Italiens neuer Premier, der mit 15 Jahren Vollwaise wurde, ging auf eine Eliteschule - und gilt als sehr "normal". Am Samstag werden er uns sein Team vereidigt.
12.02.21, 20:23
Von Andrea Affaticati, Mailand
Silvio Berlusconi hat die Italiener mit seinen Auftritten immer wieder schockiert oder bei Laune gehalten, je nach Standpunkt. Der rechtsnationale Lega-Chef Matteo Salvini hat über die sozialen Medien das Land sogar über seine Frühstücksvorlieben am Laufenden gehalten. Und Ex-Premier Giuseppe Conte legte viel Wert auf seine Einstecktücher und Facebook-Eintragungen an die Nation. Sie alle gaben auch gerne etwas aus ihren Beziehungen preis. Die Medien dankten entzückt.
Mit all dem ist es jetzt vorbei. Mario Draghis Regierung wird heute vereidigt. Dem Kabinett aus 23 Mitgliedern gehören 15 der Fünf-Sterne-Bewegung an: Luigi Di Maio, der Außenminister, bleibt. Auch der bisherige Gesundheitsminister Roberto Speranza von der Linken behält sein Amt. Auch die Forza Italia um Ex-Premier Berlusconi erhielt einige Ministerposten. Die rechte Lega ist mit drei Ministern vertreten, unter anderem übernimmt Massimo Garavaglia das Tourismusministerium.
Eingeführt wird ein „Ministerium für den ökologischen Übergang“, das der Macher Roberto Cingolani, Topmanager des Rüstungskonzerns Leonardo, bekleiden wird. Mit Marta Cartabia wird nach Draghis Plan eine Expertin den Posten der Justizministerin besetzen. Cartabia war bis September 2020 Präsidentin des Verfassungsgerichts. Mit dem bisherigen Generaldirektor der italienischen Notenbank übernimmt ein weiterer Experte Regierungsverantwortung: Daniele Franco wird Wirtschaftsminister.
Seit 3. Februar, als ihn Staatspräsident Sergio Mattarella mit der Regierungsbildung beauftragte, ist Draghi vom öffentlichen Bildschirm verschwunden. Nicht nur das. Um jedes Nachrichtenleck zu vermeiden, hat er seine Spuren verwischt, wie die Medien erst jetzt entdeckten. Anstatt sich des Büros, das ihm in der Abgeordnetenkammer zur Verfügung stand, zu bedienen, zog er sich ins Gästehaus der Carabinieri, der italienischen Gendarmerie, zurück, um dort ungestört mögliche Ministerkandidaten zu treffen.
Eine ganze Woche ohne Stellungnahme, ohne Fotos – für die Medien eine echte Herausforderung. Doch das ist sein Stil, an den man sich gewöhnen wird müssen.
„Fragen Sie meine Frau“
Wobei reserviert und nüchtern und ohne Eskapaden nicht unbedingt knochentrocken bedeuten muss. Nach seinem Ausscheiden als Chef der Europäischen Zentralbank 2019 gefragt, ob er 2022 vielleicht als Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten antreten werde, antwortete Draghi mit seinem typisch schüchternen Lächeln: „Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, fragen Sie meine Frau, die weiß mehr als ich.“
Apropos Frau und Familie: Heuer feiern er und seine Gattin Serena Cappello 48. Hochzeitstag. Sie stammt aus Padua und zählt zu ihren Vorfahren Bianca Cappello, die zweite Ehefrau von Francesco I de Medici Großherzog der Toskana. Draghi ist 1947 in Rom geboren. Sein Vater war ein hochrangiger Bankmanager, die Mutter Apothekerin. Die Eltern starben, als er 15 war. Draghi besuchte die Jesuitenschule Massimiliano Massimo in Rom, in der ein Teil der italienischen Elite, darunter auch der ehemalige Ferrari- und Fiat-Präsident Luca Cordero di Montezemolo zur Schule ging.
Schule und Supermarkt
Das Ehepaar hat einen Sohn, eine Tochter und zwei Enkelkinder, die Draghi gerne von der Schule abholt. Ebenso oft sieht man die Draghis beim Einkaufen im Supermercato.
Eine Weinbäuerin aus Sizilien, erzählte jüngst, sie habe 2016 auf einem Flug nach Frankfurt neben Draghi in der Economy Klasse gesessen. Man sei ins Gespräch gekommen und sie habe ihm dann eine Flasche Wein nach Frankfurt geschickt. Kurz danach erhielt sie einen eigenhändig von EZB-Chef geschriebenen Dankesbrief.
Eigentlich ein ganz normaler Mensch, dieser Draghi, der, man fasst es kaum, keinen einzigen Social Media Account hat. Ob das überhaupt noch geht? Sicher ist, dass nach Jahren fast schon krankhaftem Postens auch in der Politik eine Entschlackungskur gut tun würde.
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