NATO-Gipfel: Trump donnert, Merkel kontert
Eine Angela Merkel braucht keine Nachhilfe darin, wie man mit autoritären Regimen umgeht – schon gar nicht von Donald Trump. „Ich möchte aus gegebenem Anlass hinzufügen“, konterte die deutsche Kanzlerin gestern beim NATO-Gipfel in Brüssel schneidend auf die jüngste Attacke des US-Präsidenten, „dass ich selber erlebt habe, dass ein Teil Deutschlands von der Sowjetunion kontrolliert wurde.“ Heute aber könne Deutschland seine Politik eigenständig entscheiden, sagte Merkel – und holte damit zur bisher heftigsten Gegenwehr gegen das trumpsche Dauerfeuer aus.
Die neue, selbstbewusste Botschaft aus Berlin: Geld ist nicht alles – da mag Trump noch so sehr drüber wettern, dass das reiche Deutschland noch immer nicht zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung aufwendet (derzeitige Quote bei 1,24 Prozent – oder 38,5 Milliarden Euro).
Fast schon Gewohnheit
„ Deutschland ist zweitgrößter NATO-Truppensteller in Afghanistan“, legte auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nach. 1100 deutsche Soldaten seien dort im Einsatz. Und: Man sei mit 14,8 Prozent zweitgrößter Nettozahler bei der NATO-Gemeinschaftsfinanzierung ( USA: 22,1 Prozent).
Kurz gesagt: Das Engagement Deutschlands für die NATO lasse sich nicht allein in Euro messen. Und letztlich, führte Merkels Verteidigungsministerin weiter aus, „sind wir die Angriffe fast schon gewohnt“. Fast.
Denn Trumps Frontalattacke, mit der er seinen Gipfelauftritt eröffnete, übertraf alle ohnehin erwarteten Breitseiten: „Deutschland wird total von Russland kontrolliert, denn sie werden 60 bis 70 Prozent ihrer Energie von Russland bekommen durch die neue Pipeline“, zog der amerikanische Staatschef gleich ungebremst vom Leder.
Und er redete sich in Rage: „Wir beschützen Deutschland, wir beschützen Frankreich, wir beschützen all diese Länder – und dann gehen etliche von ihnen her und machen einen Pipeline-Deal mit Russland, durch den sie die russische Staatskasse mit Milliarden Dollar füllen.“
„Nettoverlust“
Tatsache ist: Deutschland erhält vierzig Prozent seiner Gasimporte aus Russland. Doch mit exakten Fakten hält sich der Ex-Immobilientycoon Trump nicht weiter auf: Aus seiner Sicht, sagt der slowakische Ex-Botschafter bei der NATO, Thomas Valasek, „ist alles, was die USA für die NATO tun, ein Nettoverlust für die USA“.
Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten haben sichjedoch trotz des erbitterten Streits um die Verteidigungsausgaben auf eine gemeinsame Gipfelerklärung geeinigt. Im verabschiedeten Text wird allerdings keine Lösung für die vor allem zwischen Deutschland und den USA ausgetragene Auseinandersetzung aufgezeigt. Die 29 NATO-Staaten bekräftigen lediglich noch einmal ihr „uneingeschränktes Bekenntnis“ zu dem sogenannten „Zwei-Prozent-Ziel“ aus dem Jahr 2014.
Ganz besonders fühlt sich der Herr des Weißen Hauses von Deutschland über den Tisch gezogen. Und er vermischt dabei alles: den deutschen Handelsüberschuss, seine Obsession gegen deutsche Autos, Deutschlands Energiepolitik und die zu niedrigen Verteidigungsausgaben. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, stets um Ausgleich zwischen Trump und seinen Kontrahenten bemüht, wehrte gleich ab: Über Gaspipelines werde am NATO-Gipfel nicht diskutiert.
Doch der Schock über Trumps Eröffnungsangriff währte nicht lange. So rüde der US-Präsident auch wettert – die realen Vorhaben des westlichen Verteidigungsbündnisses bleiben unberührt. Alle bisherigen Pläne werden fortgeführt, von der Verstärkung der bestehenden NATO-Streitkräfte über die Erhöhung der Einsatzbereitschaft bis zu einem neuen Ausbildungseinsatz im Irak. Auch Drohungen des Weißen Hauses, Teile der 35.000 Mann starken US-Truppen könnten aus Deutschland abgezogen werden, erwiesen sich als vollkommen haltlos. Das US-Verteidigungsministerium wies alle derartigen Spekulationen zurück.
Anders als im Handelsstreit, den Donald Trump bereits zu einem Handelskrieg steigerte, gleicht das Wettern des US-Präsidenten in der NATO also eher einem Theaterdonner. Dies mag aber nur einer der Gründe sein, warum ihm aus Deutschland nun mehr Widerstand entgegenkommt. Dort wächst der Widerstand in der Bevölkerung, die Verteidigungsausgaben so hoch zu treiben.
Erreichte Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel seines BIPs, käme es auf rund 85 Milliarden Euro Militärausgaben. Eine Summe, die laut jüngsten Umfragen 60 Prozent der Deutschen glattweg als viel zu hoch ablehnt. „Damit wären wir in zehn Jahren die militärische Führungsmacht in Europa“, schreibt der frühere Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) in einem Tweet, „wollen wir das wirklich?“
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