Letzte Chance für Präsident Macron
„Noch so einen Samstag stehen wir das nicht durch, viele von uns sind am Limit“, sagt ein französischer Polizei-Gewerkschaftler. Nach dem jüngsten Aufruhr-Samstag ist also vor dem kommenden Aufruhr-Samstag, den etliche „ Gelbwesten“ wieder ansteuern. Trotz eines noch nie dagewesen landesweiten Aufgebots an fast 100.000 Polizisten, Gendarmen und sonstigen Sicherheitskräften konnten die Behörden vorgestern die angesagten Unruhen nur scheinbar meistern.
Die Straßenschlachten, Zerstörungen, Brandlegungen und Plünderungen, die am vorvorigen Samstag, fast ausschließlich die unmittelbare Nachbarschaft der Pariser Prunkavenue Champs-Elysées heimgesucht hatten, fielen in diesem Areal nun geringer aus. Auch sah man diesmal keine Polizisten, die vor einer Übermacht an Aufrührern in höchster Not zurückweichen mussten. Aber insgesamt, so verlautete seitens der Pariser Stadtverwaltung, wurden am jüngsten Samstag noch mehr Straßenmobiliar zerstört und mehr Geschäfte geplündert als eine Woche zuvor.
Zerstörungen ausgeweitet
Der Grund: die gewaltbereiten Angehörigen der „Gelbwesten“-Bewegung aus der Provinz und rabiate Jugendklicken aus Vororten zerstreuten sich diesmal auf viel mehr Pariser Viertel als am vorhergehenden Samstag, womit sie ihr Zerstörungswerk auch ausweiten konnten. Gleichzeitig kam es in einer Serie von Provinzstädten, darunter bisher eher ruhigen Orten wie Bordeaux, zu schweren und lange anhaltenden Ausschreitungen.
Dabei waren diesen Samstag an fast allen Pariser Autobahn-Zufahrten, Bahnhöfen oder Fernbus-Stationen, Reisende gefilzt worden. Taschen und Kofferräume der Autos wurden durchsucht und dabei tausende Gegenstände beschlagnahmt: Sprengkörper, Feuerwerksraketen, Hämmer, Spitzhacken, Bocciakugeln, Gasmasken. Vorweg waren auch über hundert Angehörige ultrarechter Grüppchen schon an den Bahnhöfen abgefangen und festgenommen worden. Landesweit wurden 160 Personen verletzt und 2000 festgenommen.
Soziale Wende?
Jetzt hängt alles weitere von Präsident Emmanuel Macron ab, der sich, nach zehntägigem Schweigen Montagabend an die Bevölkerung wenden wird. Erwartet werden zusätzliche, spektakuläre Zugeständnisse, nachdem die Regierung bereits in der Vorwoche die für 2019 beschlossenen Gebührenerhöhungen auf Sprit und Tarifsteigerungen bei Strom und Gas annulliert hatte. An den Gebühren auf Benzin und Diesel hatte sich die Revolte der „Gelbwesten“, hauptsächlich unter einkommensschwachen Bewohnern der Speckgürtel und Provinz, ursprünglich entzündet.
Inzwischen erhebt die sehr lose und vielfältige Bewegung der „Gelbwesten“ aber eine Reihe weiterer Forderungen wie etwa die Erhöhung des Mindestlohns, die Abschaffung der kürzlich eingeführten Steuern auf Renten und die Wiedereinführung der Steuern auf Großvermögen, die Macron abgeschafft hat.
Aus Kreisen um Macron verlautet, der Staatschef könnte bereits geplante Abgabensenkungen schneller durchziehen und neue Sozialhilfen, namentlich für Pendler, die auf ihre Autos angewiesen sind, verkünden. Dafür müsste Macron den Schulden-Abbau Frankreichs verlangsamen und die Verringerung der Körperschaftssteuer verschieben – beides Eckpfeiler seiner bisherigen betont marktfreundlichen Politik. Die Großunternehmen sollen außerdem zu einer steuerfreien Prämienausschüttung an ihre Arbeitnehmer ermutigt werden.
Nicht mehr so befehlshaberisch
Auch dürfte Macron, der sich bisher sehr befehlshaberisch gab, jetzt den Dialog mit Gewerkschaften, Lokalpolitikern und „Gelbwesten“ preisen. Möglich ist auch eine Art Entschuldigung seitens des Staatschefs für seine verächtlichen Sprüche über „Faulenzer“ und „renitente Gallier“. Teile der Bevölkerung, die finanziell nur schwer über die Runden kommen, haben das als Kränkung empfunden und darin ein Zeichen für die „Realitätsferne“ von Macron gesehen.
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