Haftstrafe und Politik-Verbot: Wie Serbenführer Dodik einen Ausweg erpressen will

Es ist eingetroffen, was seit Monaten erwartet worden war: Nach dem – nicht rechtskräftigen – Urteil gegen den bosnischen Serbenführer Milorad Dodik diese Woche spitzt sich die ohnehin angespannte Lage in Bosnien-Herzegowina gefährlich zu. Der Separatist hat eine Haftstrafe von einem Jahr sowie sechs Jahre Politik-Verbot erhalten, weil er Anweisungen des Internationalen Hohen Repräsentanten Christian Schmidt missachtet hatte.
Laut Balkan-Experte Vedran Džihić vom Österreichischen Institut für Internationale Politik war die rechtliche Lage in diesem Fall eindeutig: „Wäre Dodik nicht verurteilt worden, hätte das die bosnische Justiz und das Prinzip der ohnehin schwachen Rechtsstaatlichkeit massiv beschädigt“, sagt er.
Nur einen Tag später, am Donnerstag, ließ Dodik ein Gesetz verabschieden, das die bosnische Staatspolizei und Justiz aus dem serbischen Landesteil Republika Srpska verbannt. In Kraft ist es noch nicht, bosniakische Vertreter schoben dies erstmal hinaus, Schmidt könnte es gänzlich aussetzen.
Für Dodik geht es jetzt ums politische Überleben. Wie gewohnt droht er laut mit der Abspaltung und stellt sich als serbisches Opfer einer bosniakischen Justiz dar. Unterstützung erhält er übrigens auch von rechtsnationalistischen Kräften in der EU, allen voran von seinem Freund Viktor Orbán in Ungarn, aber auch von der FPÖ. Dodik kann noch gegen das Urteil berufen – doch was, wenn er damit scheitert? Droht dann eine gewaltsame Eskalation?
"Dodik gehen Mittel abhanden"
„Dodik gehen langsam die Mittel abhanden, mit denen er seine Macht absichert“, so Džihić. Seine Regierungsbilanz sei schwach, die Opposition zudem lebendig – Dodik hat keine absolute Mehrheit in der Republika Srpska. Auch die US-Sanktionen gegen ihn würden ihm zu schaffen machen.
Die Haftstrafe könne Dodik recht einfach mit einer Geldstrafe ersetzen, doch das Politik-Verbot würde ihm sehr weh tun: „Er versucht jetzt, durch Drohungen Zugeständnisse oder doch noch einen Ausweg vom Zentralstaat oder der Internationalen Staatengemeinschaft zu erpressen.“
Sollte es hart auf hart kommen, müsste die staatliche Sicherheitsagentur SIPA gegen Dodik vorgehen. Es gab bereits einen ersten Fall, in dem diese zwei Personen in der Republika Srpska festgenommen hat. Sie hatten der Richterin, die das Urteil gesprochen hat, mit Gewalt und Mord gedroht. Mit weiteren derartigen Vorfällen ist zu rechnen.
Bosnien-Herzegowina ist seit Ende des Kriegs 1995 in zwei weitgehend autonome Landesteile aufgeteilt: die bosniakisch-kroatische Föderation und die Republika Srpska. Den Krieg, der 1992 begann und rund 100.000 Menschen das Leben kostete, beendete der Friedensvertrag von Dayton. Bei öffentlichen Ämtern ist in Bosnien seither ethnischer Proporz entlang der drei Staatsvölker - Bosniaken, Serben und Kroaten - vorgesehen.
Über die Einhaltung des Dayton-Vertrags wacht der Internationale Hohe Repräsentant (HR), der auch Gesetze erlassen darf, wenn die politischen Lager keine Kompromisse finden können. Der aktuelle internationale Vertreter, der Deutsche Christian Schmidt, machte bereits mehrmals von seinen umfangreichen Befugnissen, den sogenannten Bonn-Powers, Gebrauch. Die politischen Kräfte in Bosnien-Herzegowina sehen den HR kritisch.
Die EU-Mission EUFOR/ALTHEA sorgt ebenfalls dafür, dass das Dayton-Abkommen eingehalten wird. Auch österreichische Soldaten gehören dieser an.
Dodik erwähnt auch immer wieder, wie gut die Polizei des serbischen Landesteils ausgestattet sei, und, dass sie die Souveränität der Republika Srpska – die sie verfassungsmäßig nicht hat – verteidigen würde. „Doch das wäre eine neue Dimension der Eskalation, die auch Dodik zu diesem Zeitpunkt nicht anstreben kann“, so der Experte. Die Gefahr, dass er den Kürzeren ziehe, sei zu groß.
Nach wie vor ist die EU-geführte EUFOR-Mission in Bosnien-Herzegowina aktiv. Im Falle einer krisenhaften Zuspitzung hätte sie einzugreifen.
Die große Unbekannte: Trump
Dazu kommt laut Džihić die „große Unbekannte“ Trump: „Man weiß noch nicht, wie seine neue Administration sich auf dem Balkan, wo die USA sich seit den 90er-Jahren sehr stark engagieren, positionieren wird.“ Rational gesehen hätte der US-Präsident kein Interesse daran, dass der Konflikt eskaliert. Erste Reaktionen der Regierung in Washington hätten das Dodik-Urteil begrüßt. Auch die US-Sanktionen gegen den Verurteilten sind weiterhin aufrecht, trotz äußerst aktiver Lobbying- und Schmeichelversuche.
Dann ist da noch der serbische Präsident Aleksandar Vučić, der Dodiks Verbündeter ist – eigentlich. Er braucht zwar die Republika Srpska auf seiner Seite und ist auch nach der Urteilsverkündung sofort zu Dodik gereist. Aber mehr als rhetorische Unterstützungsbeteuerungen sind von ihm nicht zu erwarten.
Vučić ist angesichts der Studentenproteste im eigenen Land selbst enorm unter Druck. Und er braucht Dodik nicht unbedingt. So traf er bei seinem Besuch in Banja Luka auch den oppositionellen Bürgermeister der Stadt, Draško Stanivuković. Er ist jung, pragmatisch, politisch erfolgreich und aus serbischer Sicht nationalistisch genug, um Dodik zu beerben, sollte er aus seinem Amt ausscheiden müssen.
Und letztlich würde Dodik eine tatsächliche Sezession nicht lange überstehen können, glaubt Džihić: „Sich immer gegen die anderen – gegen den Zentralstaat, die Internationale Staatengemeinschaft, die Bosniaken – zu stellen, darauf basiert seine Überlebensstrategie. Würde die wegfallen, wäre er ultimativ isoliert und würde wohl über kurz oder lang verlieren.“
Kommentare