Türkei braucht neuen Premier

Recep Tayyip Erdogan und seine Frau Emine
Nach der Präsidentenwahl wird das Amt des Regierungschefs frei, erwartet wird ein Gefolgsmann Erdogans.

Nach dem Sieg von Recep Tayyip Erdogan bei der Präsidentenwahl in der Türkei beginnt die Suche nach einem Nachfolger für sein bisheriges Amt als Regierungschef. Wenn die Wahlkommission Erdogan offiziell zum designierten Präsidenten ernennt, muss er zudem auch den Vorsitz der islamisch-konservativen AKP abgeben. Erwartet wird, dass er enge Gefolgsleute auf beide Posten setzt.

Erdogan will dem Amt des türkischen Staatsoberhauptes offenbar den zeremoniellen Charakter nehmen und als erster vom Volk gewählter Präsident weiterhin selbst die Geschicke der Türkei lenken. Dass Erdogan als Präsident seine Macht weiter ausbauen und die Islamisierung der Türkei vorantreiben könnte, haben Kritiker schon im Vorfeld der Wahl befürchtet.

Erdogan ist am Sonntag nach vorläufigen Ergebnissen bereits im ersten Wahlgang zum Präsidenten gewählt worden. In der Türkei waren rund 53 Millionen Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen. Erstmals hatten zusätzlich auch die 2,8 Millionen wahlberechtigte Auslandstürken die Möglichkeit, außerhalb der Türkei zu wählen, darunter auch in Österreich. Davon machten aber nur 8,3 Prozent Gebrauch.

"Neue Ära" für die Türkei

Nach seinem Wahlsieg kündigte der 60-Jährige eine "neue Ära" für die Türkei an. Er werde Staatsoberhaupt aller 77 Millionen Türken sein, sagte er am Sonntagabend in seiner versöhnlich gehaltenen Siegesrede in Ankara. Die Konflikte der Vergangenheit sollten der "alten Türkei" angehören. "Heute ist ein historischer Tag", sagte Erdogan. "Heute schließen wir die Türen zu der alten Ära und eröffnen eine neue Ära."

Türkei braucht neuen Premier
Wahlergebnis nach Kandidaten - Tortengrafik; Anteil der Pro-Erdogan-Stimmen in Österreich Grafik 0953-14-Tuerkei.ai, Format 88 x 94 mm
Nach Auszählung aller Stimmen kam Erdogan auf 51,96 Prozent, wie die Wahlkommission in der Nacht zum Montag mitteilte. Der Gemeinschaftskandidat der beiden größten Oppositionsparteien CHP (Republikanische Volkspartei) und MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung), Ekmeleddin Ihsanoglu, kam auf 38,33 Prozent. Der Kandidat der pro-kurdischen HDP (Demokratische Partei der Völker), der Kurde Selahattin Demirtas, erzielte demnach 9,71 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 73 Prozent. Ihsanoglu gratulierte Erdogan am Sonntagabend zum Sieg.

Präsident statt Ministerpräsident

Erdogan regiert seit 2003 und hätte nach den Statuten seiner AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) nicht ein viertes Mal Ministerpräsident werden dürfen. Mit Erdogans Wahlsieg dürften die Weichen für die Einführung eines Präsidialsystems gestellt und das Präsidentenamt mit mehr Macht ausgestattet werden, als sie der Ministerpräsident bisher hatte. Als eines seiner Ziele hat Erdogan eine neue Verfassung angekündigt.

Erdogan gelang der Wahlsieg trotz zahlreicher Krisen, die seine Regierung seit dem Sommer vergangenen Jahres erschütterten. Damals gingen bei den sogenannten Gezi-Protesten Millionen Türken gegen seinen autoritären Regierungsstil auf die Straßen. Später sah sich seine Regierung massiven Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. Auch aus der EU wurde Erdogans autoritärer Kurs mehrfach kritisiert.

Die Macht des Präsidenten

Die Amtszeit des neuen Präsidenten beginnt am 28. August. Der scheidende Präsident Abdullah Gül, der wie Erdogan zu den Gründern der Regierungspartei AKP zählt, hatte sich auf eine zeremonielle Rolle beschränkt. Schon jetzt gibt die Verfassung dem Präsidenten allerdings erhebliche Macht. So sind beispielsweise seine Entscheidungen juristisch nicht anfechtbar. Bei seiner Siegesrede erwähnte Erdogan Gül nicht.

Erdogan wird das zwölfte Staatsoberhaupt der Türkei. Als Präsident kann er nach fünf Jahren für eine weitere Amtszeit wiedergewählt werden. Erdogan hat mehrfach deutlich gemacht, dass er zum 100. Geburtstag der Republik 2023 noch in der Türkei herrschen will.

Gegenkandidat Ihsanoglu (70) kritisierte am Sonntag: "Der Wahlkampf wurde unter ungerechten und ungleichen Voraussetzungen geführt." Die Opposition hatte Erdogan vorgeworfen, staatliche Ressourcen im Wahlkampf zu nutzen. In die Kritik war auch der Staatssender TRT geraten, der Erdogan viel mehr Sendezeit einräumte als seinen beiden Kontrahenten.

EU gratulierte Erdogan und mahnte zu Versöhnung

Die EU-Spitzen in Brüssel haben Erdogan zu seinem Sieg bei der Präsidentenwahl gratuliert. Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionschef Jose Manual Barroso betonten am Montag in einer gemeinsamen Stellungnahme zugleich: "Wir vertrauen darauf, dass Sie in ihrer versöhnenden Rolle bleiben, die Ihre neue Position mit sich bringt." Die Türkei sei "ein Schlüsselpartner der Europäischen Union: ein Kandidatenland in EU-Beitrittsverhandlungen, ein Nachbar, ein wichtiger Handelspartner und außenpolitischer Verbündeter". Van Rompuy und Barroso betonten, die EU wolle in all diesen Bereichen die Zusammenarbeit verstärken.

Erdogan sollte danach trachten, "alle Gemeinschaften, Glaubensrichtungen, Befindlichkeiten, Meinungen und Lebensstile der türkischen Gesellschaft einzubinden", erklärten Van Rompuy und Barroso. "Wir sehen auch ihrer fortgesetzten Unterstützung zum laufenden Prozess zur Suche einer Lösung der Kurdenfrage entgegen, in den Sie bereits wertvolle Bemühungen investiert haben, sowie Ihrer weiteren Unterstützung, um eine Lösung in Zypern zu finden."

Auch Ägyptens Muslimbruderschaft gratulierte

Außerdem hat die in Ägypten verbotene Muslimbruderschaft Erdogan zum Sieg gratuliert. Auf der Partei-Webseite wünschte das "Büro" von Ex-Präsident Mohammed Mursi dem bisherigen türkischen Premier am Montag anhaltenden Erfolg. Erdogan hatte den Sturz Mursis durch das Militär verurteilt und ist ein Kritiker des ägyptischen Präsidenten Abdel Fatah al-Sisi.

Ägyptische Medien berichteten eher zurückhaltend über Erdogans Wahlsieg. Die unabhängige Zeitung Tahrir titelte am Montag: "Erdogan ist der erste gewählte Präsident der Türkei". Die staatliche Zeitung Al-Ahram wies auf "Verstöße" bei der Wahl hin. Die englischsprachige Al Ahram Weekly hatte vor der Wahl vor "Gefahren einer Präsidentschaft Erdogans" gewarnt und eine Diktatur prophezeit: "Sollte Erdogan die Wahl gewinnen, dürfte er sich wie im siebenten Himmel fühlen. Doch in Wirklichkeit wird er die Türkei vermutlich in einen dunklen Tunnel führen, an dessen Ende kein Licht ist."

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