Merkel fordert im Europaparlament "echte europäische Armee"
Ein Hauch von Abschiedsstimmung wehte am Dienstag Nachmittag durch den großen Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Straßburg: Zum ersten Mal, seit Angela Merkel ihren schrittweisen Rückzug aus der Politik verkündet hat, skizzierte sie vor großer europäischer Bühne ihre Pläne. Würde sich die deutsche Kanzlerin in ihrem politischen Herbst zur dynamischen Reformerin in der Europäischen Union entwickeln? Oder ist Europas bisher mächtigste Frau bereits so geschwächt, dass sie von nun an in der EU nichts mehr bewegen kann? Groß waren Spannung und Neugier unter ihren Zuhörern.
Aber Angela Merkel bleibt auch in ihrem Abgang Angela Merkel: Souverän und unaufgeregt skizzierte die deutsche Regierungschefin das Europa, das ihr vorschwebt: Eine Union, in der Toleranz, Multilateralismus und Solidarität „Teil der europäischen DNA“ sind. Ihre Kernbotschaft: „Nationalismus und Egoismus dürfen nie wieder eine Chance in Europa haben“, forderte sie und kritisierte damit Ungarn, Polen oder Italien, ohne jedoch deren Namen zu nennen. „Wer die Rechtsstaatlichkeit in seinem eigenen Land in Frage stellt“, mahnte Merkel, „der gefährdet die Rechtsstaatlichkeit von uns allen in Europa.“ Maßvolle Kritik an den europäischen Sorgenstaaten paarte die Kanzlerin in ihrer soliden, wenn auch wenig mitreißenden Rede mit wiederholten Appellen an die Geschlossenheit Europas.
Besonders beim Migrationsthema müssten gemeinsame Wege gefunden werden. Im Rückblick sei es sicher leichtfertig gewesen, einen Schengenraum zu schaffen und erst jetzt ein Einreiseregister zu entwickeln, so Merkel. So sei es wichtig, Frontex zu entwickeln, "auch hier müssen wir ein Stück weit auf nationale Kompetenzen verzichten", forderte sie.
„Eine echte europäische Armee"
Einzig überraschende Sequenz ihrer europapolitischen Bogens: „Wir sollten an der Vision arbeiten, eines Tages eine echte europäische Armee zu schaffen.“ Was kurz aufhorchen ließ, klingt freilich aus dem Munde eines französischen Präsidenten ganz anders. Emmanuel Macron fordert vehement: Eine europäische Armee muss her – und das möglichst bald."Eine gemeinsame Armee würde der Welt zeigen, dass es in Europa nie wieder Krieg gibt", so Merkel. Diese Armee sei auch nicht gegen die NATO gerichtet. Notwendig sei es für die EU solle auch eine gemeinsame Rüstungspolitik entwickeln.
Bahnbrechende Visionen aber hatte sich von der deutschen Kanzlerin in Straßburg ohnehin niemand erwartet. „Merkel war noch nie die Architektin, die Gestalterin, sondern eher die Verwalterin Europas. Eine, die die Bausünden der Vergangenheit ausgleicht“, meint Stefan Lehne. Der Politik-Experte vom Think Tank Carnegie Europe ist überzeugt davon, dass sich Merkel „als Krisenmanagerin auf europäischer Ebene auch weiterhin bewähren wird. Sollte etwa der Brexit ganz schlecht laufen oder die Krise mit Italien schlimmer werden, dann könnte sie kraft ihrer Autorität, ihrer Erfahrung und ihrer Persönlichkeit noch gefordert werden.“
Das Wahljahr 2019
Ein großer europapolitischer Wurf aber sei von Angela Merkel nicht mehr zu erwarten, sagte der frühere Diplomat Lehne. Und das nicht nur, weil sie „anders als etwa Kanzler Kohl nie eine eingefleischte Integrationistin war.“ Vielmehr steht der EU ein Wahljahr bevor – große Reformschritte sind da ohnehin keine zu erwarten.
Sehr wohl aber, sagt Lehne „hat Europa ihr viel zu verdanken. Ohne Merkel , ohne ihre kühle, rationale Art, frei von jeglicher persönlicher Profilierungssucht, wäre es in Europa vielleicht viel schlechter gelaufen.“
Angesichts der wieder aufflammenden Nationalismen in Europa formuliert ein europäischer Diplomat die Stärken Merkels so: „Wenn diese Krisen das Herz Europas zum Stolpern bringen, ist Merkel noch immer die Einzige, die her gezielt Herzmassage setzen kann.“
Europa müsse langfristig außenpolitisch handlungsfähig werden, forderte Merkel. So habe sie vorgeschlagen, einen europäischen Sicherheitsrat einzurichten und eine europäische Eingreiftruppe zu schaffen. "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere verlassen konnten, sind vorbei."
Beim Migrationsthema müssten gemeinsame Wege gefunden werden. Im Rückblick sei es sicher leichtfertig gewesen, einen Schengenraum zu schaffen und erst jetzt ein Einreiseregister zu entwickeln, so Merkel. So sei es wichtig, Frontex zu entwickeln, "auch hier müssen wir ein Stück weit auf nationale Kompetenzen verzichten", forderte sie. Merkel sprach sich auch für ein europäisches Asylsystem aus, da sich nur so die Sekundärmigration verhindern lasse.
Die EU-Abgeordneten applaudierten in großer Mehrheit erfreut und spendeten Merkel viel Beifall. Buhrufe quittierte Merkel gelassen: "Ich freu mich daran, ich lasse mich da nicht irritieren, ich komme auch aus dem Parlament".
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