Nach „Partygate“ zeigt sich Johnson kampfeslustig und greift die Kirche an
Attacken von Boris Johnson gegen politische Gegner oder gegen die bei so manchen seiner konservativen Tories unbeliebte öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt BBC sind keine Seltenheit. Aber an seinem 1.000. Tag als britischer Premier nahm er auch eine andere Institution verbal ins Visier: die anglikanische Kirche. Denn dass das geistliche Oberhaupt der Church of England, der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, in seiner Osterpredigt ungewöhnlich deutliche Worte für Johnsons Asylpolitik fand, will er nicht auf sich sitzen lassen.
Hintergrund: Seine Regierung hatte in der Vorwoche angekündigt, in Zukunft manche männliche Migranten, die in kleinen Booten über den Ärmelkanal nach Großbritannien gelangen, 6.4000 Kilometer weit nach Ruanda zu fliegen, wo ihr Asylantrag bearbeitet werden soll. Damit sollen, so Johnsons Team, Wirtschaftsmigranten abgeschreckt und Menschenschmuggler bekämpft werden.
Details seien der Politik zu überlassen, aber die Verantwortung für Flüchtlinge „auszulagern“, werfe „ernste ethische Fragen“ auf und halte „göttlicher Prüfung nicht stand“, meinte Welby am Ostersonntag: „Es widerspricht der Natur Gottes.“
In einem Treffen mit Tory-Mandataren hinter verschlossenen Türen am Dienstagabend schoss Johnson dann gegen „hochrangige Mitglieder des Klerus“ zurück, was weithin als nur leicht verschleierter Angriff auf Welby gesehen wurde, berichteten Zeitungen. Der anglikanische Glaubensführer habe die Initiative „falsch ausgelegt“ und den Krieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegen die Ukraine „weniger lautstark“ kritisiert als den Asylpakt mit Ruanda, wetterte Johnson. Die Church of England betonte aber, sie habe von Anfang an den Krieg in der Ukraine als „großes Übel verurteilt“. Ein Sprecher twitterte zu Berichten über Johnsons Tadel: „Wenn das stimmt, ist das eine schändliche Verunglimpfung“ oder Beleidigung.
Auch die Opposition, die UNO und Menschenrechtsgruppen haben den Ruanda-Deal kritisiert. Labour-Chef Keir Starmer wollte in der parlamentarischen Fragestunde am Mittwoch wissen, ob Johnson sich bei Welby entschuldigen wolle. Der reagierte nur mit einer Retourkutsche: „Ich war überrascht, dass wir attackiert wurden“.
Der Deal mit Ruanda
Diese kampfeslustige Seite zeigte Johnson nach einem sehr reumütigen Auftritt am Vortag. Mehr als 30 Mal, wie die britische Zeitung The Telegraph zählte, hatte er sich nach seiner Geldstrafe in der Partygate-Affäre über Lockdown-Feiern in der Downing Street entschuldigt, als er im Unterhaus in London um Vergebung bat.
Davor hatte schon Johnsons Brexit-Minister Jacob Rees-Mogg, der römisch-katholisch ist und dessen Kinder teilweise päpstliche Namen wie Pius und Sixtus haben, den 145-Millionen-Euro-Pakt mit Ruanda verteidigt. „Im Christentum ist Absicht immer sehr wichtig, und die Absicht der Regierung ist es, Gutes zu tun“, sagte er der BBC. „Der Plan soll denen helfen, die wirklich Asyl brauchen, und Kriminalität erschweren“.
Mehr als 28.300 Menschen gelangten 2021 auf Booten nach Großbritannien, ein neuer Rekord. Dutzende kamen ums Leben.
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