Neuer Premier Boris Johnson: Brüssel ist aufs Schlimmste gefasst

Neuer britischer Premier Boris Johnson
Die EU hofft ohne großen Enthusiasmus auf Kooperation mit Premier Johnson - in Richtung eines geordneten Brexit.

Illusionen hat sich in Brüssel ohnehin niemand mehr gemacht. Mit der – erwarteten – Kür von Boris Johnson zum neuen britischen Premier aber steht zumindest fest: Nichts wird einfacher, klarer, rationaler oder durchschaubarer in Bezug auf die Frage werden, welchen Kurs der Brexit nehmen wird.

Die Gratulationen aus Brüssel, wenn sie denn überhaupt kamen, klangen gestern mehr als halbherzig. „Wir freuen uns auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit Premier Johnson“, twitterte EU-Chef-Brexit-Verhandler Michel Barnier. Und zwar in Richtung eines „geordneten Brexit“, legte Barnier noch nach. Kommissionschef Jean-Claude Juncker schrieb gleich gar

keine Twittermeldung, sondern ließ eine Kommissionssprecherin gratulieren. Eine „gute Arbeitsbeziehung zu Boris Johnson“ wünscht sich auch Junckers Nachfolgerin Ursula von der Leyen.

Geht es nach den Versprechungen des neuen britischen Premiers, könnte die neue Kommissionschefin von der Leyen ihren ersten Arbeitstag in einer EU mit nur noch 27 Staaten antreten.

Am 31. Oktober, so hatte es Johnson propagiert, sei „Großbritannien draußen“. Dies wird automatisch eintreten, wenn die neue Regierung in London keinen Antrag an Brüssel stellt, doch noch länger in der EU bleiben zu dürfen.

Neuer Premier Boris Johnson: Brüssel ist aufs Schlimmste gefasst

Mäßig begeistert: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Brexit-Chefverhandler Michel Barnier

Noch eine Verlängerung

Würde Johnson aber gegen alle Versprechen einen „harten Brexit“ doch vermeiden wollen und einen Verlängerungsantrag stellen, würde die EU mit Sicherheit grünes Licht geben. Was die EU-27 am wenigsten wollen, ist ein harter Brexit – also ein Ausscheiden Großbritannien aus der EU ohne Scheidungsvertrag.

An diesem Austrittsvertrag aber wird nicht mehr gerüttelt. Geschlossen lehnen die 27 EU-Regierungen und die Kommission ab, das 600 Seiten umfassende Abkommen wieder aufzuschnüren.

Genau das aber hofft Johnson zu erreichen: Neu verhandeln, um den ungeliebten „Backstopp“ loszuwerden – jene Notfallklausel, die verhindert, dass zwischen Irland und Nordirland eine harte Grenze entsteht. Der Spielraum dafür liegt nach Meinung von Experten in Brüssel bei Null.

Vorerst also herrscht Ratlosigkeit: Was will Boris Johnson wirklich? Im Gegensatz dazu hat die EU ihre Positionen abgesteckt – und wartet vorerst ab, was aus London kommt.

Zur eigenen Absicherung sind Notfallpläne im Fall eines harten Brexit in der EU längst geschnürt. Diese betreffen u. a. Vorsorgemaßnahmen für den Luftverkehr, Transport, Bürgerrechte und Finanzdienstleistungen. Auf das Schlimmste ist man in Brüssel also gefasst. Vizekommissionspräsident Frans Timmermans warnte dennoch: „Ein No-Deal wäre eine Tragödie. Wir würden alle darunter leiden."

Kommentare