Moldau: Ein Land zwischen Hilfsbereitschaft und Polit-Wirren
Lena geht am Stock. Dass sie das wieder kann, grenzt an ein Wunder. Dass sie überhaupt überlebt hat, auch. Vor etwa zehn Monaten wurde die 35-Jährige beim Markt in der ukrainischen Stadt Mykolaijw, auf dem sie arbeitete, von der Druckwelle einer einschlagenden Rakete meterweit weggeschleudert. Sie blieb blutüberströmt liegen, inmitten von Glassplittern, erzählt sie.
Sie wurde zwar gerettet, aber es folgten Wochen, in denen sie nicht gehen konnte. Kein fließendes Wasser, ständiges Bombardement, ständige Angst. Schließlich suchte sie um Hilfe an und ließ sich gemeinsam mit ihrer Mutter aus dem Land bringen, ins benachbarte Moldau.
Und damit ist sie nicht allein. Dort leben derzeit 110.000 ukrainische Flüchtlinge. Gemessen an der Einwohnerzahl – 2,6 Millionen – zählt Moldau zu den Ländern, die die meisten Geflüchteten beherbergen.
Hohe Inflation
Viele von ihnen zählen zu den vulnerabelsten Gruppen. Es sind Kinder, alte Menschen, Verletzte wie Lena oder jene, denen die finanziellen Mittel fehlen, um weiterzureisen. Das ist eine große Herausforderung, denn schon zuvor war Moldau (gemeinsam mit dem Kosovo) das ärmste Land Europas.
Knapp ein Viertel der Bevölkerung lebte 2021 unter der nationalen Armutsgrenze und verdiente weniger als 112 Euro im Monat. Im Oktober 2022 war das Land zudem mit einer der höchsten Inflationsraten weltweit konfrontiert, sie betrug 34 Prozent.
Viele Menschen können sich das Essen kaum bis gar nicht mehr leisten, sie können im strengen moldauischen Winter nicht heizen. Trotzdem ist die Solidarität mit den Flüchtlingen ungebrochen. Viele haben Ukrainer in ihren privaten Unterkünften aufgenommen, viele teilen das Wenige, das sie haben. „Wir wissen, wie es ist, wenn man leidet, darum helfen wir“, ist ein Satz, der fast in jedem Gespräch fällt.
Eine Anspielung auf die Zeit nach 1991, als Moldau seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärte. Kurz darauf erklärte die Region Transnistrien ebenfalls seine Unabhängigkeit, was im Sommer 1992 zu einem umfassenden Krieg eskalierte. Das De-facto-Regime in Transnistrien wird von Russland unterstützt.
Doch nicht nur die eigene Kriegserfahrung hilft beim Aufrechterhalten der Solidarität. Die Hilfsprojekte, die die österreichische Caritas mit lokalen Partnern neu aufgesetzt oder adaptiert hat, sind alle so gestaltet, dass sie den Ukrainern und gleichzeitig den Moldauern zugutekommen – um Neid zu verhindern.
In der Einrichtung, in der Lena psychologisch so weit aufgebaut wurde, dass sie es sich zutraute, wieder das Gehen zu lernen, werden etwa auch Frauen aus Moldau beraten.
Polit-Wirren
Auch bei der Brennholzausgabe in Anenii Noi nahe der Grenze zu Transnistrien wird Familien aus beiden Ländern geholfen. Mit den ausgeteilten zwei Kubikmetern Holz kommt eine Familie einen Monat lang aus. Ein Kubikmeter kostet derzeit rund 110 Euro – also so viel wie ein Monatsgehalt der ganz Armen. Der Kampf ums Überleben steht im Mittelpunkt, die politische Lage im Land spielt eine untergeordnete Rolle in der Bevölkerung. Und das, obwohl Regierungschefin Natalia Gavrilita vor einer Woche überraschend zurückgetreten ist. „Was soll man dazu sagen? Der Nächste, bitte“, kommentiert eine Moldauerin.
Mit weit mehr Interesse werden die Vorgänge von den EU-Staaten beäugt – immerhin wird der Druck aus Russland immer größer. Moldaus Präsidentin Maia Sandu und der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij warnten zuletzt vor einem russischen Putsch.
Ob es diese Pläne tatsächlich gibt, ist noch unklar. Klar ist hingegen, dass Moldau mit der Ernennung von Dorin Recean zum neuen Premier einen überzeugten Pro-Europäer eingesetzt hat. Eine klare Positionierung auch hinsichtlich des Wahlreigens, der in Moldau ansteht, beginnend mit den Präsidentschaftswahlen nächstes Jahr, sagt die österreichische Botschafterin Stella Avallone.
Hilfe für Kinder
Derzeit noch unbeeindruckt von politischen Neubesetzungen wird in der Nothilfe besonderer Fokus auf Kinder gelegt – sogenannte „Child Friendly Spaces“ gibt es in fast allen Einrichtungen. Kinder sollen hier trotz Krieg und Armut Kinder sein dürfen.
Dass das auch gelingt, sieht man bei einem Besuch bei einer Kindergruppe in der Hauptstadt Chișinău. Ein etwa Dreijähriger rennt immer wieder zum österreichischen Caritas-Präsident Michael Landau, um ihn mit einem mit Plastikperlen vollgehäuften Löffel zu „füttern“. Als Landau zu verstehen geben will, dass er satt sei, antwortet das Kind via Dolmetscher, dass er nicht sprechen, sondern essen solle.
Damit diese unbeschwerten und so alltäglichen Momente weiterhin möglich seien, brauche es aber Hilfe aus Österreich – etwa in Form von Spenden, sagt Landau, denn „nur so können wir aus Traumata wieder Träume machen“.
Caritas-Spendenkonto, Erste Bank IBAN AT23 2011 1000 0123 4560, Kennwort, Kinder in Not.
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