Merkel ohne Regierung – EU nur im Bremsgang

Macron (r.) drängt – aber Merkel hängt bei ihrer Regierungsbildung.
Große Reformpläne für das europaweite Asylsystem und die Währungsunion bleiben ohne die Schubkraft Deutschlands liegen.

Dieser Mann hat einen Plan: Die auf halbem Weg stecken gebliebene Europäische Währungsunion muss vollendet werden, laut das Mantra Emmanuel Macrons. Noch einmal legte der umtriebige französische Präsident gestern beim gemeinsamen Gipfel-Frühstück der 27 EU-Staats- und Regierungschefs mit seinen Forderungen nach. Doch maßgebliche Schritte in Richtung Reform der Währungsunion wurden von den Staatenlenken gestern nicht gesetzt.

Bis März sollen erste kurzfristige Vorhaben abgesteckt sein, hieß es gestern in Brüssel. Erst Mitte kommenden Jahres könnten allererste tiefgreifendere Entscheidungen in Richtung Vollendung der Bankenunion fallen – wenn überhaupt.

Ohne Schwung

Der Grund für die Verzögerung: Deutschland hat noch immer keine handlungsfähige Regierung. Nach den Bundestagswahlen im September hätte die deutsch-französische Zusammenarbeit wieder neuen Schwung nehmen sollen. Doch es kam anders. Noch immer sucht die – derzeit nur geschäftsführende – Kanzlerin Angela Merkel nach einem Koalitionspartner. "Natürlich ist auch eine geschäftsführende deutsche Regierung in der Lage, auf europäischer Ebene Entscheidungen zu treffen", beteuert David McAllister. Der Leiter des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im EU-Parlament, zudem Mitglied im Präsidium der CDU, nennt im Gespräch mit dem KURIER etwa Deutschlands Mitwirkung bei der neuen militärischen Zusammenarbeit Pesco.

Doch McAllister gibt zu bedenken: "Ich gehe zwar davon aus, dass Deutschland noch vor Ostern eine Regierung haben wird. Aber wenn es doch bis weit ins Jahr 2018 anders sein sollte, kriegen wir mittelfristig ein Problem."

Denn das Zeitfenster für Reformen in der EU ist klein. Im kommenden Jahr müssen die nötigen Nachbesserungen vor allem in der Migrations- und Flüchtlingsfrage sowie in der Währungsunion auf den Weg gebracht werden – rechtzeitig, bevor 2019 das Europäische Parlament neu gewählt und die Kommission wieder mit neuer Führung besetzt wird. Bis zum Sommer, so lautet der ursprüngliche Plan, sollte eigentlich das seit Jahren umstrittene Asylsystem in Europa reformiert sein. Dieses Ziel scheint nun zu wackeln.

Der Motor in der EU

"Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist der Motor in der EU", weiß McAllister. "Sie ist nicht alles, aber ohne deutsche Zusammenarbeit läuft wenig in der EU und noch weniger in der Eurozone."

"Im kommenden Jahr muss Deutschland Antworten geben auf die Reformvorschläge von Macron", sagt auch der EU-Experte Josef Janning, Leiter des Berliner Büro des European Council on Foreign Relations. Dabei ist von deutscher Seite aber vor allem bei Reformen der Währungsunion mit erheblichem Widerstand zu rechnen: Denn während Frankreichs Präsident unter anderem einen EU-Finanzminister und ein eigenes Budget für die Eurozone vorschlägt, stemmt sich Deutschland vehement dagegen.

Wo es ums Geld geht

Die Sensibilität der Union beginnt da, wo es ums Geld gehe, führt Janning weiter aus. Deutschland reagiert grundsätzlich allergisch auf die Idee, deutsches Steuergeld könnte etwa bei der Rettung italienischer Banken versenkt werden. Mehr finanzielle Risiken zu teilen oder Schulden zu vergemeinschaften gehört zu den absoluten No-Gos in Berlin, während man in Frankreich genau dies einfordert. Janning: "Auch eine in der Bundesregierung beteiligte SPD wird ihre Vorlieben, auch deutsches Geld in Europa zur Belebung von Konjunktur und Beschäftigung auszugeben, sorgfältig daran orientieren, was sie innenpolitisch vermitteln kann. Auch der SPD ist das Hemd näher als der Rock."

Nur Michel Raimon, österreichischer Abgeordneter für die Grünen im EU-Parlament, hat "nicht den Eindruck, dass Deutschlands Fehlen die europäischen Institutionen behindert. Bei den Ratssitzungen geht sowieso jeder davon aus, dass Merkel Kanzlerin und damit alles beim Alten bleibt".

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