Afghanistan: 12.000 Menschen über Luftbrücke evakuiert

Situation außerhalb des Flughafens in Kabul
US-Präsident Biden versucht die Taliban unter Druck zu setzen. Evakuierungsmaßnahmen laufen, Lage in Kabul chaotisch.

US-Präsident Joe Biden will die Taliban unter Druck setzen und Hilfen für Afghanistan während ihrer Herrschaft an "harte Bedingungen" knüpfen. So werde man genau verfolgen, wie die Islamisten ihre Landsleute und dabei speziell Frauen und Mädchen behandeln, sagte Biden am Freitag (Ortszeit) in einer Ansprache.

Ein Taliban-Sprecher sagte unterdessen, man wolle binnen Wochen Pläne für die Zukunft Afghanistans präsentieren. Man werde Vorstellungen präsentieren, wie das Land künftig regiert werden soll. Ein entsprechender Rahmenplan werde von Juristen, Geistlichen und Außenpolitik-Experten erarbeitet, sagte der Sprecher.

An Gesprächen über eine Regierungsbildung in Kabul wird auch Taliban-Mitbegründer Mullah Abdul Ghani Baradar teilnehmen. Baradar sei in Kabul eingetroffen und werde "mit Jihadistenführern und Politikern zusammentreffen, um eine inklusive Regierung zu bilden", sagte ein hochrangiger Taliban-Beamter gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Das Führungsmitglied der Taliban, das als möglicher neuer Regierungschef gehandelt wird, war am Dienstag nach Afghanistan zurückgekehrt.

Zudem laufen Gespräche zur Zukunft von Pandschir, der einzigen Provinz, die bisher noch nicht unter Kontrolle der Taliban steht. Das teilte der bisherige Vorsitzende des Rates für Nationale Versöhnung, Abdullah Abdullah, mit.

12.000 Menschen evakuiert

Laut Angaben der NATO wurden seit dem Einmarsch der Taliban in Kabul rund 12.000 ausländische Bürgerinnen und Bürger sowie Afghanen, die für Botschaften und internationale Hilfsgruppen arbeiteten, außer Landes gebracht. "Der Evakuierungsprozess ist langsam, weil er risikoreich ist. Denn wir wollen in keiner Weise Zusammenstöße mit Taliban-Mitgliedern oder Zivilisten außerhalb des Flughafens", sagte ein namentlich nicht genannter NATO-Vertreter.

Evakuierung bi 31. August

US-Präsident Biden wollte sich indes nicht dazu äußern, ob die Evakuierungsmission über den 31. August hinaus verlängert werden könnte. Er gehe davon aus, dass die Evakuierungen bis dahin abgeschlossen werden könnten, werde dazu aber später eine Entscheidung treffen.

USA in Kontakt mit Taliban

Biden sagte, die USA würden sich mit ihren Verbündeten abstimmen, um auf die Taliban internationalen Druck auszuüben. Zugleich sei es auch im Interesse der Islamisten, die Afghanen nicht gegen sich aufzubringen. "Sie versuchen, eine gewisse Legitimität zu gewinnen. Sie werden einen Weg finden müssen, wie sie das Land zusammenhalten", so der US-Präsident.

Biden zufolge stehen die USA in Kontakt mit den Taliban, um den Zugang zum Flughafen der Hauptstadt Kabul zu gewährleisten. Sollten die Islamisten die Evakuierungsaktionen stören oder US-Truppen angreifen, werde es eine "starke Reaktion" geben, drohte er.

Chaos rund um Flughafen

Zwar würden US-Amerikaner an Checkpoints zum Flughafengelände nicht aufgehalten. Allerdings sei die Situation rund um den Flughafen eine andere. Bis man es dorthin geschafft habe, gelte "das Überleben des Stärkeren", schilderte CNN-Reporterin Clarissa Ward, die bis zuletzt zu den wenigen ausländischen Journalisten vor Ort zählte und am Freitag ebenfalls ausgeflogen wurde.

Rund um den Flughafen herrschen seit der Machtübernahme der Taliban chaotische Zustände, die Lage ist extrem gefährlich. Am Samstag belagerten weiter Tausende Menschen den Flughafen in der Hoffnung, aus dem Krisenstaat fliehen zu können. Die afghanische zivile Luftfahrtbehörde rief dazu auf, nicht mehr zum Flughafen Kabul zu kommen. Es gebe weiter keine zivilen und kommerziellen Flüge, hieß es in einer am Samstag auf Facebook veröffentlichten Nachricht.

Auch Helikopter im Einsatz

Um das gefährliche Gedränge vor den Einlasspunkten zu umgehen, sollen US-Medienberichten zufolge 169 Amerikaner mit Helikoptern aus einem Hotel in unmittelbarer Nähe zum Flughafen gebracht worden sein. Doch selbst dort mussten Tausende Menschen weiter ausharren, weil die Evakuierungsflüge zwischenzeitlich gestoppt worden waren.

Grund dafür war nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums, dass es in Katar keine Kapazität mehr gegeben habe, die Ankunft und Weiterreise weiterer Reisender abzuwickeln. Deshalb versuchen die USA weitere Länder dafür zu gewinnen, aus Afghanistan ausgeflogene Menschen vorübergehend aufzunehmen und eine sichere Durchreise zu organisieren.

Ramstein als Drehkreuz

Deutschland hatte mit den USA vereinbart, dass deren Truppen den US-Militärstützpunkt in Ramstein als Drehkreuz für die Evakuierungsflüge nutzen können. "Insgesamt sind es mit Stand 11.15 Uhr am Samstag rund 1.550 Evakuierte, die mit elf Maschinen gekommen sind", sagte ein Sprecher des US-Stützpunkts der Deutschen Presse-Agentur. Auch in den Folgetagen würden weitere Flüge erwartet. Ihre Zahl lasse sich vorerst noch nicht genau sagen. Ramstein sei aber nur eine Zwischenstation - eine langfristige Unterbringung sei nicht geplant, sagte eine ranghohe ranghohe Militärvertreterin dem Sender CNN.

Die in Kabul ansässigen Mitarbeiter der Weltbankgruppe und ihre unmittelbaren Familienangehörigen wurden mittlerweile nach Islamabad gebracht worden. Dies geht aus einem internen Vermerk hervor, der am Freitag veröffentlicht und von Reuters eingesehen wurde.

Deutsche Bundeswehr evakuierte mehr als 170 Personen

Die deutsche Bundeswehr hat weitere deutsche Staatsbürger und afghanische Ortskräfte aus Kabul evakuiert. In der Nacht zu Samstag startete in der afghanischen Hauptstadt eine Militärmaschine vom Typ A400M "mit 172 schutzbedürftigen Personen an Bord nach Taschkent in Usbekistan", twitterte die Bundeswehr. Kurz vor Mitternacht landete die Maschine in Taschkent.

Damit hätten die Flugzeuge der deutschen Bundeswehr inzwischen mehr als 1.800 Menschen ausgeflogen, hieß es. Mehrere Militärtransporter der Bundeswehr pendeln zwischen Kabul und der usbekischen Hauptstadt Taschkent, von wo aus die Evakuierten ihren Weiterflug nach Deutschland antreten sollen.

Zusätzlich sind laut deutschem Verteidigungsministerium auch zwei leichte Mehrzweckhubschrauber des Typs H145M bereits auf dem Weg nach Kabul, um Handlungsmöglichkeiten vor Ort erweitern zu können.

Kritik von Laschet

Enttäuscht über Bidens Afghanistan-Politik zeigte sich der deutsche Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Biden bekenne sich zwar zur transatlantischen Partnerschaft, sagte der CDU-Chef . "Gerade deshalb hat mich seine Ankündigung am 14. April enttäuscht, den von Donald Trump angeordneten Afghanistan-Abzug eins zu eins umzusetzen, ohne die Verbündeten umfassend an dieser folgenreichen Entscheidung zu beteiligen."

Laschet ergänzt, notfalls müsse die EU in der Lage sein, ohne die US-Partner zu handeln. "Wir brauchen mehr Europa in der Außenpolitik", betont er gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" laut Vorausbericht.

Scholz: Devise sei "vor Ort zu helfen"

Der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz befürwortet langfristige Hilfe für Beschäftigte von Medien und Hilfsorganisationen sowie politisch Engagierte aus Afghanistan. Für sie werde es "den Schutz auch geben, wenn sie sich später einmal melden, bei einem deutschen Konsulat zum Beispiel", sagte Scholz im Interview der Woche des Deutschlandfunks, das am Samstag veröffentlicht wurde.

Darüber hinaus brauche es Unterstützung "für diejenigen, die in den Nachbarstaaten Zuflucht gefunden haben oder Zuflucht finden werden". Der Vizekanzler sagte: "Die Devise ist, vor Ort zu helfen." Er sagte: "Es gibt zig Millionen Menschen auf der Welt, die fliehen, oft in ein Nachbarland, und natürlich müssen wir dafür Sorge tragen, dass in diesen Ländern Integrationsperspektiven entstehen."

Merkel räumt Fehleinschätzung ein

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel räumte indes ein, dass man die Widerstandskraft der afghanischen Armee falsch eingeschätzt habe. "Die Armee ist in atemberaubendem Tempo kollabiert", sagt Merkel beim Wahlkampfauftakt der Union. "Wir hatten die Widerstandskraft stärker eingeschätzt", fügt sie mit Blick auf die Debatte hinzu, ob die Regierung schneller hätte handeln müssen.

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