Michail Gorbatschow: "Nie wieder Krieg"

Michail Gorbatschow mit dem Friedensaktivisten Franz Alt, der ihn in Moskau besucht hat.
Warum sich der Friedensnobelpreisträger sorgt und was er jetzt von der Zivilgesellschaft fordert.

Am Höhepunkt des Kalten Kriegs wurde Michail Gorbatschow in der Sowjetunion Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, danach Staatschef. Dass seine Reformen dazu geführt haben, dass der Eiserne Vorhang fällt, ohne dass eine einziger Schuss gefallen ist, hätte vorher niemand für möglich gehalten. Er ist zweifellos eine der interessantesten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Heute sagt er, dass damals auch die Stimme der Friedensbewegung im Westen gehört wurde. Menschenschlangen von einigen Hundert Kilometern taten das Ihrige. Der deutsche Journalist Franz Alt war damals ein prominentes Gesicht des Protests. Jetzt fuhr er nach Moskau, um mit Gorbatschow über die aktuellen Bedrohungen zu reden. Gemeinsam richten sie einen Appell: "Nie wieder Krieg." Im Interview sagt Alt, was jeder Einzelne tun kann.

KURIER: Die Gefahr eines atomaren Krieges ist so groß wie seit den 80er- Jahren nicht mehr. Damals entstand die Friedensbewegung, auf die sich Gorbatschow beruft. Glauben Sie, dass diese wieder in Gang kommt?

Franz Alt: Der neue US-Präsident Donald Trump wird Gegenkräfte mobilisieren. Das ist kein Politiker, der sich fürs Allgemeinwohl interessiert. Auch Wladimir Putin ist kein Pazifist. Beide haben angekündigt, den Rüstungshaushalt anzuheben und Atomarsenale modernisieren zu wollen. Das könnte ein neues atomares Wettrüsten bedeuten. Kommt es so weit, wird es die Gegenbewegung geben, die stärker ist als die letzte.

Die Situation ist heute eine andere als damals – die Mittelschicht hat resigniert. Findet sie die Kraft, sich gegen die Aufrüstung zu wehren?

Ursache für die Resignation ist, dass das große Kapital sich weltweit auf einige wenige Milliardäre konzentriert. Ich glaube nicht, dass sich die 7,5 Milliarden Menschen auf der Welt und eine Mittelschicht, die Abstiegsängste hat, das auf die Dauer bieten lässt. "Armut ist ein politisches Problem", sagt Gorbatschow im Gespräch. "Um einer Lösung näherzukommen, braucht es den politischen Willen. Doch daran fehlt es." Deshalb wird es eine soziale Gegenbewegung geben, die sich gegen diese Ungleichheit zur Wehr setzt. Das sehe ich weltweit, auch in der Umweltpolitik. Selbst in Japan, wo Premier Shinzo Abe die AKW wieder ans Netz nehmen möchte, regt sich Widerstand von unten, wie ich in Fukushima bei einer Rede vor 500 Bürgermeistern festgestellt habe.

Nicht nur in den USA, auch in Europa geben Persönlichkeiten den Ton an, die einfache Lösungen bieten.

Diese Bewegungen sind dabei, sich selbst zu zerlegen. Ich glaube nicht, dass Menschen auf Dauer rechten Rattenfängern hinterherlaufen. Ich bin Jahrgang 1938 und lebe 70 Jahre in Frieden. Kein EU-Mitglied hat gegen ein anderes Krieg geführt – im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten. Für mich ist die EU geradezu ein biblisches Projekt. Das werden die Menschen merken.

Der Nationalismus ist im Vormarsch. Sehen Sie da keinen Grund für Pessimismus?

Diese Frage habe ich auch Gorbatschow gestellt – ein Mensch, der Unglaubliches bewirkt hat und der ein mutiger Politiker war. Er hat sein Leben eingesetzt für seine Ideale und wird heute von vielen verachtet, sodass er jeden Tag Todesdrohungen bekommt. Wenn ich ihn frage: "Warum sind Sie trotzdem optimistisch?", sagt er: "Pessimismus bringt nichts. Ich habe eine Menge erreicht. Warum soll ich pessimistisch sein?" Es gibt Menschen, die sich bis heute bei ihm bedanken, weil sie sich mehr entfalten können als im früheren Sowjetsystem.

Gorbatschow und Sie fordern ein Engagement der Zivilgesellschaft. Wie soll das aussehen?

Schauen Sie 30 Jahre zurück. Ronald Reagan war kein angenehmer Gegenspieler für Gorbatschow, und dennoch haben sie es geschafft, 80 Prozent ihres Waffenarsenals zu vernichten. Wenn das damals ging, kann es auch bei Putin und Trump funktionieren. Und wenn sie nicht wollen, müssen die Menschen von unten ordentlich Dampf machen – aufwachen und auf die Straße gehen. So wie einen Tag nach der Inauguration Trumps, wo Millionen Menschen auf die Straße gingen und somit mehr als bei der Amtseinführung.

Gorbatschow sieht im Siegesgeheul des Westens nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Hauptursache für den derzeitigen Konflikt mit Russland. Fehlt da die Reflexion der eigenen Geschichte im Umgang mit Besiegten?

Gegenfrage: Wie ist der Westen mit den arabischen Ländern umgegangen? Sieben islamische Staaten wurden niedergebombt. Die Deutschen stehen weltweit an dritter Stelle bei den Waffenexporten, das zeigt auch, wie oberflächlich unser Pazifismus ist.

Gorbatschow sieht im Terrorismus eine große Gefahr. Wie sollen wir mit Terroristen umgehen?

Reden. Ich erinnere mich, dass es immer hieß, man könne mit Terroristen im Baskenland oder in Nordirland nicht sprechen. Dann gab es viele Tote und am Schluss musste man doch reden. Heute hat Nordirland eine Premierministerin, und die alten Männer schweigen. Wir sollten versuchen, über viele Kanäle mit dem IS Kontakt aufzunehmen. Daran führt kein Weg vorbei.

Michail Gorbatschow: "Nie wieder Krieg"
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Michail Gorbatschow: Sein Name wird gleichgesetzt mit Perestroika (Umgestaltung) und Glasnost (Transparenz). Schließlich führte die Politik des 1931 Gorbatschow zu einem friedlichen Ende der Sowjetunion und des Kalten Krieges, wofür er 1990 den Friedensnobelpreis erhielt. Im Westen gilt er als Held, in Russland als Verräter.

Franz Alt: Der 78-Jährige war Moderator der ARD-Sendung Report, ist bekennender Christ und Friedenskämpfer. Sein Buch „Frieden ist möglich“ ist seit dem Erscheinen 1985 bis heute ein Bestseller.

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