritt soll das anders werden.

Drei Vorteile verbinden viele Kroaten mit dem EU-Beitritt am 1. Juli: Billigeres Telefonieren am Handy, bequemeres Reisen durch weniger strenge Grenzkontrollen und ein besseres Warenangebot. Seit Monaten wartet die Bevölkerung auf eine IKEA-Niederlassung am Stadtrand von Zagreb. West-Produkte sind in den Augen vieler etwas Besonderes – und vor allem billiger.

Mit diesen praktischen Erwartungen an den Alltag hört sich die Attraktivität der EU bei vielen Menschen schon auf. Junge Leute, unter ihnen viele Studenten, stürmen seit Wochen die Seiten neuer Medien, um sich auszutauschen, wie man am schnellsten wegkommt und irgendwo in der EU einen Job findet. Auf Facebook und Twitter werden Tipps und Infos ausgetauscht, der Renner ist eine Web-Seite mit dem Titel: „How to leave Croatia“. Tausende Zugriffe täglich werden verzeichnet, die Nutzer wollen wissen, in welchem EU-Land welche Arbeitsstellen zu welchen Bedingungen angeboten werden. Kroatien, das bald das 28. Mitglied im europäischen Klubs ist, hat nach Griechenland und Spanien die dritthöchste Jugendarbeitslosigkeit in der EU. Mehr als 40 Prozent der Jungen, darunter viele Akademiker, haben keine Beschäftigung und keine Perspektive, rasch eine zu finden. Weg, nichts als weg, das ist ihre Devise.

Die Politik sieht die Lage nicht so dramatisch. Staatspräsident Ivo Josipović gibt zwar zu, dass Arbeitslosigkeit ein „großes Problem“ ist, aber „Europa bedeutet einfach Mobilität“. Der kunstsinnige Präsident – er ist leidenschaftlicher Komponist – hat keine Angst, dass die Kroaten massenweise das Land verlassen. „Der Binnenmarkt bringt auch Arbeitskräfte zu uns. Kommen und Gehen wird etwas ganz Normales sein“, sagt er zu österreichischen Journalisten.

„Besessen auf Frieden“

Für die politische Elite des knapp 4,5 Millionen Einwohner zählenden Adria-Staates ist der Beitritt sozusagen die Vollendung der Unabhängigkeit, die im Juni 1991 ausgerufen wurde, die Überwindung des Krieges am Balkan und „das Ende des schrecklichen Nationalismus“, wie es Josipović ausdrückt. „Eine Phase unserer Geschichte geht mit dem Beitritt zu Ende. Es ist die Erfahrung von Krieg, die uns besessen auf Frieden macht.“

Wie der Präsident denken viele seiner Generation der Vierzig- bis Sechzigjährigen, für die Europa nicht nur Markt, sondern auch etwas Ideelles ist. Josipović glaubt, dass Kroatien eine „strategische Rolle in der EU als Vermittler zwischen West und Ost und hin zu den Muslimen spielen kann“. Vor allem will Kroatien eines: „Die Nachbarn motivieren und ihre Lokomotive für den Zug nach Brüssel sein.“

Erstmals wurde am Dienstag im EU-Parlament in Brüssel Dolmetscher-Kabine 24 für die kroatische Übersetzung genutzt: Vizepremier Neven Mimica stellte sich den Abgeordneten vor, er soll mit dem EU-Beitritt Kroatiens Anfang Juli neuer Kommissar für Verbraucherschutz werden.

Mimicas Auftritt war verhalten: Er habe keine konkreten Gesetzesvorhaben, sagt der designierte Kommissar, sondern wolle umsetzen, was von seinen Kollegen bereits auf den Weg gebracht wurde. Allzu viel sollte sich Mimica ohnehin nicht vornehmen: Seine (erste) Amtszeit ist auf gut ein Jahr beschränkt, nach den Wahlen zum EU-Parlament Ende Mai 2014 wird im Herbst auch eine neue Kommission bestimmt.

Vertrag wird umgangen

Die nächste Kommission hätte eigentlich nur noch 19 Mitglieder haben sollen statt derzeit 27 bzw. ab Juli 28. So wurde es im Lissabon-Vertrag festgeschrieben, der 2009 in Kraft getreten ist. Doch statt der Verkleinerung wird nun am Prinzip festgehalten, dass jedes Land einen Kommissar stellt.

Formal wurde dies beim Gipfel vor zwei Wochen beschlossen, die politische Entscheidung war bereits 2008 gefallen: Nach dem Scheitern der Volksabstimmung über den Lissabon-Vertrag wurde Irland zugesagt, dass die Kommission nicht verkleinert werde. Mit Aussicht auf das Behalten eines eigenen Kommissars stimmten die Iren 2009 doch zu.

Die Verkleinerung der Kommission ist nur verschoben: Spätestens wenn die Union 30 Mitglieder hat, soll der Lissabon-Vertrag umgesetzt und die Zahl der Kommissare auf zwei Drittel der Staaten reduziert werden.

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