Totentanz und Wiener Walzer: Was Mexiko und Österreich verbindet
Man könnte sagen, Frida Kahlo ist in der Nähe von Wien aufgewachsen. Freilich nicht im wortwörtlichen Sinn. Doch das Geburtshaus der weltberühmten Malerin in Coyoacán, heute Teil der mächtigen Metropole Mexiko-City, liegt gleich hinter der Straße namens „Viena“, also „Wien“. Da das Haus heute ein Museum ist, passieren viele Besucher auch die „Calle Viena“.
In Wien wiederum gibt es den Mexikoplatz. Nicht eben ein Touristenmagnet, dennoch erzählt sein Name eine wichtige Geschichte: Mexiko war das einzige Land der Welt, das 1938 gegen die Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich protestierte. Zudem gewährte Mexiko vielen Österreichern Asyl, die vor den Nazis flüchteten.
Was verbindet Mexiko und Österreich sonst noch?
Wir kennen die kunterbunten Bilder Kahlos (eine Ausstellung im Vorjahr in der Marx-Halle wurde gestürmt) und auch die skurrilen Skelette des Día de Muertos, der auch bei uns immer populärer wird. Weniger wissen wir über die mexikanische Community in Österreich. Dabei leben hierzulande rund 3.100 Menschen, die in Mexiko geboren sind, sowie mehr als 1.900 mexikanische Staatsbürger.
Angelica Martinez de Kurzweil etwa lebt seit 1996 in Wien. Aufgewachsen ist sie in Mexiko-City. „In einem ruhigen Viertel mit Spielplatz vor unserem Haus“, erzählt sie. Als sie 13 war, zog ihre Familie in die kleinere und ruhigere Stadt Cuernavaca, wo sie ihren Schulabschluss machte und als Spanischlehrerin für Touristen arbeitete.
Ob ihr Österreich damals ein Begriff war? Ja, erwidert sie, vor allem Wien und der Walzer. „Dort, wo ich aufgewachsen bin, ist es üblich, dass Mädchen zum 15. Geburtstag ein großes Fest feiern, die ,Quinceañera’“, erklärt sie.
Der Wunsch vieler Teenager-Mädchen: eine Reise nach Wien
Familien, die es sich leisten können, finanzieren ihren Töchtern zu diesem Anlass eine Reise: „Viele wollten nach Wien, um hier Walzertanzen zu lernen.“ Wiens klassische Kultur war und ist auch in Mexiko bekannt – schließlich war Maximilian von Habsburg ja auch drei Jahre Kaiser von Mexiko.
Wie es Martinez nach Wien verschlagen hat? Ihren Mann, einen Österreicher, lernte sie 1992 kennen. „Er ist zufällig in meiner Sprachschule in Cuernavaca gelandet, obwohl er eigentlich in eine andere Stadt wollte“, erzählt sie und lacht.
Der Umzug von Mexiko nach Österreich
Das Paar lebte anfangs in Mexiko. „Aber dann ist die wirtschaftliche Situation sehr unsicher geworden.“ Nicht zuletzt aufgrund der Geburt des Sohnes beschlossen sie, ins stabilere Österreich zu ziehen.
"Deutsch ist kompliziert"
Anfangs eine Umstellung: „Deutsch ist kompliziert“, sagt Martinez und lacht. „Und in den Lokalen haben alle so leise gesprochen.“ Da sei sie als lebhafte Mexikanerin durchaus aufgefallen. Doch Wien, sagt sie, sei die perfekte Stadt zum Leben.
Auch hier gibt sie Spanischkurse, die aufgrund ihres Humors und Temperaments stets gut besucht sind.
"Ich bin ein Souvenir aus dem Urlaub"
Auch Sonia Siblik, die aus Yucatán stammt, hat die Liebe hierher verschlagen: „Ich bin ein Souvenir. Mein Mann hat mich aus dem Urlaub mitgebracht“, scherzt sie. Für sie war rasch klar, dass sie in Wien leben wollte. „Damals, 1997, waren viele Männer in Mexiko sehr ,traditionell’: Sie waren besitzergreifend und eifersüchtig, sie wollten eine Hausfrau“, beschreibt sie.
Kein Leben, das für sie infrage kam: In Wien führt Siblik nun eine Galerie, außerdem fertigt sie selbst Skulpturen. Sie zeigt eines ihrer Werke: eine Hand, die ein mit Stacheldraht umwickeltes Herz hält. Gewalt gegen Frauen und Femizide seien auch hier Probleme, wo es viel zu verbessern gebe, sagt sie.
Die Wahlen in Mexiko beschäftigen auch die Mexikaner in Österreich
Zum KURIER-Interview kommt sie mit Juan Jorge Bautista, einem Anwalt aus Oaxaca, den es ebenfalls aufgrund der Liebe nach Wien gezogen hat. Seit sieben Jahren lebt er hier. Die beiden sind befreundet, dieser Tage sprechen sie sehr viel über die anstehenden Wahlen (mehr zu den Wahlen siehe unten).
In Zeiten des Internets seien das Verfolgen des Wahlkampfs und die Kommunikation mit der Familie in Mexiko in Echtzeit möglich: „Viel besser als früher, als Briefe oft nicht einmal angekommen sind“, sagt Bautista lachend.
Gewalt ist Thema Nummer eins im Wahlkampf
Hier wie dort dominantes Thema: die Gewalt. Ihre Familie in Yucatán lebe vergleichsweise sicher, erzählt Siblik. Aber sie habe Verwandte in Veracruz, einer vom Drogenkrieg gebeutelten Stadt. „Mein Cousin war total überrascht, dass ich meine Tochter hier alleine auf den Schulweg schicken kann“, erzählt sie.
Die Sicherheit – ein sicherer Job, ein sicheres Einkommen, vor allem die Sicherheit auf unseren Straßen - sei ein ganz wichtiger Faktor, den sie hier in Österreich zu schätzen wissen, sagen alle Interviewpartner. Sie fühlen sich hier Zuhause, auch wenn sie Mexiko oft besuchen.
Migration von Lateinamerika nach Österreich wird erforscht
Im Sommer werden Lateinamerika und Österreich übrigens noch ein Stück näher zusammenrücken – zumindest im übertragenen Sinn, verrät Andrea Eberl, Leiterin des Österreichischen Lateinamerika-Instituts: „Denn erstmals wird die Geschichte der Migration von Lateinamerika nach Wien in einem groß angelegten Projekt erforscht.“
21. Mai: Diskussion zu „Balazos, no abrazos“ („Schüsse, keine Umarmungen“): Angelehnt an das Wahlkampfmotto der regierenden Partei Morena (das eigentlich "Umarmungen, keine Schüsse" lautet), geht es um die im Land grassierende Gewalt. Heikel ist die Lage vor allem in Chiapas. Diskussion mit Berthold Molden (Historiker), Diana Ventura (Aktivistin) und Pedro Faro (Menschenrechtsaktivist). 18 Uhr, Lateinamerika-Institut (Schlickg. 1). Nur auf Spanisch, Eintritt frei.
28. Mai: Online-Vortrag „Verschwinden und Verschwindenlassen: Menschenrechte und Demokratie in Mexiko auf dem Scheideweg“, mit Menschenrechtsexpertin Sonja Perkič-Krempl. 18.30 Uhr, LAI, Eintritt frei.
7. Juni: „Spanisch-Konversation mit Frida Kahlo“: Kursleiter Nicolás, verkleidet als Frida, führt zwei Stunden durch Wien – dabei wird spielerisch Spanisch gesprochen. Treffpunkt: LAI, 17 Uhr, 22 Euro.
14. Juni: Stadtspaziergang „Gekreuzte Geschichten: von Kaiser Max bis Che Guevara“. Mit dem Historiker Berthold Molden auf den Spuren Lateinamerikas in Wien unterwegs. Treffpunkt: Mexikoplatz, 18 Uhr, 12 Euro.
Hintergrund: Über den aktuellen Wahlkampf in Mexiko
Die Wahlen, die am 2. Juni in Mexiko stattfinden, sind in mehrer Hinsicht speziell – der KURIER sprach mit Berthold Molden, Historiker und Lateinamerika-Experte, über die aktuelle Situation.
Die Wahl am 2. Juni ist die größte, die es je in Mexiko gab: Rund 99 Millionen Menschen sind zur Stimmabgabe aufgerufen, Ämter auf allen politischen Ebenen werden neu vergeben. Die Probleme, die das Land und den Wahlkampf prägen, seien vor allem Korruption im Staatsapparat, die Organisierte Kriminalität sowie die großen sozialen Ungleichheiten, erklärt Molden.
Erstmals bewerben sich zwei Frauen um die Präsidentschaft: Für die Partei des linkspopulistischen Amtsinhabers Andrés Manuel López Obrador (genannt AMLO) kandidiert Claudia Sheinbaum. Obrador selbst war 2018 mit der von ihm begründeten Morena-Bewegung an die Macht gekommen. Sheinbaums Gegenkandidatin, die von der Opposition unterstützt wird, ist Xóchitl Gálvez.
Doch der Wahlkampf ist überschattet von Gewalt: „Es ist der blutigste in der Geschichte des Landes“, erklärt Molden. An die 500 Fälle gezielter Gewalt soll es laut Medienberichten bereits gegeben haben, darunter Bedrohungen, Entführungen, Morde. Eine 37-jährige Kandidatin von AMLOs Partei etwa wurde kürzlich von vorbeifahrenden Motorradfahrern erschossen.
Welcher Kandidatin bessere Chancen eingeräumt werden? Auch wenn Umfragen immer mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten seien: „Es spricht alles dafür, dass es Sheinbaum wird“, sagt Molden.
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