Ich, mein bester Nachfolger: Putin wird zum alternden Potentaten
Gerade mal 4,8 Jahre regiert ein demokratisch gewählter Politiker im Durchschnitt.
Bei Wladimir Putin werden es am Ende 36 Jahre gewesen sein, mehr als bei Josef Stalin. 83 Jahre alt wird der russische Präsident 2036 sein, wenn seine letzte, ihm jetzt per Referendum abgesegnete Amtszeit abläuft.
Das ist ein Alter, in dem Putin laut eigener Aussage eigentlich schon abgedankt haben wollte. 2006 sprach er noch davon, dass er "sicherlich in die Opposition gehen" werde, wenn seine Amtszeit vorüber sei; und bis vor einem Jahr war eine Amtszeitverlängerung, wie er sie jetzt – inklusive aller Manipulationen – durchgedrückt hat, nicht denkbar.
Was ist da passiert?
In der Endlosschleife
Putin steht seit geraumer Zeit unter Druck, wirtschaftlich wie politisch, weil die Frage nach einem Nachfolger immer drängender wurde. Seine Antwort war eine bewährte: Er hat sich zu seinem eigenen Nachfolger auserkoren – und gesellt sich so in die Reihe alternder und selbstzentrierter Potentaten, die ihre Bürger immer fester im Griff haben wollen. Chinas Staatschef Xi Jinping (67), seit 2013 im Amt, hat sich etwa vor zwei Jahren die Möglichkeit der Endlos-Präsidentschaft geschaffen, inklusive einer bis dato nicht gesehenen Machtfülle. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (66) hat sich 2017 per Referendum ein Weiterregieren bis ins Jahr 2033 ermöglicht, und Alexandr Lukaschenko (65), seit 1994 weißrussischer Präsident, will im August seine sechste Amtszeit antreten.
Wladimir Putin im Jahr 2000, kurz nach seiner Amtsübernahme. Damals sprach er davon, nach Ende seiner Regierungsjahre natürlich abtreten zu wollen.
Jetzt, 20 Jahre später, hat er seine Befugnisse und die Möglichkeit weiterzuregieren nochmals ausgedehnt: Bis 2036 könnte der heute 67-Jährige herrschen.
Ähnlich hat es Chinas Staatspräsident Xi Jinping (hier am Foto mit Venezuelas umstrittenem Präsident Maduro) gemacht: Er ließ sich 2018 die Möglichkeit einräumen, uneingeschränkt weiterzuregieren. Bisher wechselten mit Ausnahme Maos Chinas Präsidenten alle zehn Jahre.
Alexandr Lukaschenko, der Präsident Weißrussland, ist Europas längtsdienender Herrscher, darum auch "letzter Diktator Europas" genannt. Er ist seit 1994 ununterbrochen im Amt.
Recep Tayyip Erdogan, der auch schon seit 2003 entweder Ministerpräsident oder Präsident der Türkei ist, hat sich die Möglichkeit einräumen lassen, bis 2033 weiterzuherrschen.
Er ist einer der längstherrschenden Politiker der Welt: 38 Jahre lang sitzt Ali Khamenei im Iran an den Schlathebeln der Macht - zunächst als Präsident, jetzt als oberster Führer.
Doch was aussieht wie die Ausweitung der Macht, deutet oft auf einen realen Machtverlust nach innen hin. "Die Lage mag oberflächlich ruhig aussehen, aber die inneren Verwerfungen werden größer und künftig aufbrechen", so Maxim Trudoljubow vom Kennan Institute in Washington, der zu Langzeit-Herrschern forscht. Gesehen hat man das in der Türkei, wo 2017 die Jungen und Urbanen aufbegehrten; in Weißrussland ist Lukaschenko ebenso mit dem Furor junger Menschen konfrontiert.
Der Kreml als Kassengift
Ähnliches geschieht auch in Russland, und da sogar recht offensichtlich. Viele Pop-Sternchen und Influencer, die bisher bereitwillig Werbung für den coolen, sportlichen und manchmal oberkörperfreien Putin machten, sehen den Kremlherrscher nun als Kassengift. Der Rapper Timati , der 2015 mit seinem Song "Mein bester Freund ist Präsident Putin" Riesenerfolge feierte, wurde jetzt für die Single "Ich geh’ nicht protestieren, ich verbreite keinen Nonsens" von den Usern abgestraft: Das Video gilt als das am schlechtesten bewertete Russlands.
Das führt zur kuriosen Situation, dass Influencer keine Putin-freundlichen Inhalte mehr posten wollen, weil das zu Umsatzeinbrüchen führt. Mehr noch: Bekannte Influencer wandten sich sogar offen gegen den Kreml und kritisierten, dass der Kreml ihnen Geld für Pro-Putin-Posts geboten habe. 100.000 Dollar habe er offeriert bekommen, sagte Video-Blogger Erik Kituaschwili in einem Wutanfall, der viral ging – Kituaschwili hat vier Millionen Follower.
Für Putin sind das keine guten Nachrichten. Die Jugend, die sich früher ganz im Stil der Komsomolzen (ehemalige Jugendorganisation der KPdSU) hinter ihn reihte, bricht ihm in Umfragen weg; das Internet übernimmt zunehmend die Rolle des vom Kreml dirigierte Staatsfernsehens. Dort formiert sich zwar noch kein großer Protest, aber großer Spott – Fotomontagen mit dem 83-jährigen Putin, der 2036 für eine weitere Amtsverlängerung wirbt, sind da noch das Freundlichste.
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