Kurz an Italien: Illegale Migranten nicht aufs Festland lassen

Sebastian Kurz befürchtet "Überforderung" im Falle von "Weiterwinken".
Kurz will Flüchtlinge und Migranten nahe an den EU-Außengrenzen stoppen, sie dort versorgen und "zurückstellen". "Die Rettung im Mittelmeer dürfe nicht verbunden sein mit einem Ticket nach Mitteleuropa", betonte der Außenminister nach einem Treffen mit seinem italienischen Amtskollegen Alfano.

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat bei seinem italienischen Amtskollegen Angelino Alfano darauf gepocht, illegal in Italien via Mittelmeer eingetroffene Migranten nicht mehr von Inseln auf das Festland zu lassen. Nach einem Treffen mit Alfano am Donnerstag in Wien warnte Kurz vor Journalisten vor einer immer größeren "Überforderung" in Mitteleuropa, zu der es ansonsten kommen könne.

Er habe Alfano gesagt, dass "wir uns erwarten, dass der Fährenverkehr für illegale Migranten zwischen den italienischen Inseln wie Lampedusa und dem italienischen Festland eingestellt wird, denn wenn Menschen nach der Rettung von den Inseln möglichst schnell auf das Festland gebracht werden und dann weiterziehen in Richtung Norden, wird nicht nur die Überforderung in Mitteleuropa immer größer, sondern das führt dazu, dass sich immer mehr auf den Weg machen, die Schlepper immer mehr verdienen und immer mehr (Flüchtlinge und Migranten, Anm.) ertrinken", sagte Kurz.

"Sie können jemanden wesentlich leichter zurückstellen, wenn sie ihn an der Außengrenze stoppen, als wenn jemand schon eine Wohnung in Wien oder anderswo bezogen hat"

Kurz an Italien: Illegale Migranten nicht aufs Festland lassen
ABD0041_20170720 - WIEN - ÖSTERREICH: Aussenminster Sebastian Kurz (R) und der italienische Außenminister Angelino Alfano am Donnerstag, 20. Juli 2017, anl. eines Treffens in Wien. - FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH
Kurz will Flüchtlinge und Migranten nahe an den EU-Außengrenzen stoppen, sie dort versorgen und "zurückstellen". "Die Rettung im Mittelmeer darf nicht verbunden sein mit einem Ticket nach Mitteleuropa", betonte er einmal mehr. "Sie können jemanden wesentlich leichter zurückstellen, wenn sie ihn an der Außengrenze stoppen, als wenn jemand schon eine Wohnung in Wien oder anderswo bezogen hat."

Der Außenminister fügte hinzu, dass er mit Alfano in Sachen Stopp des Fährenverkehrs "noch nicht einer Meinung" sei. Das Gesprächsklima mit seinem Amtskollegen bezeichnete er nach neuerlichen Spannungen zwischen Wien und Rom in der Flüchtlingspolitik in den vergangenen Tage als "ordentlich". Alfano habe auch eingeräumt, dass ein "Weiterwinken die Probleme nicht kleiner macht, sondern größer".

"Wenn sich Italien entschließt, immer mehr Menschen nach Norden weiterzuwinken, dann werden wir unsere Grenzen schützen"

Kurz betonte, dass nach wie vor Vorbereitungsmaßnahmen vonseiten Innen- und Vereidigungsministerium im Gange seien, um gegebenenfalls die Brenner-Grenze zu schließen. Derzeit funktioniere die Kooperation mit den italienischen Behörden, aber "wenn sich Italien entschließt, immer mehr Menschen nach Norden weiterzuwinken, dann werden wir unsere Grenzen schützen." Lob gab es von Kurz für den von Italien geplanten Verhaltenskodex für NGOs, die Flüchtlinge und Migranten aus dem Mittelmeer retten.

Kurz an Italien: Illegale Migranten nicht aufs Festland lassen
ABD0033_20170720 - WIEN - ÖSTERREICH: Aussenminster Sebastian Kurz (R)und der italienische Außenminister Angelino Alfano am Donnerstag, 20. Juli 2017, anl. eines Treffens in Wien. - FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH
Nach Angaben der Regierung in Rom retteten NGO-Schiffe 34 Prozent aller Migranten, die heuer nach Italien gebracht wurden. Der italienische Innenminister Marco plant für kommende Woche ein Treffen mit Vertretern der einschlägigen Nichtregierungsorganisationen zu dem elf Punkte umfassenden Verhaltenskodex. Bei Verstößen soll die Einfahrt in italienische Häfen verweigert werden.

Trotz anhaltender Flüchtlings-Ankünfte ist Italien laut der Regierung in Rom nicht mit einem Flüchtlingsnotstand konfrontiert. Die Bedingungen, um in Italien wegen der massiven Flüchtlingsankünfte einen "humanitären Notstand" auszurufen, wie es Rechtsparteien fordern, seien nicht vorhanden, sagte der italienische Innenminister Marco Minniti (Bild) vor dem Parlament.

Angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingsankünften arbeite das Innenministerium an einer Aufstockung bei den Unterkünften für Migranten. Minniti klagte, dass lediglich 3.100 von rund 8.000 Gemeinden in Italien Flüchtlinge aufgenommen hätten. Der Innenminister bemüht sich um eine Verteilung der Migranten auch auf kleinere Gemeinden, um eine Konzentration von Flüchtlingseinrichtungen in den größeren Städten zu vermeiden. Minniti berichtete, dass sich Italien verstärkt um die Ausweisung von Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung bemühe.

"Die Situation ist zwar noch nicht akut alarmierend, aber die Union wird nicht auf Dauer zuschauen können"

Bundespräsident Alexander Van der Bellen erwartet sich unterdessen angesichts der schwierigen Lage für Italien in der Flüchtlingskrise von der EU ein schnelles Handeln. "Die Situation ist zwar noch nicht akut alarmierend, aber die Union wird nicht auf Dauer zuschauen können", sagte Van der Bellen den Vorarlberger Nachrichten (Donnerstagausgabe). Die EU müsste noch heuer Schritte setzen. "(...) wir müssen Geld in die Hand nehmen, uns um die Situation in Libyen kümmern und mit den Regierungen in den afrikanischen Ländern verhandeln." Italien werde "schon entsprechend Druck machen".

Außenminister Alfano hielt sich am Donnerstag hauptsächlich ihn Wien auf, um die Prioritäten des italienischen Vorsitzes in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Jahr 2018 vorzustellen. Er stand den Journalisten bei seinem Besuch nicht für Fragen zur Verfügung.

Chancen der Mittelmeerregion

Italien will bei seinem OSZE-Vorsitz im kommenden Jahr "den Fokus (...) auch auf die Mittelmeerregion ausrichten", erklärte Alfano in einer Rede vor der in Wien ansässigen OSZE. Dabei gehe es nicht nur um die Themen Terrorbekämpfung und Migration. Es gehe nicht nur um Bedrohungen, sondern auch Chancen der Mittelmeerregion. So will Italien im Rahmen der OSZE nach den Worten Alfanos auch Toleranz und den interreligiösen und interkulturellen Dialog fördern. Zum Thema Mittelmeer-Region werde es Ende Oktober 2018 in Palermo eine eigene OSZE-Konferenz geben. Sicherheit und Stabilität in der Mittelmeerregion seien "ergänzend" zu Sicherheit und Stabilität in Eurasien zu sehen, betonte Alfano (Bild).

Kurz an Italien: Illegale Migranten nicht aufs Festland lassen
Italiens Außenminister Alfano zu Besuch in Wien.
Ansonsten wolle der italienische OSZE-Vorsitz - derzeit hat ihn Österreich inne - "ambitiös, aber realistisch" sein. So will sich Rom für die Lösung des Ukraine-Konflikts und anderer Konflikte im Ex-Sowjetraum in den "bestehenden Formaten" einsetzen. Die OSZE-Beobachtermission in der Ukraine müsse "in vollem Umfang und in Sicherheit" ihr Mandat erfüllen können. Alfano rief die OSZE-Mitglieder zu einem "konstruktiven Geist" auf; der "wirkliche Geist" der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) von Helsinki 1975 während des Kalten Krieges, aus der die OSZE hervorging, müsse wiedergefunden werden. Das Vorsitzland könne sich nicht über den Willen der Mitgliedstaaten stellen, rief Alfano zur Zusammenarbeit auf.

Die jüngsten Äußerungen von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) sorgen weiterhin für Unmut in Italien. Mehrere italienische Politiker appellierten an Wien, moderatere Töne anzuschlagen. Italiens Außenminister Angelino Alfano kritisierte am Mittwoch die Tonart Österreichs als Wahlkampfrhetorik.

"Früher oder später wird auch der österreichische Wahlkampf enden und dadurch wird sich auch die Tonart wieder beruhigen", sagte Alfano am Mittwoch bei einem Besuch in Bozen. Am Brenner würden die Dinge auch dank der Zusammenarbeit mit Österreich gut funktionieren, betonte der italienische Außenminister, "und wir werden weiterhin ein Maximum an Sicherheit garantieren".

Kurz an Italien: Illegale Migranten nicht aufs Festland lassen
ABD0015_20170720 - WIEN - ÖSTERREICH: Der italienische Außenminister Angelino Alfano am Donnerstag, 20. Juli 2017, während der Präsentation der Schwerpunkte des italienischen OSZE-Vorsitzes 2018 in Wien. - FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH
Zuvor hatte bereits sein StellvertreterMario Girodie Regierung in Wien zu moderateren Tönen gegenüber Rom aufgefordert. "Man kann nicht die Beziehungen zwischen Staaten wegen Wahlkampfdebatten aufs Spiel setzen", betonte der Vize-Außenminister laut Medien vom Mittwoch. Die Debatte rund um die Brenner-Grenze bezeichnete Giro als "surreal". Es gebe keinen "Anstieg der Migrantenzahl am Brenner, wie auch die österreichischen Behörden bereits mehrmals betont haben".

Scharfe Worte kamen auch von der italienischen Parlamentspräsidentin Laura Boldrini, die die Äußerungen von Kurz beim EU-Außenministerrat am Montag in Brüssel als "deprimierend" bezeichnete. "Diese Drohungen haben wir schon gehört und sie haben zu nichts geführt. Politik betreibt man nicht mit Drohungen, mit Grenzschließungen oder mit dem Militär", so Boldrini in einer Rede vor der Abgeordnetenkammer am Dienstag. Drohungen wie jene von Österreich würden lediglich Angst und Unmenschlichkeit nähren.

Kurz hatte beim EU-Außenministerrat am Montag in Brüssel Italien erneut vor einem "Weiterwinken" von Flüchtlingen Richtung Norden gewarnt. Notfalls "werden wir die Brenner-Grenze schützen", sagte Kurz.

Verständnis für Kurz zeigte in Italien nur die ausländerfeindliche Oppositionspartei Lega Nord. "Österreich ist im Recht, das Problem liegt an Italien, das die Außengrenzen schützen muss", erklärte Lega-Chef Matteo Salvini.

Kritik am Auftreten Österreichs gegenüber Italien kam am Mittwoch auch hierzulande aus den Reihen der Opposition. Die Grüne Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek warnte davor, "die langjährigen guten Beziehungen mit Italien aus innenpolitischen Motiven mit Wahlkampfgetöse" zu belasten. "Ich würde mir wünschen, dass Außenminister Kurz mit dem in Jahrzehnten mühsamer Kleinarbeit angefertigtem und sehr wertvollem Porzellan der gut nachbarschaftlichen Beziehungen sorgfältiger umgeht", so die Grüne Vizepräsidentin des Europaparlaments.

"Verwundert" über die jüngsten Spannungen mit Italien zeigten sich auch die NEOS. "Gerade bei einer für Europa so entscheidenden Frage, wie der sinnvollen Bewältigung der Migrationsströme, sollten die EU-Mitgliedsstaaten an gemeinsamen, gesamteuropäischen Lösungen arbeiten. Das Ausrichten von Statements über die Medien ist hier definitiv fehl am Platz", so der stellvertretende NEOS-Klubobmann Niki Scherak.

Kommentare