Dauerhafte Waffenruhe ist wieder möglich

Die Frau setzt ihr Kind nieder, nachdem sie bei ihrem zerstörten Apartment angekommen sind
Nach palästinensichen Angaben belaufen sich die Schäden auf rund 4,5 Milliarden Euro.

In Kairo können die Verhandlungen über einen dauerhaften Waffenstillstand im Gazastreifen beginnen. Israel habe Unterhändler in die ägyptische Hauptstadt entsandt, bestätigte ein hochrangiger israelischer Regierungsmitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag.

Israel hatte noch am Wochenende Verhandlungen mit der Hamas abgelehnt, nachdem es die radikalislamische Gruppe für den Bruch einer Feuerpause verantwortlich gemacht hatte. Die US-Regierung rief beide Seiten auf, sich an die neue, seit Dienstagmorgen geltende Waffenruhe zu halten.

Dreitägige Waffenruhe ausweiten

Die durch ägyptische Vermittlung zustande gekommene Waffenruhe ist zunächst auf 72 Stunden begrenzt. Diese Zeit soll für das Aushandeln einer dauerhaften Lösung genutzt werden. In Kairo wird es nicht zu direkt Gesprächen zwischen der Hamas und Israel in einem Raum kommen. Vielmehr werden die ägyptischen Vermittler die Forderungen der einen Seite der anderen Seite überbringen.

Die israelischen Bodentruppen haben sich nach Armeeangaben komplett aus dem Gazastreifen zurückgezogen. "Alle unsere Streitkräfte haben Gaza verlassen", sagte General Moti Almos dem israelischen Militärradio. "Die israelischen Streitkräfte werden in defensive Positionen außerhalb des Gazastreifen positioniert werden, und wir werden diese defensive Positionen halten", sagte Armeesprecher Peter Lerner gegenüber Reportern.

Israel hatte vor vier Wochen den Militäreinsatz gegen die radikalislamische Hamas im Gazastreifen gestartet, um den Raketenbeschuss aus dem Palästinensergebiet zu stoppen und Tunnel der Hamas zu zerstören. Nach palästinensischen Angaben wurden seitdem mehr als 1.850 Palästinenser getötet. Auf israelischer Seite wurden in dem Konflikt 64 Soldaten und drei Zivilisten getötet.

Schaden bis zu 4,5 Mrd. Euro

Die Schäden der israelischen Militäroffensive im Gazastreifen belaufen sich nach palästinensischen Schätzungen auf vier bis sechs Milliarden Dollar (2,98 bis 4,47 Mrd. Euro). Bei dieser Schätzung seien nur die "direkten Folgen für die Wirtschaft" berechnet worden, sagte der palästinensische Vize-Wirtschaftsminister Taissir Amro am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP. Wenn auch die "indirekten Folgen für die Bevölkerung" klar seien, werde die Summe weiter steigen.

Außer hunderten Häusern wurde bei dem Militäreinsatz auch das einzige Elektrizitätswerk im Gazastreifen zerstört. Nach Amros Angaben sollen Vertreter der Geberländer im September in Norwegen zusammenkommen, um über neue Hilfen für die Palästinenser zu beraten.

Der Leiter des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA), Pierre Krähenbühl, hat für die Notversorgung von geschätzt 250.000 Vertriebenen im Gazastreifen Hilfsgelder in Höhe von rund 140 Millionen Euro gefordert. Das UN-Welternährungsprogramm (WFP) bezifferte am Dienstag seinen Finanzbedarf zur Versorgung der bedürftigen Palästinenser auf etwa 36 Millionen Euro.

"Unter denen, die jetzt aus den Notunterkünften nach Hause zurückkehren, werden viele keine Häuser mehr vorfinden", sagte Krähenbühl am Dienstag in Amman, am ersten Tag einer dreitägigen Waffenruhe zwischen Israel und der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas im Gazastreifen. Krähenbühl mahnte, das Ende der Gefechte in dem Küstenstreifen bedeute nicht das Ende der Armut.

Palästinenser beginnen Rückkehr in Wohnviertel

Dauerhafte Waffenruhe ist wieder möglich
epa04341522 A Palestinian family en route to their home in Beit Hanoun, northern Gaza Strip, 05 August 2014. Israel pulled its last soldiers out of the Gaza Strip on 05 August 2014, as a 72-hour truce went into effect after exactly four weeks of fighting with Palestinian militants. The Israeli army said its ground troops had withdrawn to the Israeli side of the border and would respond to any attacks. EPA/OLIVER WEIKEN
Viele Palästinenser kehrten am Dienstag in ihre Wohnviertel im Gazastreifen zurück. Mit 267.970 Flüchtlingen in 90 UN-Schutzräumen sei "zum ersten Mal ein leichter Rückgang der Zahlen" zu verzeichnen. Die einmonatige israelische Offensive im Gazastreifen hat schwere Verwüstungen in dem Palästinensergebiet hinterlassen. Rettungskräfte begannen am Dienstag mit der Bergung von Leichen aus Trümmerbergen.

32 Tunnel zerstört

Vor Beginn der Waffenruhe hatten zwei israelische Radiosender berichtet, dass das Hauptziel, die Zerstörung von Tunnel der Hamas, erreicht worden sei. Mindestens 32 der Tunnel seien entdeckt und gesprengt worden, hieß es unter Berufung auf das Militär. "Wir haben diese Bedrohung ausgeräumt", sagte Militärsprecher Lerner. Die radikal-islamische Organisation habe nach seinen Informationen 100 Millionen Dollar in diese Tunnel investiert. Insgesamt habe die Armee seit dem 8. Juli 4.800 Ziele in dem Palästinensergebiet angegriffen, sagte Lerner. 82.000 Reservisten seien für die Kämpfe eingezogen worden. Bei Kämpfen und Luftangriffen seien rund 900 militante Palästinenser getötet worden. Die israelische Armee habe bei ihren Angriffen außerdem etwa 3.000 Raketen der militanten Organisationen zerstört und diese hätten während des Krieges mehr als 3.300 Raketen auf Israel abgefeuert. Damit verfügten sie etwa noch über 3.000 Geschoße.

UN-Generalsekretär Ban begrüßt neue Waffenruhe

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat die neue Waffenruhe begrüßt. In einer in New York herausgegebenen Erklärung rief Ban nach Angaben eines Sprechers alle Parteien auf, sich an die 72-stündige Waffenruhe zu halten. Ban rief die Parteien auf, sich sobald wie möglich in Kairo zu Gesprächen über eine dauerhafte Waffenruhe sowie über die zugrundeliegenden Themen zu treffen. Solche Gespräche seien der einzige Weg, die Gewalt zu stoppen, die schon zu viele Opfer gefordert habe. Die UN stünden bereit, hierbei behilflich zu sein.

Palästinenser werfen Israel Kriegsverbrechen vor

Dauerhafte Waffenruhe ist wieder möglich
epa04341533 Palestinian Foreign Minister Riad al-Malki (C) leaves the International Criminal Court in The Hague, The Netherlands, 05 August 2014. Al-Malki visited the International Criminal Court asking them to make a case against Israel for alleged human rights violations and war crimes committed by Israel in the Gaza Strip. EPA/MARTIJN BEEKMAN
Die Palästinenserregierung wirft Israel vor, während der vergangenen Wochen Kriegsverbrechen begangen zu haben. "In den vergangenen 28 Tagen gab es klare Beweise für Kriegsverbrechen von israelischer Seite, die sich zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit summieren", sagte der palästinensische Außenminister Riad al-Malki am Dienstag in Amsterdam.

Al-Malki sagte nach einem Treffen mit Staatsanwälten am Internationalen Strafgerichtshof weiter, die Palästinensische Autonomiebehörde bemühe sich um Aufnahme als Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs. Dies würde eine weitere diplomatische Konfrontation mit Israel und den USA bedeuten, die einseitige Bestrebungen der Palästinenser zur Mitgliedschaft in internationalen Organisationen als Abkehr von Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung ablehnen. Der Strafgerichtshof zur Verfolgung von Kriegsverbrechern nimmt seine Arbeit erst dann auf, wenn ein Staat unwillig oder unfähig ist, eigene Ermittlungen gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher einzuleiten.

Auch Vertreter der Vereinten Nationen hatten von "Anzeichen" für Kriegsverbrechen gesprochen, allerdings auf beiden Seiten. Auf internationale Kritik war der Beschuss von UN-Einrichtungen durch israelische Truppen gestoßen, in denen Flüchtlinge Schutz vor den Kämpfen gesucht hatten.

Der frühere kubanische Staatschef Fidel Castro hat Israel wegen des Gaza-Kriegs scharf kritisiert. Die einmonatige Militäroffensive gegen die Palästinenser sei ein "schauriger Völkermord" und ein "Holocaust" gewesen, schrieb der 87-Jährige am Dienstag in einem Beitrag für die Parteizeitung "Granma".

Mittwoch: Treffen von UN-Vollversammlung zum Gaza-Konflikt

Die Mitgliedsstaaten der UNO werden sich außerdem am Mittwoch auf einer Vollversammlung mit dem Gaza-Konflikt beschäftigen. Nach Angaben einer Sprecherin vom Montag werden ranghohe UN-Vertreter die Botschafter der 193 Länder per Video-Konferenz über die Situation informieren. Darunter finden sich UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay, der Chef des UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA), Pierre Krähenbühl, sowie der UN-Vermittler Robert Serry. Die Vollversammlung war von den arabischen Staaten beantragt worden, die bisher vergeblich auf eine Resolution des UN-Sicherheitsrats drängen. Eine Entschließung wird von dem "informellen Treffen" aber nicht erwartet.

Drei Monate war die Notfallpsychologin Pia Andreatta für "Ärzte ohne Grenzen " in Syrien, um traumatisierten Kriegsopfern zu helfen. Jetzt flog die Absamerin für das Rote Kreuz nach Tel Aviv. Dort, in Jerusalem und, so die Waffenruhe hält, im Gazastreifen, soll sie die Helfer des Roten Kreuzes, des Roten Halbmondes und des jüdischen Pendants, Magen David Adom, unterstützen.

Was erwartet Andreatta? "Ich gehe davon aus, dass die Helfer angesichts der Zerstörung und des Kriegsleids an ihre Grenzen gestoßen sind", sagt sie dem KURIER. "Helfer sind zu Opfern geworden: Ihre Rettungsfahrzeuge wurden beschossen, einige Helfer sind umgekommen." Jetzt gehe es darum, herauszufinden, was die überlebenden, wohl auch traumatisierten Helfer brauchen. Andreatta: "Sind sie überhaupt noch einsatzfähig? Wie kann man sie unterstützen? Wie kann man ihnen Erholung verschaffen?"

Für sich selbst sorgt sich die Tirolerin nicht: "Mein Schutzmechanismus ist die Einsatzrolle. Und ich bin froh, wenn ich helfen kann und nicht untätig zuschauen muss", sagt Andreatta, die in Nahost ihren 45. Geburtstag feiern wird.

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