Neue Gastarbeiter wandern nach Österreich aus

Neue Gastarbeiter wandern nach Österreich aus
Sie sind jung, gut ausgebildet, sie haben Träume und große Ziele. Doch in ihren krisengeplagten Heimatländern fällt es schwer, die zu erreichen.

Eine neue Generation von Europäern macht sich auf den Weg – und landet dabei auch in Österreich. Im KURIER erzählen sie über ihren Neustart.

Adrian Bolonio: „Wien ist mir ein bisschen zu still“

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Adrian Bolonio https://www.kompany.com
Wenn nur dieser blöde Sonntag nicht wäre! Der ist für Adrian der graueste Tag in Wien: „Unglaublich, wie ausgestorben die Stadt da ist.“ Als Madrider ist der 27-jährige Web-Designer das Leben auf der Straße gewöhnt: „Wien ist mir ein bisschen zu still. Wir Spanier haben diese Straßenkultur. Meine Freunde und ich schnappen uns ein paar Bier und gehen in den Park.“ Die Freunde , das ist wohl das , was Adrian am meisten an seiner alten Heimat vermisst. Obwohl er die schon lange hinter sich gelassen hat. Reisen sei sein Hobby, meint der Computerkünstler. Angesteckt hat er sich wohl als Student auf Auslandsjahr in Schweden. Damals hat der Südländer Europas Norden für sich entdeckt: Es folgte eine Sommerschule in Kopenhagen, einige Monate in London und eine Freundin aus Finnland. Geblieben sind perfektes Englisch und Freundschaften, die bis heute quer durch Europa reichen. Auch in Wien baut er sich einen internationalen Freundeskreis auf, einmal die Woche aber müssen es Spanier sein, „einfach um in meiner Muttersprache plaudern zu können.“

Nach Hause will er vorerst nicht zurück, auch weil es in Spanien selbst für einen mehr als gut ausgebildeten Software-Techniker wie ihn gerade einmal 800-Euro-Jobs gibt, und das ohne jede Kranken- oder Sozialversicherung. Adrian, der derzeit bei der Firma 360-Kompany in der Wiener Kaiserstraße deren Auftritt im Internet entwirft, empfindet es immer noch als Privileg, dass er mit seiner E-Card einfach zum Arzt gehen kann, ohne zu bezahlen. Nur einer der vielen Alltäglichkeiten, die für ihn das Leben in Wien unglaublich komfortabel machen. Der Madrider kann gar nicht genug schwärmen von den gut ausgebauten und günstigen öffentlichen Verkehrsmitteln, von sauberen Straßen, vom Kulturangebot vom Wienerwald und von den Wienern, die tatsächlich Geld für die Sonntagszeitung einwerfen: „Ihr seid schon eine sehr zivilisierte Gesellschaft.“

Nathalie Rogers: „Wir wollen nicht wieder in ein Chaos“

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„Wir haben Griechenland verlassen, noch bevor es richtig schlecht wurde“, erzählt Nathalie Rogers. Dabei hatte die 34-jährige Tochter einer Griechin und eines Vaters aus Mauritius damals in Athen noch einen gut bezahlten Job im Marketing der Yacht-Industrie.

Doch ihr Mann war bereits arbeitslos. Seine Chancen, einen neuen Job zu finden standen bei null. Die Stimmung in Griechenland wurde immer angespannter, die Steuern stiegen erdrückend, ein Streik löste den anderen ab und selbst im reichen Yacht-Sektor begannen die Geschäfte zu stocken. Auswandern schien die einzige Lösung: „Wir haben lange darüber diskutiert“, schildert Nathalie ihre Überlegungen: „Wo können wir hingehen? In welchem europäischen Land ist die Wirtschaft nicht in der Krise?“

Österreich war die Lösung für das junge Ehepaar. Seit knapp zwei Jahren leben sie nun in Wien, hier ist auch ihre kleine Tochter geboren. „Wien ist der beste Platz zum Leben, den man sich vorstellen kann, besonders, wenn man Kinder hat“, schwärmt Nathalie.

Nur in Sachen Job hat sich für die agile Marketingfachfrau einiges verändert: Ohne große Mühe hat ihr Mann in Wien im Bereich der Immobilien-Logistik einen gut bezahlten Job gefunden. Nathalie aber suchte bisher vergebens. Fünf Sprachen spricht sie fließend, nur nicht genug Deutsch. An die hundert Bewerbungsschreiben habe sie angeschickt, meint sie bedauernd, „aber ich wurde noch zu keinem einzigen Bewerbungsgespräch eingeladen.“

Doch das Wort „resignieren“ gibt es im Sprachschatz der jungen Frau nicht. Keck wirft sie ihre Haare in den Nacken und verspricht sich selber: „Ich werde noch besser Deutsch lernen.“ Die nächsten Jahre wollen Nathalie und ihr Mann auf alle Fälle noch in Österreich bleiben – und arbeiten. „Wir sind aus dem Chaos gekommen und wollen so schnell nicht wieder in ein Chaos zurück.“

Antonio Nunes: „Viele Portugiesen suchen im Ausland“

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Wien ist eine wundervolle Stadt. Ich bin begeistert, hier zu leben“, sagt Antonio. Der 33-jährige Umweltingenieur ist ein Fan seiner neuen Heimat. Das, was er allerdings vermisst, sind das Meer und der Fisch. Im Dezember 2011 verließ er zusammen mit seiner Ehefrau Lissabon und arbeitet nun als Projektmanager beim Umweltunternehmen UV+P im zweiten Bezirk. „Die Firma hat immer wieder Projekte in Portugal gemacht; dann wurde ich gefragt, ob ich nicht ein Partnerunternehmen in Portugal auf die Beine stellen will“, sagt der top-ausgebildete Ingenieur. „Aber ich wollte Schritt für Schritt vorgehen und das Team kennenlernen. Also schlug ich vor, erst einmal nach Wien zu kommen.“

Zu Hause hätten es Firmen zurzeit schwer, die Infrastruktur für Unternehmer fehle. „Man weiß nie, wie viele Steuern man nächsten Monat zahlen muss. Ohne Stabilität wissen viele nicht, wie sie ihr Leben managen sollen“, sagt der Neo-Wiener. „Ich kenne einige in Portugal, die nach Jobs im Ausland suchen. Es gibt einen Brain-Drain“, erzählt Antonio. Er möchte später wieder zurückkehren. Nicht nur aus patriotischen Gründen, „auch weil ich in meinem Sektor etwas bewegen kann.“

Er hat einen Vorbereitungskurs gemacht, um Deutsch zu lernen. „Meine Frau belegt einen richtigen Sprachkurs. Aber Wien ist sehr international, ich habe keine Probleme. Wenn ich in die U-Bahn steige, höre ich viele Menschen Englisch sprechen.“

Die Art zu leben, käme ihm hier sehr entgegen, meint der Latino, wie Antonio sich selbst bezeichnet. Nur eines sei ihm aufgefallen: „Es ist recht schwierig, jemanden auf ein schnelles Bier einzuladen. In Lissabon konnte ich eine SMS schreiben: Bin dann und dann in jenem Lokal – fühl dich frei, zu kommen. Wenn ich das in Wien mache, wollen die Leute eine genaue Uhrzeit wissen und wer noch dabei sein wird. Das muss vorher bestimmt werden, alle sind sehr organisiert.“

Teresa Fagundez: „Zu Hause ist die Krise überall“

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Das Tiroler Gerlostal gefällt Teresa wirklich gut. „Der Ort und die Berge sind wunderschön, aber es ist ganz anders als zu Hause“, sagt die langhaarige Spaniern, die vor Kurzem ihren 36. Geburtstag feierte. Hier arbeitet sie im Sportgeschäft des Gasthofs Mitterhof der Familie Egger.

Ihr Heimatort ist Ferrol in Galicien, eine Hafenstadt im äußersten Nordwesten Spaniens. Teresa konnte dort seit Februar vergangenen Jahres keinen Job finden. „Außer bei den Schiffswerften am Hafen gibt es nicht viel Arbeit“, erzählt sie. Ferrol sei besonders hart von der Wirtschaftskrise betroffen, aber „die Krise ist überall in Spanien.“ Die paar Vorstellungsgespräche, die sie ergattern konnte, verliefen allesamt ergebnislos.

An ihrer Ausbildung konnte der Misserfolg nicht liegen: Teresa schloss ihr Dolmetschstudium für Englisch und Deutsch ab, Letzteres spricht sie ausgezeichnet. Als dritte Fremdsprache beherrscht sie Portugiesisch, drei Jahre lang hat sie auch in Portugal gelebt.

Ihren letzten Job in Spanien hatte Teresa bei einer Transportfirma im Büro. Nebenbei verdiente sie sich auch immer wieder etwas Geld als Übersetzerin dazu.

In die Tiroler Berge hat es die Galicierin verschlagen, als sie in einer Zeitung die Anzeige des Touristen-Jobportals „hogastjob“ entdeckte. Auf dieser Seite hat sie sich für einige Stellen in Deutschland und Österreich beworben. Ihre Deutschkenntnisse wollte sie ohnehin auffrischen. Wegen der nahenden Wintersaison waren großteils Jobs in den Skigebieten ausgeschrieben. Auf ihre Bewerbungen als Rezeptionistin bekam sie keine positive Rückmeldung. Geklappt hat es schließlich bei der Familie Egger. Seit vergangenem Dezember arbeitet sie in deren Sportgeschäft – aber vorerst nur bis Ende März. Teresa könnte dann wieder von Juni bis Oktober im Geschäft helfen – so sie das will. „Vielleicht mache ich das“, meint sie. Trotzdem wird sie sich weiter nach Jobs in und außerhalb Spaniens umsehen. Sprachlich ist sie ja gut gerüstet.

Teresa hätte „kein Problem“ damit, aus beruflichen Gründen den Wohnort zu wechseln, am liebsten aber wäre ihr ein Job in der Nähe ihrer Heimatstadt Ferrol.

Guiseppe Dibo: „Bei uns zu Hause gibt es keine Arbeit“

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Er hatte Glück: Gleich in der ersten Pizzeria in Wien, in der Giuseppe Dibo, halb Italiener, halb Syrer, im Jänner um Arbeit fragte, wurde der 19-jährige Sarde mit offenen Armen aufgenommen. „Ich komme selbst von Sardinien und wollte den Burschen von der Straße holen“, erzählt Stefano Dessena, Oberkellner bei den „I Ragazzi“ in der Wiener Burggasse. Und er habe es nicht bereut, grinst er mit Blick auf Giuseppe. Der grinst noch breiter, er weiß, dass er Glück hatte. „Stefano und Fabrizio bringen mir alles bei.“ Kollege Fabrizio Pesci blödelt: „Stefano ist der Papa, ich bin der Opa.“

Die beiden erfahrenen Männer wissen, dass der junge Giuseppe dieser Art der Unterstützung bedarf. Mit 15 schickte ihn die Mutter aus Sardinien zum Vater, von dem sie geschieden lebt, nach Bayern. Sollte er sich doch mit dem Pubertierenden herumschlagen. „Ich dachte, ich fahr’ nur zwei Wochen zu ihm nach Schweinfurt. Aber er ließ mich nicht mehr weg“, grinst der dunkeläugige Bursche. „Im ersten Jahr hab ich nichts gemacht, nur Deutsch gelernt. Danach fand ich Arbeit in verschiedenen Kneipen.“ Doch ihm gefiel es auf Dauer dann doch nicht in der kleinen Stadt. Zurück auf der Insel, deren Klima, Mentalität er in Deutschland genauso vermisste wie das Meer, fand er nur Arbeit auf der Baustelle. „Es gibt keine Arbeit bei uns. Viele Junge, die ich kenne, gehen in andere Länder“, erzählt er achselzuckend.

Auch Giuseppe zog weiter. Nach Wien, wo ein Bruder seines Vaters – beide stammen aus Syrien – seit vielen Jahren lebt und das er von der einen oder anderen Ferienwoche kannte. „Wien ist wunderschön“, schwärmt er mit leuchtenden Augen. „Und hier gibt es auch viele Italiener, im Gegensatz zu Schweinfurt.“ Dem Onkel kann Giuseppe nicht auf der Tasche liegen, denn der hat mittlerweile viele seiner Großfamilie aus Syrien aufgenommen. Sie kamen nicht wegen eines Jobs – sie flohen vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat.

Nikolaos Zoygris: „Ich will hier ein neues Leben beginnen“

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Nikos
Als seine Freunde gingen, packte auch Nikolaos Zoygris kurzerhand seine Koffer. Seinen Job als Logistiker bei IKEA in Athen hatte der junge Grieche kurz zuvor verloren. Und dass er im krisengeschüttelten Griechenland bald wieder neue Arbeit finden würde, glaubte er selbst nicht mehr. „Zuerst habe ich überlegt, nach London zu gehen, aber dort ist das Leben viel zu teuer“, erzählt der 25-jährige.

Also Wien, wo zuvor schon Freunde eine Wohnungen gefunden hatten und wo sich auch Nikos einquartierte. Und wenn er schon dabei war, sein ganzes Leben umzukrempeln – raus aus der Behaglichkeit eines noch immer bei den Eltern wohnendes Einzelkindes hinein in die Fremde ohne jede Absicherung – dann wollte er sich auch gleich seinen Traum erfüllen: „Ich will Musik machen“, sagt der passionierte Gitarrist Nikos.

In zwei Bands hat er mitgespielt, seit er vor einem Jahr im winterkalten Österreich ankam. Noch aber hat er sie noch nicht beisammen, seine eigene Gruppe, die seine Songs ideal umsetzt. Und von deren Musik er vor allem leben kann. Manchmal, so erzählt er, spiele er in Beisln, so wie er früher einmal pro Woche in Athen in Tavernen ausgespielt hat.

Vorerst müssen Gelegenheitsjobs herhalten. Mal ein paar Wochen in einem griechischen Restaurant, dann wieder ein paar Monate in einer Leiharbeiterfirma. Auf die Dauer aber peilt der junge Grieche eine stabilere Arbeit an: „Was, das ist mir ganz egal, solange ich nebenbei genug Zeit für meine Musik habe.“ Auf dem AMS absolviert Nikos deshalb gerade einen Deutschkurs und hofft dann, für den heimischen Arbeitsmarkt besser gerüstet zu sein. Ohne die Unterstützung seiner in Athen lebenden Eltern, gesteht der schmale junge Mann ein, könnte er derzeit wohl nicht über die Runden kommen. Aber zurückgehen? Entschlossen schüttelt Nikos den Kopf. „Ich mag Wien. Ich bin hierher gekommen, um ein neues Leben zu beginnen.“

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