„Dahinter steckt aber mehr Sehnsucht als Realismus – und auch etwas Naivität gegenüber dem politischen System“, sagt Roberta Maierhofer, Professorin für Amerikanistik an der Universität Graz. „Sie hat mehrfach betont, dass sie sich diesen Job nicht antun will. Ich glaube auch, es wäre nicht das Ihre, ständig diese Entscheidungen fällen zu müssen.“
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Ihren Einfluss wusste die studierte Juristin Obama (erst Princeton, dann Harvard) nach dem Auszug aus dem Weißen Haus auch ohne Amt zu nutzen. Seit 2018 wird sie in Umfragen jedes Jahr zur „meistbewunderten Frau Amerikas“ gewählt, weit vor anderen Ex-First-Ladys. Ihre beiden autobiografischen Bücher verkauften sich millionenfach, ihr Podcast geriet zur öffentlichen Therapie: Schonungslos ehrlich spricht die zweifache Mutter darin über Tabuthemen wie Fehlgeburt, Wechseljahrbeschwerden und Ehekrisen. Als Präsidentengattin zur Stilikone avanciert, machte sie aus Selbstzweifeln kein Geheimnis. Mit ihrer Größe (1,80 m) habe sie lange gehadert, das Haar stets aufwendig geglättet. „Amerika war noch nicht bereit für diesen Look“, erklärte sie rückblickend.
Rolle fürs Leben
Das Geheimnis ihrer anhaltenden Popularität sei ihre Authentizität, sagt Maierhofer. „Es ist immer wieder interessant zu sehen, dass sie auf so vielen Ebenen eine Projektionsfläche bietet. Als schwarze Frau hat sie sich durchgesetzt in einer weißen Leistungsgesellschaft. Dennoch schafft sie es, in diesem außergewöhnlichen Lebensverlauf etwas Traditionelles zu verkörpern, in dem sich viele Frauen wiederfinden. Etwa wenn sie erzählt, dass sie für die Karriere ihres Mannes zurückgesteckt und sich um die Kinder gekümmert hat, obwohl sie selbst erfolgreich in ihrem Beruf war.“
Der außergewöhnliche Lebensweg nahm im Jahr 1989 eine entscheidende Wendung. Die 25-jährige Michelle Robinson arbeitete in einer Anwaltskanzlei in Chicago, als ihr eines Tages ein ehrgeiziger Berufsanwärter „mit seltsamem Namen“ (so erinnert sie sich in ihren Memoiren „Becoming“) zur Seite gestellt wurde. Bevor sie Barack Obamas Ehefrau wurde, war sie seine Mentorin. Eine Rolle, die sie später in ihrer Funktion als erste schwarze First Lady der USA fortführte. Vor ihren festen Umarmungen war niemand – nicht einmal die Queen – sicher. „Sie hat die Rolle der First Lady neu definiert, weil sie eine hoch gebildete, politisch denkende Frau, gleichzeitig aber Modevorbild und engagierte Mutter ist“, sagt Maierhofer. „Umso größer war der Schock über das Frauenbild, das nach ihr im Weißen Haus Einzug hielt.“
Bestens vernetzt
Heute leben die Obamas als „Empty Nester“ – die beiden Töchter sind auf dem College – im Washingtoner Nobelviertel Kalorama. Bestens vernetzt mit den großen Namen der Showbranche, produzieren sie mit ihrer eigenen Firma Filme und Dokumentationen. Für seine Rolle als Erzähler wurde Barack Obama eben erst mit einem Emmy ausgezeichnet. „Die Obamas, insbesondere Michelle, stehen für einen kulturellen Veränderungsprozess in der Gesellschaft“, resümiert die Amerikanistin. „Er ist nicht radikal, aber er findet statt. Auch, wenn das durch die lauten Trump-Unterstützer überlagert wird: In Bezug auf Integration und Diversität ist in den vergangenen Jahren wirklich viel passiert.“
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Der große Wandel zeigt sich oft im ganz Kleinen. Mit sechzig Jahren steht Michelle Obama endlich zu ihrem Natur-Haar. Amerika ist jetzt bereit dafür – und sie auch.
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