Wer wird die mächtigste Präsidentin der Welt?

Der Ausflug in die südmexikanische Unruheprovinz Chiapas vor ein paar Wochen brachte verstörende Bilder. Eine Gruppe vermummter Männer steht vor dem Wagen von Präsidentschaftskandidatin Claudia Sheinbaum (61). Die Linkspolitikerin schaut betont gelassen aus dem Fenster; wohlwissend, dass die Mobiltelefone der Unbekannten auf sie gerichtet sind und diese Bilder sich schon bald ihren Weg durch die sozialen Netzwerke bahnen würden. "Sie soll sich daran erinnern, wenn sie an der Macht ist", sagt einer der vermummten Männer aus der Ortschaft Motozintla unweit der guatemaltekischen Grenze. "Wir sind nicht gegen die Regierung, aber wir wollen, dass sie sich an die armen Menschen erinnert."
Die Szene aus der Hochphase des mexikanischen Präsidentschaftswahlkampfes, der am Sonntag mit dem Urnengang zu Ende geht, ist gleich aus mehreren Gründen bemerkenswert. Einerseits scheinen die Sicherheitskräfte der mutmaßlich künftigen Präsidentin ihre Schutzbefohlene vor solchen unkalkulierbaren Zusammentreffen nicht ausreichend schützen zu können; andererseits dürfte auch Sheinbaum endgültig klar geworden sein, auf was sie sich da einlässt.
"Kandidatin des Drogenhandels"
Laut Umfragen führt die linksgerichtete Jüdin Sheinbaum klar vor der gleichaltrigen indigenen Herausforderin Xochitl Galvez (61). Die Physikerin Sheinbaum regierte bereits die riesige Metropolregion Mexiko-Stadt, vor allem aber genießt sie die Unterstützung von Amtsinhaber Andres Manuel Lopez Obrador. Galvez bezeichnet ihre Kontrahentin als Kandidatin des Drogenhandels.
Tatsächlich gelang es dem linkspopulistischen Präsidenten Lopez Obrador, auch bekannt als "AMLO", nicht, wie vor sechs Jahren im Wahlkampf versprochen, die Macht der Drogenmafia zu brechen. Seine Strategie des "Umarmens statt Schießens" hat dazu geführt, dass die Kartelle noch mächtiger geworden sind. Auch in der Migrationspolitik enttäuschte "AMLO" die vielen NGOs, die großes Vertrauen in sein Versprechen, das Thema "humanitärer" als seine Vorgänger anzugehen.
"Das Sicherheitsversprechen und das Sicherheitskonzept der Regierung von Präsident Andrés Manuel Lopez Obrador sind gescheitert", sagt Mexiko-Expertin Katharina Louis vom Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat angesichts der extrem hohen Opferzahl, die aufs Konto der Kartell-Kriege geht. Sozialpolitischen Fortschritten stünde "die systematische Schwächung die Zivilgesellschaft, unabhängiger Medien und Nichtregierungsorganisationen" gegenüber. Dadurch seien wichtige Initiativen zugunsten der Menschen verspielt worden.

Die Präsidentschaftskandidatin der Morena-Partei, Claudia Sheinbaum, bei einer Wahlkampfveranstaltung in Mexiko-Stadt, Mexiko am 29. Mai 2024.
Blutiger Wahlkampf
Das alles schlägt sich im bislang blutigsten Wahlkampf in der Geschichte des Landes nieder. Mehr als 500 Kandidatinnen und Kandidaten, Journalistinnen und Journalisten, Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten sind bereits Opfer der ausufernden Gewalt von Drogenkartellen und kriminellen Banden geworden. Insgesamt 70 Menschen, darunter 35 Kandidatinnen und Kandidaten, wurden im Zusammenhang mit der Wahl sogar ermordet, fasst Adveniat zusammen.
Trotzdem wird es für die Linkspolitikerin Sheinbaum wohl reichen, auch weil Galvez weniger bekannt und ohne große Regierungserfahrung ist. Und weil sich die Mexikaner an die Gewalt gewöhnt haben, die meist die Ärmsten oder die Migranten trifft. Für das Gros der Wähler sind Fakten wie der unter AMLO gestiegene Mindestlohn entscheidend.

Mexikos oppositionelle Präsidentschaftskandidatin Xochitl Galvez zwischen Anhängern bei einer Wahlkampfveranstaltung in Zinacantan, Chiapas am 26. Mai 2024.
Gegen Trumps Mauer
Die Gewinnerin steigt in den Reigen der mächtigsten Frauen der Welt auf und dürfte bei den künftigen G20-Ländern zu einer wichtigen Stimme des ärmeren Globalen Südens aufsteigen, zu dem Mexiko zwar nicht geographisch, aber politisch zählt. Sollte Donald Trump in den USA die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr gewinnen, dürfte es zwischen den beiden Regierungen knirschen.
Vorab ließ Sheinbaum schon einmal wissen was sie von Trumps Abschottungsplänen hält: Statt Mauern zu bauen, sollte die USA in jenen Ländern investieren, in denen es besonders große Migrationsbewegungen gäbe. Die republikanische Retourkutsche kam prompt: Sheinbaum solle ihre Unterstützung für die Linksdiktaturen Kuba, Venezuela und Nicaragua einstellen, denn die seien die Ausgangspunkte für die größten Migrationsbewegungen in der Region.
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