Mächtigster Job der EU: Neuer Präsident der Kommission gesucht

Juncker wünscht sich eine einige EU auf der Weltbühne
Wer kann EU? Mehrere europäische Spitzenkandidaten stehen zur Wahl. Wer sie sind und warum erstmals eine Frau Chancen hat.

Frans Timmermans? – Den meisten Österreichern ist der umtriebige EU-Vize-Kommissionschef so gut wie unbekannt. Der sieben-sprachige Niederländer geht als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten in die EU-Wahl. Da steht es um den Bekanntheitsgrad Manfred Webers schon ein wenig besser. Den Bayern, der Präsident der nächsten EU-Kommission werden will, hat man schon des Öfteren an der Seite von Kanzler Sebastian Kurz gesehen. Aber dass Weber als Spitzenkandidat für die Europäische Volkspartei (EVP) durch die Lande zieht, das weiß auch nur ein Teil der heimischen Wähler.

„Nur eine sehr kleine Minderheit in Österreich hat je von den europäischen Spitzenkandidaten gehört“, schildert Stefan Lehne. Einen Grund dafür sieht der Europaexperte (Carnegie Europe) und frühere Spitzendiplomat auch bei den heimischen Parteien. „Der Wahlprozess selbst bleibt in der Hand der nationalen Parteien. Sie sehen die EU-Wahl als innenpolitisches Kräftemessen und haben wenig Neigung, den Spitzenkandidaten allzu sehr ins Spiel zu bringen.“

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Wer sind die europäischen Spitzenkandidaten?

Bis vor fünf Jahren haben stets die europäischen Staats- und Regierungschefs hinter verschlossenen Türen den Chef der EU-Kommission gekürt. Seit 2014 ist das anders. Ein Spitzenkandidaten-System katapultierte damals den Luxemburger Jean-Claude Juncker in den EU-Topjob. Auch dieses Mal kandidieren EU-Spitzenkandidaten der jeweiligen Parteienfamilien für den Posten des Kommissionspräsidenten. Allerdings machen nicht alle Fraktionen mit. Und nicht alle EU-Regierungen akzeptieren dieses System. Wie funktioniert es? Einer der EU-Spitzenkandidaten wir mit einer Mehrheit der Stimmen der Europäischen Abgeordneten zum Präsidenten der Kommission gewählt. Hier die Liste der chancenreichsten Spitzenkandidaten:

Mächtigster Job der EU: Neuer Präsident der Kommission gesucht

Manfred Weber (46)

Der Vizechef der CSU geht als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) ins Rennen um Europas Top-Job. Dabei ist der umgängliche Bayer ganz klar der Favorit. Als Kandidat der stärksten Fraktion im EU-Parlament hat er die besten Chancen, Jean-Claude Juncker an der Spitze der Kommission zu beerben. Weber ist seit 15 Jahren EU-Abgeordneter, seit fünf Jahren leitet er die EVP-Fraktion. Katholisch, konservativ, aber kein Hardliner hat Weber im EU-Parlament gelernt, politische Kompromisse zu schmieden. Das schätzen auch seine Kritiker. Ein möglicher Nachteil: Manfred Weber hat keine Regierungserfahrung – das aber hatten bisher noch alle Präsidenten der EU-Kommission.

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Margrethe Vestager (50)

Die Wettbewerbskommissarin aus Dänemark ist der Star der EU-Kommission. Sie hat sich mit den mächtigsten Konzernen der Welt angelegt, hat facebook, Google und Co. zu Milliardenstrafen verdonnert. Als Mitglied eines siebenköpfigen Spitzenteams der Europäischen Liberalen (ALDE) hat aber die dreifache Mutter und frühere dänische Wirtschaftsministerin die besten Chancen auf den Spitzenjob. Damit ist die Kommissarin mit den raspelkurzen grauen Haaren auch die erste Frau überhaupt, die EU-Kommissionchefin werden könnte. Die Fernsehserie „Borgen“ ließ sich von Vestagers Karriere inspirieren. Von einer Frau, die sonntags Kuchen für ihre Töchter backt und am Montag knallharte politische Entscheidungen trifft. Ihr Nachteil: Die Liberale hat kaum Unterstützung von ihrer Regierung in Kopenhagen.

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Ska Keller (37) und Bas Eickhout (43)

Die europäischen Grünen schicken ein Spitzen-Tandem in den EU-Wahlkampf. Die 37-jährige Deutsche Ska (für Alexandra) Keller und den Niederländer Bas Eickhout (43). Beide sind seit zehn Jahren Abgeordnete im EU-Parlament. Hoffnungen auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten oder Präsidentin dürfen sich beide Grün-Politiker keine machen. Dafür haben die Grünen im EU-Parlament viel zu wenige Stimmen. Schwerpunktthema der studierten Islamwissenschaftlerin Keller ist die EU-Migrationspolitik. Eickhout, Vizepräsident der Grünen im Parlament, tritt für eine „grünere Wirtschaft“ und eine Reform der Sozialagenda in Europa ein.

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Jan Zahradil (56)

Der konservative Tscheche zieht als Spitzenkandidat der Parteienfamilie der „Europäischen Konservativen und Reformisten“ (EKR)  in den Wahlkampf. Seit 15 Jahren ist der gebürtige Prager EU-Abgeordneter, er tritt für eine „dezentralisierte, flexible und zurückgenommene EU“ ein, die den nationalen Parlamenten mehr Macht zugestehen soll. Die Chancen des studierten Chemikers und ODS-Politikers, Chef der Kommission zu werden, stehen bei Null.

Dabei steht doch fest: Wer Ende Mai für einen ÖVP-Kandidaten stimmt, wählt automatisch Weber mit. Eine Stimme für einen heimischen SPÖ-Kandidaten ist auch eine Stimme für den europäischen SP-Spitzenkandidaten Timmermans.

So schicken fast alle europäischen Parteienfamilien einen oder mehrere Spitzenkandidaten ins Rennen. Nur die Rechtspopulisten der ENF (Europa der Nationen und Freiheit), der auch die FPÖ angehört, entschieden sich dagegen. Einen offiziellen Spitzenkandidaten wollte man nicht. Stattdessen soll, wie FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky sagt, Matteo Salvini „das Gesicht der Kampagne“ sein. Und Italiens rechtspopulistischer Innenminister und Lega-Chef frohlockt: Seiner Lega werden die größten Stimmengewinne aller europäischen Parteien prognostiziert.

Junckers Nachfolger

„Aber bei der Wahl des nächsten Kommissionschefs werden die Rechtsnationalisten dennoch keine große Rolle spielen“, ist Lehne überzeugt. Denn dies werden vermutlich die drei Fraktionen der EVP, der Sozialdemokraten und der Liberalen (ALDE) unter sich ausmachen. Zu dritt werden sie voraussichtlich über eine Mehrheit im EU-Parlament verfügen – ein Spitzenkandidat aus ihren Reihen kann dann zum Nachfolger von Jean-Claude Juncker gewählt werden. Oder zur Nachfolgerin: Zum allerersten Mal in der Geschichte der EU gibt es Chancen, dass eine Frau an die oberste Spitze der EU rückt – EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager.

Wird es einen großen Unterschied machen, wer ab Herbst im Chefbüro des 13. Stocks im Brüsseler Berlaymont-Gebäude sitzt? Der Präsident der EU-Kommission sei schließlich, wie Stefan Lehne klarstellt, „kein Regierungschef Europas, der seine eigene Agenda durchdrückt“. Aber der Kommissionspräsident könne den Gang der europäischen Politik schon wesentlich mitbestimmen – „das hängt aber von der jeweiligen Person ab: Jacques Delors war so eine wichtige Person, Jose Manuel Barroso war es eben nicht.“

Wie sehr ein Präsident eine Linie vorgeben kann, hängt davon ab, wie gut er arbeitet, wie vernetzt er ist und wie gut er mit den wichtigsten Staaten zusammenarbeiten kann. „Juncker hat sich schwerergetan, eine klare Linie vorzulegen“, meint Lehne, „weil immer Sperrfeuer aus verschiedenen Richtungen gekommen ist.“ Dass dies für den neuen Kommissionschef anders wird, darf bezweifelt werden.

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