Luxemburg – die andere Hauptstadt der EU
Irgendwann, kurz vor drei Uhr morgens, da sagte einer, von dem die anderen dachten, er sei längst am Pariser Verhandlungstisch eingeschlafen: „Ich schlage vor, dass die Arbeit sogleich in Luxemburg beginnt“, sagte der damalige Außenminister des kleinen Großherzogtums, Joseph Bech. Und so kam es: Die ersten Stunden der heutigen Europäischen Union schlugen in Luxemburg.
Hier errichtete der EU-Vorgänger, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, 1952 ihre erste gemeine Hohe Behörde. Und dazu kam ein Gerichtshof, der überprüfen sollte, ob die Verträge dieser neuen Union auch eingehalten werden.
Heute, fast siebzig Jahre später, ist das kleine, für die EU so wichtige Luxemburg nicht wieder zu erkennen. Die Hohe Behörde, die heutige EU-Kommission, siedelte zwar bald nach Brüssel. Doch geblieben ist der Europäische Gerichtshof (EuGH) und dazu kamen viele andere europäische Institutionen.
Sie sind alle auf dem Kirchberg zu finden, einem früher idyllisch grünen Fleckchen unweit der pittoresken Altstadt von Luxemburg. Wer heute über das Kircherg-Plateau fährt – kaum jemand geht hier zu Fuß – der durchquert eine sterile Landschaft moderner Betonburgen. Der sieht viel Chrom, Glas und neue Hochhaustürme, der trifft Banker und EU-Beamte.
Österreicher als Rechnungsprüfer
Oskar Herics hielt es trotz der zuweilen dystopischen Arbeitsumgebung sechs Jahre lang in Luxemburg – genauer am Europäischen Rechnungshof. Der 62-jährige Burgenländer prüft dort als Vertreter Österreichs, ob die EU ihre Gelder zweckmäßig einsetzt, ob Mittel verloren gehen oder veruntreut werden. Ein Thema, in das sich Herics besonders vertieft hat: Die europäischen Hochgeschwindigkeitsstrecken der Bahn – und wie viel dort noch schiefläuft. Im Frühling kehrt der gebürtige Schandorfer nach Österreich zurück.
Neu nach Luxemburg kam hingegen heuer Österreichs Richter am EuGH, Andreas Kumin. Dem renommierten Grazer Europarechtler blieb keine Zeit, um sich entspannt einzuarbeiten: An die 1.000 Fälle hat der EuGH heuer behandelt. Mit rund 2.300 Mitarbeitern ist der EU-Gerichtshof die bei weitem größte EU-Institution in Luxemburg.
Retter in der Finanznot
Die kleinste, aber nicht unwichtigste, ist hingegen der ESM, der Europäische Stabilitätsmechanismus. An die 200 Mitarbeiter hatten hier die für den Euroraum lebenswichtige Aufgabe, Griechenland finanziell über Wasser zu halten. Der ESM war während der Finanzkrise als eine Art Rettungsschirm für jene EU-Länder gegründet worden, die zahlungsunfähig geworden waren. Bald soll der ESM eine noch größere Rolle erhalten, um die Währungsunion weiter zu stärken.
Keine Notkredite, sondern Förderungen zur Ankurbelung der europäischen Wirtschaft vergibt hingegen die „Hausbank“ der EU, die Europäische Investitionsbank (EIB). Wichtigster Vertreter Österreichs ist hier Ex-Vize-Kanzler Wilhelm Molterer. Der ehemalige ÖVP-Obmann war vier Jahre lang Vize-Direktor der Bank. Seit fünf Jahren leitet er den milliardenschweren Fördertopf des „Juncker-Fonds“ in der Bank.
Eines der großen Themen ist auch in der EIB der Klimawandel: Ab 2022 wird sie keine Kredite mehr an Projekte vergeben, die fossile Brennstoffe fördern.
Der Wanderzirkus
Doch wollte Luxemburg einen wirklich großen Beitrag zum Klimaschutz leisten, könnte das Großherzogtum anderswo ein Stoppschild aufstellen: Nämlich zum allmonatlichen „Wanderzirkus“ des EU-Parlaments zwischen Brüssel und Straßburg. Das ist aber kaum zu erwarten: Denn nach wie vor beherbergt Luxemburg das Generalsekretariat des EU-Parlaments mit einigen hundert Mitarbeitern.
Deshalb sorgt man sich: Fällt Straßburg als Sitz des EU-Parlaments weg, könnte es Luxemburg gleich ergehen. Und so stemmt sich das Großherzogtum ebenso vehement wie Frankreich dagegen, dass der alleinige EU-Parlamentssitz Brüssel werden könnte.
Und weil das reiche, kleine Luxemburg selbstbewusst auf seinen Status als EU-Gründerstaat beharrt, gibt es auch kein Abweichen von einer weiteren Tradition: Immer im April, Juni und Oktober reisen die EU-Minister zu ihren gemeinsamen Sitzungen nach Luxemburg an.
Bummel-Bahn
Damit setzt der nächste Wanderzirkus ein – jener der aus Brüssel anreisenden EU-Beamten und EU-Journalisten. Wobei gute Nerven braucht, wer an dieser hoch frequentierten Strecke zwischen den beiden EU-Hauptstädten mit der (Bummel-)-Bahn anreist.
Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen den beiden Städten? Fehlanzeige.
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