Neue Achse Ankara–Belgrad

Die beiden Präsidenten sprachen über das Southstream-Projekt
Beim Besuch Erdoğan Serbien geht es vordergründig um wirtschaftliche Interessen, im Hintergrund aber auch um die politischen beider Staaten.

Baba ist türkisch und heißt Vater. Auch Anhänger Erdoğans nennen den türkischen Präsidenten respektvoll Recep Baba. Heute, Dienstag, wird er mit über 150 Unternehmern im Tross zum Staatsbesuch in Serbien aufschlagen. Dabei soll es vor allem um das von Europa heftig kritisierte Southstream-Projekt gehen: Eine Pipeline, die Russland über den Boden des Schwarzen Meeres verlegt, um Südosteuropa unter Umgehung der Ukraine stabil mit Gas zu versorgen. Einer der Stränge soll durch Serbien gehen.

Dass Griechenland als Transitland inzwischen wankt und in Mazedonien eine pro-westliche Regierung die Macht übernahm, ficht weder Gast noch den Gastgeber an: Serbiens Präsidenten Aleksandar Vučić. Alles deutet darauf hin, dass Bulgarien einspringt: Wegen der Durchleitungsgebühren und wegen der Arbeitsplätze, die dadurch im ärmsten EU-Staat entstehen.

Textilindustrie und Bau

Massiv wollen türkische Konzerne auch in die serbische Textilindustrie investieren und bei der Privatisierung der aus sozialistischen Zeiten stammenden und seither nicht mehr renovierten Hotels in Serbiens Gebirgskurorten zuschlagen. Türkische Baufirmen genießen hier einen guten Ruf. Sie bauen günstig, gut, termingerecht.

Details hatten die beiden Staatschefs im Juli am Rande des Internationalen Erdöl-Kongresses in Istanbul bei einem Vier-Augen-Gespräch vereinbart. Dabei hatte der Serbe seinen eigenen Worten nach den Türken gebeten, genügend Zeit mitzubringen, um das gesamte Spektrum politischer, wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen zu erörtern. Serbien und das serbische Volk, so Vučić, wollen mit der Türkei eine "echte Freundschaft" aufbauen. Ankara sei der "wichtigste Faktor für Frieden" auf dem Westbalkan.

Vučić spielte damit auf die Entwicklungen in Mazedonien und vor allem in Bosnien an, wo unter ungünstigen Umständen Abspaltungen der Minderheiten drohen. Zwar setzt Erdoğan auf Unterstützung ethnischer Türken und anderer Muslime auf dem Balkan. Gleichzeitig macht er jedoch deutlich, dass die Türkei hinter dem Abkommen von Dayton steht, das 1995 den Bosnienkrieg beendete. Der Fortbestand eines Gesamtstaates in seinen derzeitigen Grenzen sei nicht verhandelbar, die muslimischen Bosniaken, die nur knapp 50 Prozent der Bevölkerung stellen, müssten daher mit den Christen – Serben und Kroaten – Kompromisse aushandeln.

Streben nach Macht

Die Türkei, glaubt der Nahostexperte Zijad Bećirović aus Ljubljana, wolle die unter Erdoğan errungene wirtschaftliche und militärische Stärke in politische Macht konvertieren. Vor allem in Regionen, die einst Teil des Osmanischen Reiches waren: der Nahe Osten und der Balkan. Serbien spiele dabei eine Schlüsselrolle.

In der Tat: Belgrad hat die bosnische Serbenrepublik fest im Griff und großen Einfluss auf die Serben im Kosovo sowie auf die Opposition in Montenegro und Mazedonien. Dazu kommt eine multipolare Außenpolitik. Europa ist für Serbien nur einer der möglichen Optionsscheine für die Zukunft. Für Erdoğan ist der Konflikt mit Europa ein Grund mehr, die Türkei erneut als regionale Großmacht auf dem Balkan zu etablieren – und damit den EU-Beitritt der Westbalkan-Staaten so lange als möglich zu verhindern.

Das will auch Moskau, das den Balkan als angestammtes Interessengebiet betrachtet und ebenfalls mit Europa im Clinch liegt. Auch deshalb sind die türkisch-russischen Beziehungen zurzeit nicht sehr herzlich.

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