Bei 300 "Flugkörpern" kennt fast jeder Israeli mittlerweile den Unterschied zwischen Drohnen, Flugmarschkörpern und ballistischen Raketen. Nach mehrstündiger Anflugzeit schlugen letztlich weniger als zehn Raketen in Israel ein. Der Sachschaden war überraschend gering.
Auch arabische Staaten halfen bei Abwehr
Sogar am Toten Meer, dem tiefsten und in diesem Krieg auch stillsten Punkt der Erde, heulten die Sirenen. "So nah und laut hab ich die Abschüsse der Luftabwehrraketen noch nie gehört", erzählte ein Bewohner aus der Negev-Wüste, "mein Hund und meine Katze flüchteten eng aneinander geschmiegt unters Bett." Ständig warnt der Zivilschutz über die Medien: "Nach den Sirenen mindestens zehn Minuten den Schutzraum nicht verlassen." Trotzdem erlitt Amina, ein 7-jähriges Beduinen-Mädchen, lebensgefährliche Kopfverletzungen durch Raketensplitter.
Israels weltberühmtes Luftabwehrsystem arbeitete aber nicht allein. Sie wurde unterstützt von amerikanischen, britischen und französischen Kriegsschiffen im Roten Meer. Zusätzlich bekam die alte Weltkriegsallianz Hilfe von Anrainerstaaten, etwa Jordanien. In Israel ist daher von der "Koalition" die Rede. Deren Mitgliedsstaaten halten schon seit Jahren gemeinsame Manöver ab. Was bislang nicht an die große Glocke gehängt wurde. Doch in der Nacht zum Sonntag zeigte sie sich in vollem Umfang: Jordanische Abfangjäger waren im eigenen verletzten Luftraum mit dabei; im Hintergrund, aber durchaus spürbar half auch die Luftüberwachung der arabischen Golfstaaten.
Die iranische Regierung warnte alle Nachbarn "vor schwerwiegenden Konsequenzen", sollten sie israelische Kampfflieger in ihren Luftraum lassen. Eine Warnung, die letztlich die isolierte Stellung bekräftigt, in die sich die iranische Regierung manövriert hat. Die EU wie die G7-Staaten verurteilten den Angriff. Auch Russland half trotz aller gemeinsamen Interessen dem Iran nicht mit seiner in Syrien stationierten Luftabwehr. Letzte Woche noch kritisierte ein Sicherheitsberater der iranischen Regierung Moskaus Neutralität. Russland sehe den Iran nicht als Verbündeten. "Russland schaut teilnahmslos zu und nutzt unsere Isolation zu eigenen Zwecken in Nahost", schimpfte ein iranischer Abgeordneter.
USA gegen Vergeltungsschläge
Der iranische Armeechef betonte am Sonntag, dass mit diesem Angriff für ihn die "Strafaktion gegen Israel" beendet sei. Sollten die USA oder Israel jedoch auf Vergeltung aus sein, wären nachfolgende iranische Angriffe noch weitaus stärker als der am Sonntag. Soll heißen: Jetzt fühlt sich der Iran bedroht.
US-Präsident Joe Biden forderte Israel bereits auf, von Vergeltungsschlägen abzusehen. Nach der tatkräftigen US-Hilfe an der Himmelsfront eine Forderung, die Israels Regierung nicht ignorieren sollte, meinte am Sonntag Ex-Mossad-Chef Jossi Cohen: "Wichtiger ist jetzt, unsere Kriegsfront nicht unnötig auszuweiten."
Andere Experten in Israel weisen darauf hin, dass "strategische Geduld" in der Region als israelische Schwäche missverstanden werden kann. Viele erwarten daher einen Gegenschlag Israels, jedoch nicht gegen zivile Infrastruktur. Die Iraner leiden ohnehin durch die schwer angeschlagene Wirtschaft, was die Opposition gegen das klerikale Mullah-Regime verstärkt. Direkte Angriffe auf Strom- oder Wasserversorgung könnten hingegen ein erneutes Einheitsgefühl im Iran nach sich ziehen.
Ringen um Geisel-Deal
Einige Berater sehen die iranische Furcht vor einem Vergeltungsangriff auch als Chance, Israels festgefahrene Stellung im Gazastreifen zu verbessern. Hamas-Chef Jechije Sinwar lehnte bislang einen "Deal" mit einem Austausch von Geiseln und Hamas-Strafgefangenen und mit Feuerpause ab. In der vergeblichen Hoffnung, ein iranischer Angriff auf Israel könne einen bewaffneten regionalen Konflikt provozieren. Irans Angst vor einem direkten Krieg mit Israel, den USA und den Golfstaaten sei in iranischen Druck auf Hamas umzulenken: Verzicht auf Vergeltung als Gegenleistung - für einen Geisel-Deal.
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