Martin Schulz: "Niemand will einen Grexit"
Der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, und Bundeskanzler Werner Faymann haben vor Beginn des EU-Gipfels am Donnerstag ein Vier-Augen-Gespräch. Schulz vermittelt im KURIER-Gespräch zwischen den unterschiedlichen Positionen von Faymann und Bundeskanzlerin Angela Merkel in der EU-Krisenpolitik.
KURIER: Herr Präsident, Bundeskanzler Faymann hat in einem KURIER-Interview der deutschen Bundeskanzlerin Merkel eine „Politik des Abwartens“ in der Krisenbekämpfung vorgeworfen. Sind Sie als SPD-Politiker auch dieser Meinung?
Martin Schulz: Innerhalb der EU gab es bisher unterschiedliche Auffassungen über den richtigen Weg aus der Krise. Die Debatte läuft zwischen jenen, die einseitig Haushalte kürzen wollen und jenen, die sagen, man werde nie einen Haushalt ohne Wachstum und Beschäftigung sanieren und der daraus resultierenden erhöhten Staatseinnahmen. Dieser Konflikt wird jetzt aufgelöst, indem sich endlich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass wir beides brauchen, nämlich Haushaltssanierung und Strukturreformen einerseits und gezielte Investitionen in Wachstum und Beschäftigung andererseits. Das Europäische Parlament unterstützt deshalb eine flexiblere Auslegung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Auch das Investitionspaket von Juncker spielt hier eine wichtige Rolle.
Finanzminister Schäuble beharrt auf der Troika für Griechenland, die neue Regierung ist dagegen. Provoziert Deutschland einen Grexit?
Ganz sicher nicht. Niemand will ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone. Die griechische Regierung muss die Verpflichtungen, die die Vorgänger-Regierungen eingegangen sind, anerkennen und sich an Vereinbarungen halten. Umgekehrt müssen wir Griechenland helfen und sehen, dass die kleinen Leute soziale Erleichterungen brauchen.
Rechnen Sie mit einem Kompromiss beim Gipfel?
Wenn die griechische Regierung die Maßnahmen ergreift, zu denen wir ihnen geraten haben, nämlich die großen Kapitalbesitzer zur Kasse zu bitten und Steuerflucht entschieden zu bekämpfen, hat die Regierung alle auf ihrer Seite. Die sozial Schwachen haben den Preis für die harten Sparmaßnahmen gezahlt, die sie einseitig und unverhältnismäßig hart getroffen haben. Da gibt es nichts mehr zu kürzen. Dass das Reformprogramm einseitig von Athen außer Kraft gesetzt wird und die EU weiter zahlt, wird nicht funktionieren. Voraussetzung für einen Kompromiss ist, das es keine Verweigerungshaltung gibt oder Tatsachen geschaffen werden, weder von der einen noch von der anderen Seite.
Die Troika-Bedingungen sind in Griechenland nicht gehalten worden, geplant war ein effizientes Steuersystem. In diesem Punkt ist die Troika gescheitert. Warum hat Deutschland zugeschaut?
In der Tat ist es den Vorgänger-Regierungen nicht gelungen, eine effiziente Steuerverwaltung aufzubauen. Erschwerend kommt hinzu, dass die EU-Mitgliedsländer Steuerflucht und -vermeidung nicht konsequent bekämpft haben. Das Europäische Parlament hat stets die Finanztransaktionssteuer, die Einführung des Prinzips, dass dort Steuern gezahlt werden, wo der Gewinn erwirtschaftet wird, Transparenz bei Steuervorteilen und Mindeststeuersätze bei Körperschaftssteuern gefordert. Steuern sind nationale Angelegenheit, das Parlament kann das tun, was es immer tut, auf den Tisch hauen, Missstände aufzeigen und Lösungen präsentieren. Wir brauchen ein Ende der ruinösen Steuerkonkurrenz, das Schließen von Steueroasen und Steuerschlupflöchern. Die EU-Staaten haben bei der Bekämpfung des Steuerbetrugs nicht ihre Aufgaben erledigt, auch Griechenland nicht. Auch deswegen hat Syriza gesiegt.
Die Arbeitslosigkeit in der EU nimmt weiter zu. Warum kann die EU-Kommission nicht sagen, wie viele Arbeitsplätze durch EU-finanzierte Projekte geschaffen werden? Das ist doch ein großes Verkaufsproblem?
Ich gebe ihnen recht. Ich gebe mir alle Mühe, dieses Bild zu korrigieren, hoffentlich mit Erfolg. Wir haben zudem folgendes Problem: Die nationalen Regierungen verkaufen gemeinsame Erfolge als ihren nationalen Erfolg, schieben Misserfolge aber immer Brüssel in die Schuhe. Dieses über Jahre praktizierte Spiel hat Spuren hinterlassen, die Menschen glauben es. Positives dringt kaum durch.
Sehen Sie ein Ende des Ukraine-Russland-Konfliktes, viele sprechen ja bereits von Krieg?
Wir müssen alles tun, um eine weitere militärische Eskalation zu verhindern. Erst einmal geht es jetzt darum, dass nicht mehr geschossen wird. Ich hoffe, dass wir einen Waffenstillstand erreichen. Wer miteinander redet, schießt nicht aufeinander. In einem zweiten Schritt müssen wir darüber nachdenken, ob föderale Strukturen innerhalb der Ukraine aufgebaut werden könnten. Voraussetzung ist aber ein Waffenstillstand.
Unter welche Bedingungen beendet die EU die Sanktionen gegenüber Russland?
Zunächst müssen wir einen Waffenstillstand erreichen, dann sehen wir weiter.
Nicht die EU-Außenbeauftragte, sondern Merkel und Hollande verhandeln mit Putin und Poroschenko. Ist das eine Absage an eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik?
Man muss es umgekehrt sehen. Zwei führende Regierungschefs handeln für die EU in enger Abstimmung mit der Außenbeauftragten. Es ist nicht alltäglich, dass Merkel und Hollande nach Moskau fliegen. Das ist ein starkes Signal, das von Putin verstanden worden ist.
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