Obama: Russland für Separatisten verantwortlich
Die gegenseitigen Schuldzuweisungen sind auch vier Tage nach dem Unglück nicht vom Tisch: Russland habe die Separatisten trainiert und mit Waffen versorgt, sagen die USA, Moskau weist jegliche Verantwortung von sich und gibt erneut der Ukraine die Schuld. US-Präsident Barack Obama forderte Wladimir Putin nun in einem Statement wieder eindringlich auf, Verantwortung zu zeigen und seinen Einfluss auf die Separatisten zu nutzen, um die Ermittlungen weiterzubringen. "Unsere Herzen sind gebrochen wegen all der Leben, die genommen wurden. Das Letzte, das wir tun können, ist den Opfern und ihren Angehörigen die Wahrheit zu liefern", so Obama am Montagabend. Sollte Russland seinen Kurs nicht ändern, würde es sich nur weiter isolieren und einen immer höheren Preis dafür zahlen müssen.
Poroschenko: "Wie Barbaren"
Auch Viktor Poroschenko, der Präsident der Ukraine, will eine klare Distanzierung Russlands von den Separatisten. "Sie verhalten sich wie Barbaren", sagt Poroschenko gegenüber CNN. Er sehe keine Unterschiede zwischen den Terroranschlägen von 9/11, dem Lockerbie-Anschlag und dem Absturz der MH 17.
Russland berichtet von Militärjet
Das Verteidigungsministerium in Moskau hingegen erklärte erneut, dass Russland den Separatisten weder Luftabwehrraketen vom Typ SA-11 BUK noch irgendwelche anderen Waffen geliefert habe. Vielmehr habe sich ein ukrainisches Militärflugzeug der Passagiermaschine bis auf 3,5 Kilometer genähert. Russische Überwachungssysteme hätten auch keinen Raketenstart entlang der Flugroute des Passagierflugzeuges registriert. Sollten die USA über Satellitenaufnahmen verfügen, sollten sie diese Russland zur Verfügung stellen.
Auch Putin hat die prorussischen Separatisten aufgerufen, internationalen Experten Zugang zu den Überresten der abgestürzten Passagiermaschine zu geben. Er müsse seinen Worten nun Taten folgen lassen und die Separatisten direkt unter Druck setzen, fordert Obama.
UN-Sicherheitsrat beschließt Resolution
Um diesen Prozess zu beschleunigen, hat am späten Montagabend auch der UNO-Sicherheitsrat eine unabhängige Untersuchung per Resolution gefordert. Alle 15 Mitglieder des Gremiums, auch Russland, stimmten dem Papier bei einer kurzfristig einberufenen Sitzung am Montag in New York zu. Die von Australien eingebrachte Resolution fordert einen "ungehinderten und sicheren Zugang" zur Absturzstelle vor. Die pro-russischen Separatisten werden zudem aufgefordert, die "Integrität" der Absturzstelle zu bewahren und eine Feuerpause in der Region einzuhalten.
Niederländische Ermittler eingetroffen
Denn trotz politischer Entrüstung und Entsetzen weltweit schreiten die professionellen Ermittlungen und Untersuchungen des Absturzortes nur langsam voran und werden zum Teil schwer behindert. Erst am Montag sind drei niederländische Experten am Absturzort in der Ostukraine eingetroffen und haben erstmals die Kühlwaggons mit den sterblichen Überresten von rund 200 Opfern der abgestürzten malaysischen Passagiermaschine inspizieren können. Drei Tage, nachdem sich das Unglück ereignet hatte. Drei Tage, nachdem Dutzende Menschen ungehinderten Zutritt zu dem Gelände hatten.
Nach Angaben der OSZE haben die Separatisten am Montag die Forensik-Experten bei ihrer Arbeit aber durchaus auch unterstützt: Sie hätten die Stelle gesichert, während die drei niederländischen Experten gemeinsam mit ukrainischen Kollegen im Bahnhof von Tores die Leichensäcke öffneten. Die Forensiker bestätigten den problematischen Zustand der Leichenteile unter "schwierigen klimatischen Bedingungen".
Blackbox wird Malaysia übergeben
Die beiden gefundenen Flugschreiber sollen zudem noch heute an malaysische Behörden übergeben werden. Zuvor hatte die Ukraine die Rebellen beschuldigt, die Flugschreiber (Black Box) manipuliert zu haben. "Es gibt Informationen wonach sie in der vergangenen Tagen Dinge mit ihnen gemacht haben", erklärte er bei einer Pressekonferenz.
Zumindest konnte die Suche nach den Opfern am Montagabend offiziell beendet werden. Die Helfer hätten 282 Leichen sowie 87 Leichenteile der übrigen 16 Todesopfer gefunden. Die sterblichen Überreste von mindestens 251 Opfern seien in Eisenbahn-Kühlwaggons gebracht worden. Ein Zug mit Leichen der Opfer verließ am Abend laut Augenzeugen den von Rebellen kontrollierten Bahnhof Tores.
Niederlande: Ermittlungen wegen Mordes
Die Niederlande wollen die Opfer so schnell wie möglich außer Landes bringen. "Die Identifizierung geht in den Niederlanden viel schneller", sagte Ministerpräsident Mark Rutte im Parlament in Den Haag. Auf dem Flugplatz von Charkow steht eine Herkules-Maschine der niederländischen Armee bereit. Die niederländische Staatsanwaltschaft hat außerdem Vorermittlungen wegen Mordes, Kriegsverbrechen und dem bewussten Abschuss eines Flugzeuges im Fall des Absturzes von Flug MH 17 eingeleitet. Nach niederländischem Recht können Ermittlungen wegen mutmaßlicher Verbrechen, die außer Landes verübt wurden, eingeleitet werden, sobald niederländische Staatsangehörige betroffen sind. Ein Vertreter der Justizbehörde sich bereits in Kiew befinden.
Airline bietet Ersthilfe an
Malaysia Airlines hat den Familien der Opfer indes 5000 US-Dollar (3700 Euro) Ersthilfe angeboten. Die Summe sei unabhängig von späteren Entschädigungszahlungen und den rechtlichen Ansprüchen der Familien auf Wiedergutmachung, das teilte die Fluglinie am Montag mit. Es sei nun wichtig, sich um die Verwandten der Passagiere und Crew von Flug MH 17 zu kümmern. "Die Fluglinie wird die Familien in dieser schwierigen Zeit unterstützen und Hotelunterkünfte, Mahlzeiten und Transport zur Verfügung stellen."
Königspaar traf Angehörige
Die Boeing 777 mit der Flugnummer MH 17 war am vergangenen Donnerstag auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur über der Ostukraine vermutlich abgeschossen worden. Bei dem Absturz waren 298 Menschen ums Leben gekommen. Ein Abschuss durch prorussische Separatisten wird vermutet.
Die Sicherung des Geländes rund um den Absturz ist schwierig: "Das Problem ist, dass es keine Absperrung des Ortes gibt, wie sonst üblich. Jeder kann da rein und womöglich mit Beweisstücken herumhantieren", sagte Michael Bociurkiw von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bereits am Sonntag auf CNN – er und seine Kollegen hatten keinen ungehinderten Zugang zum Gelände. Auf Twitter kursieren Fotos von Separatisten, die – angeblich – die Überreste plündern, Geldtaschen leeren und elektronische Geräte stehlen; auch der ukrainische Sicherheitsrat berichtet vom angeblichen Missbrauch von Kreditkarten getöteter Passagiere. Eine Bestätigung dafür gibt es allerdings nicht. Auch ein Sky-News-Reporter konnte ungehindert und vor laufender Kamera in den Trümmerteilen stöbern - er entschuldigte sich nun dafür.
Journalisten vor Ort berichten von betrunkenen Rebellen, die den Zugang zum Absturzort kontrollieren: „Maskierte mit Waffen, die nicht mehr mit sich anzufangen wussten, als die Arbeit der internationalen Beobachter zu behindern, haben alles überwacht. Ein zusammengewürfelter Haufen aus lokalen Notfalls-Einsatzkräften, zivilen Helfern und Minenarbeitern – von denen viele die Anliegen der Separatisten unterstützen – hat die Wrackteile untersucht“, schreibt Christopher Miller, der für Mashable berichtet. „Einer der diensthabenden Rebellen, gekleidet in Tarnanzug und Bienenzüchtermaske, roch streng nach Alkohol. Ein anderer, mit blutunterlaufenen Augen und einem dunkelroten Gesicht, konnte sich selbst kaum auf den Beinen halten.“
Vorschriften nicht eingehalten
Die Trümmer sind auf 35 Quadratkilometer verstreut – und wie man damit umzugehen hätte, wäre eigentlich klar geregelt. Die International Civil Aviation Organization, kurz ICAO, hat dafür ein dickes Regelwerk – wer etwas bewegt, müsste dies eigentlich mit einem Fähnchen kennzeichnen, heißt es dort; Fotos und Videos von jeder Begehung sollten angefertigt werden. Auch sollten die Wrackteile mittels GPS kartiert werden, die Black Boxes so schnell als möglich in Sicherheit gebracht werden.
Dass man jetzt noch auf den Urzustand des Wracks schließen kann, ist somit unwahrscheinlich. Rebellenführer Borodai erklärte am Sonntag, man habe "Flugzeugteile, die wie Blackboxes aussehen" an der Absturzstelle entdeckt. Sie würden diese aber natürlich den „internationalen Experten“ übergeben, „wenn diese eintreffen“.
Kiew erhöht den den Druck auf die Separatisten: Ukrainische Soldaten versuchen anscheinend, in die von prorussischen Separatisten kontrollierte Stadt Donezk einzudringen. Ein Anführer der Separatisten sagte am Montagvormittag, es gebe Kämpfe in der Innenstadt in der Nähe eines Bahnhofs. Zuvor war eine laute Explosion zu hören.
Auch ein Anführer der Separatisten bestätigte, dass es Kämpfe in der Innenstadt gibt - rund um den Bahnhof schlugen mehrere Artilleriegeschosse ein, wie Reporter berichteten. Die Militäroperation in der Ostukraine sei in einer "aktiven Phase", so ein Sprecher der ukrainischen Armee. Unterdessen waren zwei Panzer der Separatisten in Richtung Donezker Bahnhof zu sehen. Die Straße wurde gesperrt, Zivilisten flüchteten zu Fuß und in Minibussen aus der Kampfzone; der Bürgermeister der Stadt warnte die Bevölkerung.
Rund um den Absturzort soll aber Waffenruhe herrschen: Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat der Armee befohlen, die Kampfhandlungen um den Absturzort des malaysischen Passagierflugzeugs unverzüglich einzustellen. "Ich habe angeordnet, dass die ukrainischen Militärs in einem Radius von 40 Kilometern vom Ort der Tragödie keine Operationen durchführen und das Feuer nicht eröffnen dürfen", sagte er am Montag in Kiew.
UN-Resolution
Der UN-Sicherheitsrat könnte noch am Montag über eine Resolution zum Absturz abstimmen. Die australische UN-Mission setzte ihren Resolutionsentwurf "in blau". Damit ist das Papier abstimmungsreif und könnte nach der üblichen Frist von 24 Stunden zur Entscheidung kommen. Weil die Russen die Resolution mit ihrem Veto verhindern können, ist der Ausgang allerdings völlig offen. Der australische Entwurf fordert von allen Beteiligten, insbesondere den prorussischen bewaffneten Separatisten, in deren Machtbereich die Absturzstelle liegt, eine uneingeschränkte Zusammenarbeit mit den internationalen Behörden. Gleichzeitig soll das Papier jede Manipulation an der Absturzstelle untersagen. Es fordert zudem, dass die Flugschreiber und andere Beweisstücke sofort auszuhändigen sind.
In der Nacht hat Russland außerdem einen eigenen Vorschlag vorgelegt, der sich an dem Entwurf Australiens orientiert. Unterschiede gibt es bei der Rolle der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO). Dem australischen Papier nach soll die ICAO zwar helfen und alle Dokumente auswerten, geleitet werden sollen die Ermittlungen aber von den nationalen Behörden - wie bei Abstürzen üblich. Die Russen wollen dagegen nicht, dass die ukrainischen Behörden die Verantwortung haben, sondern die ICAO. Diplomaten zufolge gibt es im Rat kaum Unterstützung für die Russen.
Nach dem Flugzeugabschuss werden im Westen die Rufe nach schärferen Sanktionen laut. Im UN-Sicherheitsrat stand am Montag die Abstimmung über eine Resolution zum Boeing-Absturz bevor. Am Dienstag beraten die EU-Außenminister in Brüssel.
In Diplomatenkreisen wurden mehrere mögliche Signale an Russland besprochen: Denkbar sei, hieß es, dass ersten Unternehmen und Oligarchen Geschäfte in der EU verboten werden – bis Ende Juli soll es ohnehin eine solche Liste geben. Erwägt wurde auch, Russland ein Ultimatum zu stellen, dass es eine internationale Ermittlungsmission in der Ostukraine unterstützen und die Entwaffnung der Rebellen vorantreiben müsse. Sanktionen gegen ganze Wirtschaftszweige könnten maximal vorbereitet werden, damit sie jederzeit von den Staats- und Regierungschefs beschlossen werden können.
Große Verunsicherung
Wie immer die Entscheidung ausfällt: Schon jetzt habe die Sanktionen-Debatte Spuren hinterlassen, sagt der Wirtschaftsdelegierte in Moskau, Dietmar Fellner: "Die russischen Unternehmen sind verunsichert und legen Investitionen auf Eis."
Im Vorjahr hatte Österreich Waren im Wert von 3,48 Milliarden Euro nach Russland verkauft – vor allem Maschinen und Anlagen, gefolgt von Pharmazeutika und Stahl. Im ersten Quartal 2014 sind Österreichs Exporte jedoch um fünf Prozent zurückgegangen – und jene aus ganz Europa sogar um elf Prozent. Die heimischen Firmen hätten noch von den vollen Auftragsbüchern profitiert, so Fellner. Jetzt würden sich aber viele auf Umsatzeinbußen in Russland von 10 bis 20 Prozent einstellen.
Die USA sind mit Sanktionen vorgeprescht. So erhalten die Finanzinstitute Vnesheconombank (VEB) und Gazprombank sowie die Energiekonzerne Rosneft und Novatek in den USA keine Kredite mehr. Mit acht russischen Rüstungskonzernen dürfen US-Firmen gar keine Geschäfte mehr machen.
Bumerang
EU-Sanktionen gegen Russland könnten auch heimische Firmen hart treffen. Besonders Zulieferer der Gas- und Ölindustrie bangen um ein Riesengeschäft; hunderte Millionen Euro stünden auf dem Spiel. Für CAToil, einen Dienstleister für Gas- und Ölförderung mit Sitz in Wien, sind Russland und Kasachstan die Haupt-Einsatzgebiete. Bisher seien die Arbeiten nicht betroffen, das Auftragsbuch habe für 2014 Rekordhöhe erreicht, heißt es auf Anfrage. Ölfeldausstatter Schoeller-Bleckmann (Ternitz) betont, dass nur ein geringer Teil des Geschäftes auf Russland entfalle – "im einstelligen Prozentbereich". Die OMV kooperiert mit der russischen Gazprom eng im Einkauf, am Gasknoten Baumgarten oder bei der geplanten South-Stream-Pipeline. Für Immofinanz ist Russland der wichtigste Einzelmarkt; Feuerfestkonzern RHI, Maschinenbauer Andritz und Verpackungskonzern Mayr-Melnhof versprachen sich gute Wachstumschancen. Viel auf dem Spiel steht für Bank Austria und Raiffeisen International, die zuletzt etwa ein Viertel des Betriebsgewinns in Russland erwirtschafteten.
Außer Reichweite wird auch der Rekord von 513.600 russischen Touristen (2013) in Österreich sein.
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