Londons Bürgermeister will für EU-Austritt werben

Boris Johnson, Gegenspieler von Cameron.
Boris Johnson peilt mit seinem "Nein" zur EU den Premiersposten an.

Nein, eine zweite Chance werde es nicht mehr geben – in einer Ehe nicht, und nicht in der EU: Premier Cameron ließ am Montag vor dem Parlament nicht den geringsten Zweifel aufkommen: Wenn sich Großbritannien am 23. Juni für den Austritt aus der EU entscheide, "ist das endgültig und bestimmt die Zukunft unseres Landes". Für Außenstehende eine politische Selbstverständlichkeit. Doch in den politischen Grabenkriegen, die in London seit dem Wochenende herrschen, war das nur ein weiterer Winkelzug. Freitagnacht war Premier David Cameron mit dem in Brüssel ausgehandelten Kompromiss für den "Sonderstatus" für Großbritannien heimgekehrt, Samstag früh gab er das Datum für das Referendum über den EU-Austritt bekannt. Augenblicklich fielen die ohnehin überwiegend EU-skeptische britische Presse und eine Reihe von Camerons eigenen Parteikollegen über den Deal mit der EU her. Cameron habe vom feindlich gesinnten Brüssel lediglich Lippenbekenntnisse auf den Weg mitbekommen, die geplanten Ausnahmen für Großbritannien seien lediglich Makulatur. An die Spitze dieser Bewegung setzte sich dann einer, der seit Jahren als Camerons gefährlichster innenpolitischer Herausforderer gehandelt wird: Der Londoner Bürgermeister Boris Johnson. Der charmant exzentrische Populist, der nicht nur auf jedem Parteitag dem Premier die Show stiehlt, sondern auch höhere Beliebtheitswerte bei seinen Landsleuten verbucht als dieser, kündigte am Sonntag an, sich der Kampagne für den EU-Austritt anzuschließen – "mit Herzschmerz" wohlgemerkt.

In einem umfassenden Zeitungskommentar hatte Johnson schon zuvor die wahren Beweggründe für seine Entscheidung erläutert. Er wolle eigentlich gar nicht die EU verlassen, vielmehr sei sein Ziel ein ordentliches neues Abkommen mit Brüssel, inklusive großzügigen Zugeständnissen für Großbritannien. "Die EU hört erst zu, wenn eine Nation ,Nein‘ zu ihr sagt" schrieb Johnson: "Das ist der einzige Weg, um die Änderungen zu kriegen, die wir brauchen." Diese Tür zu einer weiteren Reformrunde in der EU hat der Premierminister nun lautstark zugeschlagen. Nur das "Ja" zur EU, so machte er auch in seiner Rede am Montag vor dem Parlament in London deutlich, würde Großbritannien die Möglichkeit geben, Europa positiv zu verändern: "Die EU zu verlassen, gibt uns nur die Illusion der Souveränität, aber wir haben keine Macht, um wirklich etwas zu entscheiden." Ein "Sprung ins Dunkel" wäre der EU-Austritt, warnte Cameron. Doch zu diesem Sprung sind immer mehr seiner eigenen Parteifreunde entschlossen. Sechs Mitglieder seines Regierungskabinetts haben sich inzwischen deklariert: Sie werden für den EU-Austritt werben. In der schon zu Wochenbeginn rasant eskalierenden Debatte werden bereits die abenteuerlichsten Gründe angeführt. So erklärte etwa der erzkonservative Arbeitsminister Iain Duncan Smith, in der EU zu bleiben, würde die Terrorgefahr für Großbritannien massiv erhöhen. Ein Argument, dem sich gleich Ex-Verteidigungsminister Liam Fox anschloss. Auch der ließ aber rasch durchblicken, worum es auch ihm – genauso wie Johnson – eigentlich geht: Camerons Nachfolge.

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